Die Passagen von Port Bou

Eine Skulptur für Walter Benjamin erinnert an die Emigration während des deutschen Faschismus

Port Bou: Kaum könnte der Klang des Ortes französischer anmuten. Doch der kleine, am Mittelmeer gelegene Ort, dem die aufstrebenden Pyrenäen ein gigantisches Panorama bieten, liegt einige Kilometer hinter der Grenze im spanischen Katalanien.

Ein Wind weht vom Meer; er trägt das Lachen der Kinder hinauf vom Strand an den Rand der Felsklippen, dorthin, wo vor einigen Jahren ein Denkmal errichtet wurde. Denn Port Bou war für viele deutsch-jüdische Schriftsteller der letzte Fleck europäischen Bodens auf ihrer Flucht vor den Nazis ins amerikanische Exil. Heinrich Mann war unter ihnen sowie Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger und Franz Werfel. Für den Philosophen Walter Benjamin wurde derselbe Ort zum Scheideweg, denn seine Flucht im September 1940 nahm hier ein jähes Ende. Seinem Freitod ist das beeindruckende Denkmal an der Costa Brava gewidmet.

„Es gibt nichts Epischeres als das Meer“, beginnt Benjamin einen Aufsatz über Döblins „Berlin Alexanderplatz“. „Man kann sich (...) zum Meer sehr verschieden verhalten. Zum Beispiel an den Strand legen, der Brandung zuhören und die Muscheln, die sie anspült, sammeln. Das tut der Epiker. Man kann das Meer auch befahren. Zu vielen Zwecken und zwecklos. Man kann eine Meerfahrt machen und dann dort draußen, ringsum kein Landstrich, Meer und Himmel kreuzen. Das tut der Romancier. Er ist der wirklich Einsame, Stumme. Der epische Mensch ruht sich nur aus.“ Obwohl der Stadtmensch und Flaneur Benjamin seine Schriften eher den Metropolen als der Natur gewidmet hat, stellen Meer und Küste für das Mahnmal einen wunderbaren Ort metaphorischen Bodens dar.

Am südlichen Ausgang des Städtchens, wo Ortsschilder Richtung Barcelona deuten, führt ein Weg hinauf zur Steilküste. Er bringt einen zum hoch gelegenen Friedhof Port Bous, wo sich auch das Grabmal Walter Benjamins befindet. Auf dem Vorplatz entspringt die Skulptur für den jüdischen Philosophen, eine Arbeit des israelischen Künstlers Dani Karavan, die den Titel „Passagen“ trägt, angelehnt an das gleichnamige Werk Walter Benjamins. Drei Punkte der unmittelbaren Umgebung des Friedhofes sind es, die Karavan in die Gestaltung des Kunstwerkes einbezogen hat. Zunächst eine Eisen-platte, die wie eine Aussichtsplattform wirkt, dann ein Olivenbaum und schließlich der in den Fels getriebene stählerne Tunnel, die eigentliche „Passage“.

Am 15. Juli 1992 wäre Benjamin 100 Jahre alt geworden, und mit zweijähriger Verspätung wurde „Passagen“ im Mai 1994 eingeweiht. Dass die Planung des Gedenkortes aufgrund von Protesten zu-nächst verzögert wurde, mag damit zu tun haben, dass das Werk von der Tradition aufgesockelter, zentrierter und machtverkörpernder Monumente völlig absieht. Wie die Spitze eines Eisblocks bricht Karavans Tunnel aus den Felsklippen hervor und eröffnet den Betrachtern zunächst nur den pyramidenartigen Eingangsbereich. Wenn man sich diesem nähert, genügt ein einziger Blick, um die atembe- raubende Wirkung der begehbaren Passage zu erfahren. Ein treppenartiger Tunnel tut sich auf, durch den man in das strudelnde Meer hinunterschaut. Beim Abstieg begleitet einen das laute Hallen der eigenen Schritte, und langsam und vorsichtig nähert man sich dem Ende der Passage und blickt in das tosende Wasser.

Das Meer: Als metaphorisches Urbild natürlichen Lebens soll es in unpathetischer Direktheit das Schicksal des ewigen Emigranten thematisieren. Dani Karavan bringt die Natur zum Sprechen und läßt den Betrachtern gleichzeitig die Freiheit einer ganz persönlichen Interpretation. Dem Künstler ist etwas Schwieriges gelungen; die unmittelbare Naturerfahrung und das Erleben des Kunstschönen in einem Werk zu verbinden.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 6. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 6

No. 6Februar / März 1998

Von Kathrin Wißmann

Kathrin Wißmann, Jahrgang 1968, ist Kunsthistorikerin und lebt als freie Journalistin in Berlin.

Mehr Informationen
Vita Kathrin Wißmann, Jahrgang 1968, ist Kunsthistorikerin und lebt als freie Journalistin in Berlin.
Person Von Kathrin Wißmann
Vita Kathrin Wißmann, Jahrgang 1968, ist Kunsthistorikerin und lebt als freie Journalistin in Berlin.
Person Von Kathrin Wißmann