Die Goldfischer von Pinut-An

In einem entlegenen Dorf auf der philippinischen Insel Leyte suchen die Bewohner mit einfachen Mitteln im Meer nach Gold. Das macht sie nicht reich, aber zufrieden

Es ist brütend heiß, als Ernie Gaylo, 68 Jahre alt, ein kleiner Mann mit schütterem Haar und Zahnlücken, voller Tatendrang den Abhang zwischen Straße und Strand hinabklettert. Er hält sich an Bambusstauden fest, rutscht aus, rappelt sich auf und streicht Schmutz und Erde von seiner Hose, als er unten ankommt. „Puh“, sagt er, wischt sich den Schweiß von der Stirn und blinzelt in die Sonne. Schwüle Luft klebt wie ein feuchtes Laken am Körper. 

Wellen brechen am Kiesstrand, knatternde Kompressoren am Ufer pumpen Pressluft durch Plastikschläuche, die ins Meer führen, wo sie wie Tentakel im Wasser treiben; der Wind schäumt die Spitzen der Wellen auf. Gaylo zeigt auf einen Punkt im Meer, etwa 50 Meter vom Strand. Dort hinten liegt sein Fels. „Ich bin mir sicher, dass ich dort Gold finde“, sagt Gaylo. Und deshalb hat er beschlossen, diesen Schatz endlich zu heben. 

Der alte Mann will es noch einmal wissen. Seit 30 Jahren, seit er diesen Brocken zum ersten Mal bei einem Bootsausflug gesehen hat, spukt dieser Fels in seinem Kopf herum. Ein von Korallen überwucherter Gesteinsklumpen, bestimmt sechs Meter hoch, dessen Spitze nur bei Ebbe aus dem Wasser ragt. Drei Jahrzehnte hat sich kein anderer Goldsucher um diesen Felsen gekümmert – zu groß, zu weit im Meer, zu tief. 

An diesem Morgen ist Gaylo gekommen, um einen Platz zu suchen, von dem aus er seine Operation durchführen kann. Er muss einen Unterstand für einen weiteren Kompressor bauen lassen, den er zwei Wochen zuvor im Internet bestellt hatte und der gestern geliefert wurde. Er muss berechnen, wie lang die Luftschläuche sein müssen, die ins Meer führen. Er überlegt, welche Taucher er einstellen will. Von diesen Fragen hängt sein Erfolg ab.

Der alte Goldsucher weiß, was er tut. Schon Gaylos Vater hat in den 1940er-Jahren für ein US-Minenunternehmen gearbeitet. Der Sohn trat in seine Fußstapfen, studierte Geologie und arbeitete jahrzehntelang als Vermesser für große Bergbaufirmen. Auf seinem Grundstück hat er einen Stollen, in dem zwei Männer für ihn nach Gold suchen. Gut zwei Kilogramm Gold hat er selbst in seinem Leben herausgeholt. Wer etwas über Gold wissen möchte, der kommt zu Ernie Gaylo. 

„Der feine Sand vor der Küste von Pinut-an enthält Gold, das sich über Jahrhunderte durch natürliche Abtragung, Erosion und Wellenschlag abgelagert hat“, erzählt Gaylo. Schon während der Zeit der spanischen Eroberer Ende des 16. Jahrhunderts zogen die Vorkommen von Pinut-an an der Küste der Insel Leyte Goldsucher und Glücksritter an. Die amerikanischen Kolonialherren versuchten, kommerziellen Abbau zu betreiben, gruben Stollen in die Berge. Aber erst in den 1970er-Jahren begannen Einheimische, im Meer nach dem Edelmetall zu suchen. 

