Die Megawerft

Daewoo baut riesige Schiffe wie am Fließband. Pro Jahr laufen im südkoreanischen Okpo an die 40 Frachter vom Stapel

Dieser Platz ist mein Leben", schwärmt der Mann, "hier möchte ich bleiben. Ich habe keine anderen Pläne, als hier zu sein." Von seiner kleinen Kanzel, die an ein Flugzeugcockpit erinnert, genießt Kil-Soo Kang eine Aussicht, um die ihn die anderen wohl oft genug beneiden, wie er glaubt. 100 Meter über der Erde sieht der 48-jährige Kranführer die montierbereiten Schiffsteile wie Bauklötze in dem Trockendock und die Menschen dazwischen wie Spielzeugfiguren. Jenseits dieser geschäftigen Szenerie tut sich das grandiose Panorama der Bucht von Okpo auf: sanft ins Meer gleitende Hügelketten, kleine, bewaldete Inseln sowie immer wieder ein paar Schiffe am Horizont.

Wenn er sich zwischendurch einmal abgespannt fühle, sagt Herr Kang, "dann blicke ich einfach aufs Meer hinaus; das ist genug Erfrischung". Darum versteht er auch nicht, warum er in den 23 Jahren seiner Betriebszugehörigkeit jemals hätte Urlaub machen sollen. Die gelegentlichen Angelausflüge und die Abende vor dem heimischen Fernseher waren ihm immer ausreichend Pause. Außerdem ist es doch "etwas Besonderes", so Kang, hier oben zu sein und dabei mitzuhelfen, all diese riesigen Schiffe zusammenzubauen. "Sobald das Schiff ins Wasser kommt, spüre ich seine Kraft", sagt er, "und irgendwie macht es mich jedes Mal stolz."

Kang ist also sieben Tage in der Woche hier - auf der Werft der Daewoo Shipbuilding & Marine Engineering Company (DSME) in Okpo, auf der Ostseite der südkoreanischen Insel Koje. Durch seine vielen Überstunden hat er eine Eigentumswohnung am Stadtrand, in der er mit seiner Frau und den beiden collegereifen Töchtern wohnt, abbezahlen können. Aber eigentlich lebt er auf diesen fünf Quadratmetern über dem größten Trockendock der Welt, das so groß ist wie siebeneinhalb Fußballfelder. Dort ist er allein mit sich, dem Funkgerät und den blonden Schönheiten eines europäischen Pin-up-Kalenders, um für jeweils sechs Stunden seine Präzisionsarbeit zu versehen.

Die Schuhe ausgezogen und eine Packung Zigaretten der Marke Simple für die kniffligen Momente griffbereit auf den Armaturen, hievt Kang Tag für Tag Hunderte von Tonnen schwere Montageteile oft millimetergenau an ihren Platz. Das heißt: er und dieser 103 Meter hohe und 206 Meter breite, in Deutschland gefertigte Riesenkran. Das ist für ihn auch nach fast 30 Jahren Tätigkeit noch eine Herausforderung. "Je länger ich auf dem Kran arbeite, desto besser werde ich." Es ist ein einsamer Job, weil er mit den Ameisen da unten nur in der Mittagspause auf gleicher Höhe ist. Und auch ein brisanter: Trotz der Unterstützung durch zwei Kameras am Kransockel kann Kang das Areal unter den Lasten nie ganz einsehen.

Einmal ist ein Stahlteil beim Absetzen tatsächlich am Boden umgekippt; dabei wurde ein Arbeiter, der nicht auf die Absperrungen achtete, schwer verletzt. "Ich fühle eine Last auf mir, wenn so etwas passiert", sagt Kang. Doch das war bisher der schlimmste Unfall. Es bleibt ihm ohnehin nichts anderes übrig, als den Männern mit den Walkie-Talkies, die ihn dirigieren, blind zu vertrauen. "Die haben so viel Erfahrung, dass ich mich ganz auf sie verlassen kann", sagt der Kranführer, "es sind die besten Techniker der Welt."

