Die neuen Abenteuer des Thor Heyerdahl

Ein neuer Spielfilm zeichnet das norwegischen Nationalheiligtum und seine Fahrt auf einem selbst gebauten Balsaholzfloß von Peru nach Polynesien im Hollywoodstil nach

Knapp 35 Zentimeter hoch ist die Statuette, vergoldet, in einer Vitrine untergebracht, im Halbdunkel, fast unscheinbar. Doch jedermann in Norwegen kennt sie, hat sie irgendwann einmal besucht, als er in Oslo war, meist schon als Schulkind. Es ist ein Oscar, zu bestaunen im „Kon-Tiki-Museum“ im Hafen, im Kellergeschoss. Ein kleines Nationalheiligtum ist es, genau wie das Monstrum aus gewaltigen Balsaholzstämmen gleich gegenüber, das Floß, die „Kon-Tiki“, mit dem Abbild der Gottheit auf dem großen Segel. Ein Nationalheiligtum auch der Mann, der diesen Oscar 1951 gewann, Thor Heyerdahl, mit seinem Schmalfilm über die Geschichte, wie er sich mit dem Floß drei Monate lang über den Stillen Ozean hatte treiben lassen. Der beste Dokumentarstreifen – Heyerdahl ist der einzige Norweger, der je diesen Preis gewann. Hätte Norwegen eine Walhalla, er würde dort in einer Reihe stehen mit Erik dem Roten, Fridtjof Nansen und Roald Amundsen, Seefahrer allesamt.

Das Ende der Floßfahrt im Mai 1947 war auch das Ende der Dreharbeiten für den Film, zusätzliche Dramaturgie war weder nötig noch möglich. Das Drehbuch hatten allein die langen Wellen und der pazifische Passat geschrieben, nur ein paar Haie hatten sich als Nebendarsteller in das Set gemischt, neben den vielen tausend fliegenden Fischen als Komparsen. Die Filmmusik gab Erik Hesselberg, der mit seiner Gitarre die übrigen fünf Männer der Besatzung bei Laune gehalten hatte.

Die Welt hofierte diesen cineastischen Minimalismus, begeistert vom puren Abenteuer, auch wenn gar nicht viel passiert war während der 102 Tage und 7000 Kilometer, die man sich vom peruanischen Callao bis zum Atoll Raroia in Französisch-Polynesien hatte treiben lassen. Dabei war der Film nur ein Nebenprodukt. Anlass für die Drift der sechs Männer auf ihren Balsastämmen über den Ozean war eine fixe Idee Thor Heyerdahls gewesen.

Es ging um die Besiedlung des Pazifischen Ozeans. Heyerdahl wollte die Archäologie und die Anthropologie der Pazifikvölker vom Kopf auf die Füße stellen, aus seiner Sicht jedenfalls. Nebenbei führte er damit das Abenteuer in die Wissenschaft der Seefahrtsgeschichte ein. Man muss ihn wohl als den Erfinder der „Living History“ bezeichnen. Und er sollte recht behalten mit seiner Theorie, ein bisschen wenigstens. Auch wenn seine Auseinandersetzung mit der herrschenden Lehre in einen heftigen Streit ausartete, der ihn bis an sein Lebensende beschäftigte. Der Streit darüber nämlich, wo die Polynesier herkamen bei der Besiedlung ihrer Inseln in der weiten Südsee: ob von Westen aus Asien oder von Osten aus Amerika.

Jetzt kommt der neue Film mit dem Namen „Kon-Tiki“ in die Kinos. Seine Macher treten in große Fußstapfen. Nicht unwesentlich darf der neue Film allerdings auch von all dem zehren. Von der Legende, von der Bärbeißigkeit, mit der Heyerdahl sein Ziel verfolgte, von dem wissenschaftlichen Streit im Hintergrund. Von der Zeit, als Abenteuer noch nicht in erster Linie PR-Events waren. Das hat damals nämlich erst angefangen. Mit Heyerdahl selbst.

Natürlich muss der neue Film vor allem den heutigen cineastischen Anforderungen des Publikums genügen. „Mit einem Oscar wird er es wohl schwerer haben“, gibt sich Thor Heyerdahl bescheiden. Nein, nicht der alte Floßfahrer, der ist 2002 im Alter von 87 Jahren gestorben. Sondern sein Doppelgänger, der heute das Museum leitet mit der Oscar-Vitrine, dem Floß und anderen Devotionalien, Thor junior, der Sohn. Er ist ihm wie aus dem Gesicht geschnitten, auch er hat einen seiner Söhne Thor genannt, und so wird es wohl weitergehen in der Generationenfolge der Heyerdahls. Das sind sie der Nation schuldig, die sie so verehrt.

Sohn und Enkel haben mitgearbeitet am neuen Film, der die Geschichte jetzt noch einmal nacherzählt, farbig dieses Mal, dramaturgisch angereichert, verhalten, ohne allzu viel Krawall auf hoher See, angenehm insgesamt. Eine dänisch-britisch-deutsche Koproduktion steht dahinter. Die Hauptrollen sind ausschließlich an Norweger vergeben. Auch Hollywood zeigte Interesse, sagt Petter Skavlan, der Drehbuchautor. Doch Filmstar Michael Douglas warnte: Macht das lieber selbst, ihr würdet nur überrollt. So kam die junge Produktionsfirma DCM Productions als „Executive Producer“ ins Spiel. Mit dem Geld des einst blühenden sozialen Netzwerks StudiVZ. DCM-Miteigner Dario Suter hatte die Internetplattform mitgegründet und den Millionenerlös aus dem Verkauf in sein Filmengagement gesteckt.

Selbst der alte Heyerdahl war am Anfang bei den Vorbereitungen dabei. So lange gibt es das Projekt nämlich schon. Skavlan hat ihn noch kennengelernt, mit ihm das Konzept besprochen. Heyerdahl, der in den 55 Jahren, die ihm nach „Kon-Tiki“ blieben, gelernt hat, seine abenteuerlichen Forschungen als PR-Profi zu vermarkten, hatte nichts gegen die Anreicherungen der Spannung auf hoher See.


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mare No. 96

No. 96Februar / März 2013

Von Uli Kulke

Ulli Kulke ist Wissenschaftsreporter der Tageszeitung Die Welt und war bis 2001 stellvertretender Chefredakteur von mare. Schon in No. 2 schrieb der Südseeliebhaber über die Perlentaucher von Penrhyn. Im mareverlag erschien 2012 die Biografie Heyerdahl von Ragnar Kvam.

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Vita Ulli Kulke ist Wissenschaftsreporter der Tageszeitung Die Welt und war bis 2001 stellvertretender Chefredakteur von mare. Schon in No. 2 schrieb der Südseeliebhaber über die Perlentaucher von Penrhyn. Im mareverlag erschien 2012 die Biografie Heyerdahl von Ragnar Kvam.
Person Von Uli Kulke
Vita Ulli Kulke ist Wissenschaftsreporter der Tageszeitung Die Welt und war bis 2001 stellvertretender Chefredakteur von mare. Schon in No. 2 schrieb der Südseeliebhaber über die Perlentaucher von Penrhyn. Im mareverlag erschien 2012 die Biografie Heyerdahl von Ragnar Kvam.
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