Die Meisterfischer der Frühzeit

Das Wissen indigener Völker über nachhaltigen Fischfang reicht bis in die Urgeschichte des Menschen. Können wir davon profitieren?

Wer lebende Venusmuscheln fangen möchte, macht es heute nicht viel anders als die Menschen vor Hunderten Jahren. Er zieht los und durchfurcht den Schlick oder den Sand. Und er ahnt wahrscheinlich nicht, dass seine Vorfahren vor über 3000 Jahren schon Wege gefunden hatten, die Erträge ihrer Muschelernte um ein Vielfaches zu steigern – ohne dabei den Bestand der Art zu gefährden.

Sie legten damals Terrassen am Ufersaum an und mischten dann einen Brei aus zerstoßenen Muschelschalen bei, wodurch winzige Hohlräume entstanden und die Muschelkinderstube mit mehr Sauerstoff versorgt wurde. Diese sogenannten Muschelgärten lagen stets in den Gezeitenzonen, wo die Muscheln bei Flut vom Wasser überspült und mit Nährstoffen versorgt wurden und bei Ebbe genug Luft bekamen. 

„Die Menschen rollten Felsblöcke den Strand hinunter und bauten eine Steinwand am unteren Ende der Gezeiten­zone“, sagt Melissa Poe, Umweltanthro­pologin an der University of Washington 
in Seattle. Hinter der Mauer lagerte sich mit der Zeit immer mehr Sediment ab, wodurch der Strandabschnitt sich allmählich abflachte. Gut für das Wachstum der Muscheln, wie sich herausstellte. 

In mehreren Versuchen verglich Poe prähistorische Muschelgärten mit komplett unbehandelten Strandabschnitten. Das Ergebnis war eindeutig. „In den indigenen Muschelgärten siedelten sich bis zu viermal so viele Muscheln an. Auch die Überlebensrate vor allem kleinerer Muscheln war signifikant höher. Sie wuchsen schneller auf, wurden größer und hatten dickere Schalen“, so Poe. 

Mit der Radiokarbonmethode konnten die prähistorischen Brutkästen auf ein Alter von 3800 Jahren datiert werden. Für die Menschen dieser Zeit hatten Muscheln einen besonderen Stellenwert als Nahrungsmittel. Deshalb achteten sie schon damals mit Sorgfalt auf eine schonende Nutzung der Muschelbestände, um den Fortbestand der Art sicherzustellen. Die kalkhaltigen Schalen wiederum nutzten sie  zum Bau von Unterkünften und Befestigungsanlagen. Was sie nicht wussten: Der  Muschelschalenbrei kann sogar der Versauerung des Meeres entgegenwirken, weil er den pH-Wert des Wassers hebt. 

Die Bedeutung der Muschelgärten spiegelt sich auch in deren Verbreitung wider. Allein an der kanadischen Pazifikküste konnten bislang gut 800 Stätten identifiziert werden. „Es gibt dort kaum ein Ufergrundstück, an dem sich nicht ein prähistorischer Muschelgarten findet“, sagt Forscherin Poe.

Doch der frühzeitliche Speiseplan hatte noch mehr zu bieten als Muscheln: Lachse und Heringe vor allem, aber auch Aale, Algen, Seegurken und Tintenfische. Um an diese Köstlichkeiten zu kommen, ließen sich die Menschen einiges einfallen: die Gezeitenfallen in Japan, Costa Rica und Panama; die Fischwehre in Chile und Taiwan; die Heringsgärten an der West­küste Kanadas und der USA; die Lachsfallen in Alaska; die Steinwehre in Polynesien, Mikronesien und Hawaii; die hölzernen Fischwehre im US-Bundesstaat Oregon; die Wurzelgärten im kanadischen British Columbia. Die Aalteiche im südlichen Australien mit ihren Systemen aus Becken und Kanälen erstreckten sich sogar über eine Fläche von 10 000 Hektar.  „Die Fangmethoden waren erstaunlich ausgefeilt. Manche haben wir erst verstanden, nachdem wir Inschriften, die in Felsen geritzt waren, entschlüsselt hatten“, sagt Poe. 

Wissenschaftler bezeichnen die historischen Fischfangstätten als Meeresgärten. Der Begriff steht für eine Vielzahl von kultivierten Lebensräumen im und am Meer, die auf indigenem Wissen um die Wechselwirkungen an der Küste be­ruhen. Man findet sie rund um den Globus, auch in Nord- und Westeuropa. Besonders viele gebe es aber im pazifischen Raum, sagt Poe, die selbst am Pazifik geboren und aufgewachsen ist. „Manche reichen Jahrtausende zurück.“ So seien die steinernen Fischfallen in Alaska über 10 000 Jahre alt. 


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mare No. 163

mare No. 163April / Mai 2024

Von Frank Odenthal und Franziska Neubert

Frank Odenthal, Jahrgang 1971, ist freier Journalist in Lörrach. Auf der hawaiianischen Insel Oahu schwamm er selbst einmal in einem prähistorischen Gezeitenpool, allerdings ohne es zu wissen.

Franziska Neubert, geboren 1977, Illustratorin in Leipzig, ist spezialisiert auf Farbholzschnitte.

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Vita

Frank Odenthal, Jahrgang 1971, ist freier Journalist in Lörrach. Auf der hawaiianischen Insel Oahu schwamm er selbst einmal in einem prähistorischen Gezeitenpool, allerdings ohne es zu wissen.

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Frank Odenthal, Jahrgang 1971, ist freier Journalist in Lörrach. Auf der hawaiianischen Insel Oahu schwamm er selbst einmal in einem prähistorischen Gezeitenpool, allerdings ohne es zu wissen.

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