Seit 50 Jahren leben die Bewohner Pinut-ans vom Gold. Es ist, als habe die Natur die Menge gerade richtig dosiert: zu wenig, um Neid und Missgunst zu wecken, ausreichend, um der Armut zu entkommen. Wer Glück hat, kann es zu bescheidenem Wohlstand bringen. „Das Meeresgold ist sehr sauber, fast wie massives Gold, mit sehr wenigen Verunreinigungen. Und es ist noch genug für alle da“, sagt Gaylo. Aber zu wenig für kommerzielle Betreiber. Kein nationales Goldfieber, keine Gier nach Gold, keine Maschinen, die die Berge und Strände abtragen. 

Pinut-an ist ein idyllischer, verschlafener Ort, eingeklemmt zwischen Pazifik und Hügeln, an denen sich die einzige Straße entlangwindet, die das Dorf mit dem Rest der Insel Leyte verbindet. Morgens um halb sechs fährt ein klappriger Bus in die Provinzhauptstadt Tacloban, fünf Stunden entfernt. Tagsüber, wenn die Hitze unerträglich wird, wirkt das Dorf wie ausgestorben. 

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mare No. 150

mare No. 150Februar / März 2022

Von Carsten Stormer und Claudio Sieber

Monatelang konnte Carsten Stormer, Jahrgang 1973, Reporter in Manila, nicht mit der Recherche beginnen. Erst war die Coronainzidenz zu hoch, dann das Meer zu unruhig, schließlich kam der Monsun. Irgendwann schaffte er es doch noch zu den Goldfischern.

In Pinut-an ging der Tauchversuch von Claudio Sieber, geboren 1981, Multimediajournalist in Siargao, Philippinen, ziemlich schief: Als unter Wasser der Druckluftschlauch aus seinem Mund schoss, verlor er die Nerven. Aus der Nase blutend, gab er auf.

Kurz vor Redaktionsschluss erreichte uns die Nachricht, dass ein Taifun das Zentrum der Philippinen und auch Pinut-an getroffen hat. Von Todesopfern im Dorf ist bislang nichts bekannt. Derzeit seien die Menschen damit beschäftigt, die Schäden zu beheben und Wasser und Lebensmittel zu organisieren.

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Vita

Monatelang konnte Carsten Stormer, Jahrgang 1973, Reporter in Manila, nicht mit der Recherche beginnen. Erst war die Coronainzidenz zu hoch, dann das Meer zu unruhig, schließlich kam der Monsun. Irgendwann schaffte er es doch noch zu den Goldfischern.

In Pinut-an ging der Tauchversuch von Claudio Sieber, geboren 1981, Multimediajournalist in Siargao, Philippinen, ziemlich schief: Als unter Wasser der Druckluftschlauch aus seinem Mund schoss, verlor er die Nerven. Aus der Nase blutend, gab er auf.

Kurz vor Redaktionsschluss erreichte uns die Nachricht, dass ein Taifun das Zentrum der Philippinen und auch Pinut-an getroffen hat. Von Todesopfern im Dorf ist bislang nichts bekannt. Derzeit seien die Menschen damit beschäftigt, die Schäden zu beheben und Wasser und Lebensmittel zu organisieren.

Person Von Carsten Stormer und Claudio Sieber
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Monatelang konnte Carsten Stormer, Jahrgang 1973, Reporter in Manila, nicht mit der Recherche beginnen. Erst war die Coronainzidenz zu hoch, dann das Meer zu unruhig, schließlich kam der Monsun. Irgendwann schaffte er es doch noch zu den Goldfischern.

In Pinut-an ging der Tauchversuch von Claudio Sieber, geboren 1981, Multimediajournalist in Siargao, Philippinen, ziemlich schief: Als unter Wasser der Druckluftschlauch aus seinem Mund schoss, verlor er die Nerven. Aus der Nase blutend, gab er auf.

Kurz vor Redaktionsschluss erreichte uns die Nachricht, dass ein Taifun das Zentrum der Philippinen und auch Pinut-an getroffen hat. Von Todesopfern im Dorf ist bislang nichts bekannt. Derzeit seien die Menschen damit beschäftigt, die Schäden zu beheben und Wasser und Lebensmittel zu organisieren.

Person Von Carsten Stormer und Claudio Sieber