Die heilige Kuh vom Kap

Wer sich gegen die Landplage wehrt, gilt als herzloser Tierquäler. „Penguin politics“ in Simon’s Town

Welches Tier möchten Sie nach Ihrer Wiedergeburt sein? Löwe? Rotkehlchen? Kuh in Indien? Müßige Frage, jedenfalls hier unten, im Städtchen Simon’s Town an der Südspitze Afrikas. „Pinguin“, würden Sie antworten, ohne zu zögern. Denn als solcher dürften Sie ungefähr 250 Sonnentage pro Jahr genießen und milde, mediterrane Winter. Sie hätten einen unverbauten Blick auf den Indischen Ozean. Sie könnten immerzu im smaragdgrünen und amethystblauen Wasser felsumsäumter Buchten plantschen, und Küchenmeister Neptun würde Ihnen rund um die Uhr köstliche Meeresfrüchte auftischen.

Sie wären so etwas Ähnliches wie ein heiliges Tier. Und Sie hätten eine starke Lobby, die im Stadtrat Ihre weltlichen Interessen wahrt. „Penguin politics“ heißt das in Simon’s Town, Politik für die Kolonie der 3000 Pinguine unten am Boulders Beach. Ein solches Ressort ist durchaus erforderlich. Denn es leben ein paar übel wollende Zweibeiner in der Stadt, die, um es vorsichtig auszudrücken, von dieser Sorte Federvieh nicht besonders begeistert sind und unablässig Beschwerde führen über deren asoziales Verhalten.

Die 50 bis 80 Zentimeter kurzen Vögel sind nämlich alles andere als süße, harmlose Watscheltiere. Sie lärmen und stinken und beißen mit ihren messerscharfen Schnäbeln. Sie buddeln Löcher in den schönen Golfplatz. Sie koten hemmungslos auf Gehsteige und in Gärten. Sie unterhöhlen das Meeresufer. Es handelt sich also um eine Art Landplage, jedenfalls aus der Sicht jener wehrwilligen Küstenbewohner, welche die gefiederten Eindringlinge am liebsten ins Meer zurücktreiben würden.

Aber das traut sich am Boulders Beach kaum einer laut auszusprechen, man will ja nicht missverstanden werden. Es sind schon genug Schauergeschichten geschrieben worden über herzlose Luxusrentner und eingefleischte Vogelfeinde, ja sogar über Pinguinmeuchler, die nächtens Gelege zerstören oder Küken erwürgen. Man belässt es bei ironischen Anspielungen. „Ich mag Pinguine“, bekennt eine Kioskfrau, „am liebsten mit Reis.“

In den Ohren der tierisch Korrekten kommt solcher Humor schon der Aufforderung zum Vogelmord gleich. Denn der Spheniscus demersus, gemeinhin bekannt als Brillenpinguin oder Jackass, wäre im vorigen Jahrhundert beinahe ausgerottet worden. Seine schmackhaften Eier wurden in Massen verzehrt, der Guanomist war als Dünger begehrt, den Rest besorgte das Öl aus havarierten Schiffen.

1910 sollen noch rund 1,5 Millionen Vertreter dieser Spezies die Küsten von Südafrika und Namibia bevölkert haben; heute schätzen Ornithologen ihre Gesamtzahl auf 150000. Wenn einer der geschützten Kolonien Unheil droht, wird am Kap der Notstand ausgerufen. Unvergessen die Mission im Vorjahr, als der Eisenerzfrachter „Treasure“ in der Tafelbucht sank und Tonnen von ausgelaufenem Dieselöl auf Dassen und Robben Island zutrieben, auf zwei ihrer bevorzugten Massennistplätze. Kurz entschlossen meldeten sich Tausende und Abertausende von Freiwilligen, um die flugunfähigen Insulaner zu retten. 20000 Vögel wurden per Helikopter in eine verlassene Eisenbahnhalle im Hafen von Kapstadt evakuiert. Dort arbeitete eine regelrechte Umweltarmee im Schichtdienst, Tag und Nacht.

Die Helfer putzten das Gefieder der ölverklebten Flossenfüßer mit Zahnbürsten und stellten sie unter die Dusche; bei manchen waren bis zu 15 Waschgänge nötig. Die Jungvögel erhielten eine Spezialkost, pürierte Sardinen, dazu Vitaminpillen. Durchfrorene Tiere wurden mit Infrarotlampen gewärmt, manche erhielten sogar gestrickte Wollpullis.

15000 Pinguine verpackten die Helfer in Pappkartons, um sie auf Schaftransportern ins 800 Kilometer entfernte Port Elizabeth zu verfrachten – in der Hoffnung, dass sich der Ölteppich auflösen würde, während die Schwimmvögel, vom Heimatinstinkt geleitet, an ihre angestammten Habitate am Kap zurückkehren.

Man sprach seinerzeit von der größten Aktion, die je zur Rettung von Seevögeln unternommen wurde, und die Internationale der Tierfreunde war hingerissen: das überwältigende Mitgefühl, die spontanen Spenden, der unermüdliche Einsatz von sage und schreibe 40000 Nothelfern, die fast ausschließlich Weiße waren – wahrlich, so viel Gutmenschentum hatte man im neuen Südafrika noch nie gesehen.


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mare No. 30

No. 30Februar / März 2002

Von Bartholomäus Grill und Henner Frankenfeld

Bartholomäus Grill, Jahrgang 1955, ist Südafrika-Korrespondent des Hamburger Wochenblatts Die Zeit. Dies ist sein erster Beitrag für mare.

Der Fotograf Henner Frankenfeld, geboren 1967, kam 1992 von Deutschland nach Südafrika. Sein Rat gegen „böse“ Pinguine: immer mit Schuhen an den Strand.

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Vita Bartholomäus Grill, Jahrgang 1955, ist Südafrika-Korrespondent des Hamburger Wochenblatts Die Zeit. Dies ist sein erster Beitrag für mare.

Der Fotograf Henner Frankenfeld, geboren 1967, kam 1992 von Deutschland nach Südafrika. Sein Rat gegen „böse“ Pinguine: immer mit Schuhen an den Strand.
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Vita Bartholomäus Grill, Jahrgang 1955, ist Südafrika-Korrespondent des Hamburger Wochenblatts Die Zeit. Dies ist sein erster Beitrag für mare.

Der Fotograf Henner Frankenfeld, geboren 1967, kam 1992 von Deutschland nach Südafrika. Sein Rat gegen „böse“ Pinguine: immer mit Schuhen an den Strand.
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