Wohl zwei Drittel der 500 kommerziellen Schiffe, die in Okpo bisher gebaut wurden, mögen durch Kangs verlängerte Finger gegangen sein - außer ihm gibt es nur noch drei weitere Männer für die höchste Position auf der Werft. Und dieser enorme Ausstoß hält unvermindert an. Vier Riesenkähne werden zurzeit simultan im Trockendock 1 zusammengesetzt; ein weiterer Torso steht am kleineren Dock 2. Insgesamt sind auf der Werft gerade 36 Öl- und Chemietanker, Fracht- und Containerschiffe sowie diverse Fähren in verschiedenen Stadien der Produktion. Das Auftragsbuch zählt 82 Order aus aller Welt, die in den nächsten zweieinhalb Jahren bedient sein wollen.

Das erfordert Eile in jeder Hinsicht. Alle paar Tage findet hier jene immergleiche Zeremonie statt, mit der das Zuschneiden des ersten Stahls oder die Kiellegung für ein neues Schiff gefeiert wird: Gewichtige Männer halten feierliche Ansprachen, Assistenten zünden zwei Kerzen an, dann wird das Material mit Glück bringendem Tteok, Reiskuchen, beworfen. Und alle neun bis zehn Tage gibt es unterhalb von Kil-Soo Kangs kolossalem Kran das Ritual einer Schiffsübergabe. Die Reden, der Reiskuchen, die Taufe und das anschließende, mit reichlich Würde und noch mehr Ritualen beladene Bankett: das alles wird inzwischen längst wie eine zweite Industrie abgewickelt.

So viel Betriebsamkeit kann nur herrschen, weil Südkoreas Werften durch eine aggressive Preispolitik kaum zu schlagen sind, klagen die europäischen Konkurrenten. Weil sie sich ihren auf 30 Prozent geschnellten Weltmarktanteil durch den niedrig gehaltenen Won-Kurs und verdeckte staatliche Subventionen erkämpft haben - während der Anteil der Europäer inzwischen auf sieben Prozent geschrumpft ist. Daher hat eine EU-Kommission im Oktober vergangenen Jahres Klage vor der Welthandelsorganisation eingereicht und eine Studie vorgelegt, wonach die Preisangebote der Koreaner mitunter noch deutlich unter ihren Produktionskosten lägen.


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mare No. 39

No. 39August / September 2003

Von Bertram Job und Nicolas Cornet

Bertram Job, Jahrgang 1959, arbeitet seit 18 Jahren als freier Autor in Düsseldorf.

Der Fotograf Nicolas Cornet, geboren 1963, lebt in Paris, ist aber häufig in Fernost unterwegs - seine Frau stammt aus Vietnam. Beide nahmen in Okpo an so vielen Zeremonien zur Kiellegung oder Taufe teil, dass ihr Hunger nach Reiskuchen für eine Weile gestillt ist.

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Vita Bertram Job, Jahrgang 1959, arbeitet seit 18 Jahren als freier Autor in Düsseldorf.

Der Fotograf Nicolas Cornet, geboren 1963, lebt in Paris, ist aber häufig in Fernost unterwegs - seine Frau stammt aus Vietnam. Beide nahmen in Okpo an so vielen Zeremonien zur Kiellegung oder Taufe teil, dass ihr Hunger nach Reiskuchen für eine Weile gestillt ist.
Person Von Bertram Job und Nicolas Cornet
Vita Bertram Job, Jahrgang 1959, arbeitet seit 18 Jahren als freier Autor in Düsseldorf.

Der Fotograf Nicolas Cornet, geboren 1963, lebt in Paris, ist aber häufig in Fernost unterwegs - seine Frau stammt aus Vietnam. Beide nahmen in Okpo an so vielen Zeremonien zur Kiellegung oder Taufe teil, dass ihr Hunger nach Reiskuchen für eine Weile gestillt ist.
Person Von Bertram Job und Nicolas Cornet