Die Klugheit der Kreuzfahrer

Was ist so toll am Urlaub auf einem Megacruiser? Eine Glosse

Kommt nicht im Leben eines jeden guten Mittelschichtvaters der Moment, da er rechnen muss? Flug, Hotel, Mahlzeiten, Auto, Ausflüge, dies und das und alles mal vier, dazu der Preis für Unsicherheit und permanente Bedrohung – Stichwort Türkei, Tunesien, Ägypten, failed states, Autokratien, Diktaturen, heimgesucht von Terroristen, Korruption und Gewalt – was bleibt dem Papa auf der Suche nach Erholung anderes als eine Kreuzfahrt samt Geschichtskunde in Sieben-Tages-Häppchen? Kreuzfahrtschiffe haben sogar Käsereien, Yoga-Retreats und Standesämter an Bord, man bedenke das.

Die Welt als geschmackvoll zubereitetes Aperçu, als Kulisse eines kriegs- und leidfreien Sektors mit Sahnehäubchenfolklore, die man sich nicht mühsam erarbeiten muss, die man vielmehr dargereicht bekommt, ohne dass man sich vor irgendjemand für irgendetwas rechtfertigen müsste. Wer eine Kreuzfahrt bucht, erhält eine Woche Haltbarkeitsgarantie auf ein simuliertes Paradies mit Klassen- und Milieugleichheit, weil alle anderen Gäste das Gleiche wollen und dafür bezahlen.

Minderwertigkeitskomplexe sind hier wohltuend deplatziert. Man fährt in die Welt, ohne in der Welt sein zu müssen. Gebuchte ist auch geborgte Weltflucht, und für das Arrangement einer überschaubaren Endlichkeit ist endlich einmal nichts virtuell. Statt fake news und Digitalgezwitscher wird die analoge Echtzeitvergnügung à point serviert, wie überhaupt alles passgenau präsentiert ist. Der Luxusliner ist ja Mein Schiff, ich bin Teilhaber am gemeinsamen Kreuzfahrtglück; auf der Kreuzfahrt ist der Kunde wirklich König, der Liegestuhl als Teilzeitthron zum Wunschtarif. Tausend Servierende dienen ihm auf geschütztem Raum, und während er die Alltagstragödien von Tunis, Malaysia und Mangalore vom Balkon des Oberdecks beobachtet, wird unten das Schauspiel des wahren Lebens in poetischer Tristesse aufgeführt. Manchmal winken ja auch Kinder zurück, ein adrettes Motiv fürs Smartphonevideo.


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mare No. 121

No. 121April / Mai 2017

Von Christian Schüle

Christian Schüle, geboren 1970, lebt als literarischer Autor und Essayist in Hamburg.

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Vita Christian Schüle, geboren 1970, lebt als literarischer Autor und Essayist in Hamburg.
Person Von Christian Schüle
Vita Christian Schüle, geboren 1970, lebt als literarischer Autor und Essayist in Hamburg.
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