Die Frau der Fischer

Islands Fischer machten Vigdís Finnbogadóttir zum ersten demokratisch gewählten weiblichen Staatsoberhaupt der Welt

mare: Vigdís, Sie arbeiteten als Französischlehrerin, Reiseleiterin, traten im Fernsehen und im Radio auf, waren Direktorin am Reykjavíker Theater. Dann wurden Sie 1980 als erste Frau zum Oberhaupt eines Landes gewählt. Zufall? Oder war Island fortschrittlicher als der Rest der Welt?

Vigdís Finnbogadóttir: Damals kamen viele Menschen auf mich zu: Tritt an! Kandidiere! Zeige, dass Frauen es können! Aber ich war mir nicht sicher, ob ich es kann. Dann erhielt ich ein Telegramm aus den Westfjorden, ganz schlicht: „Wir, die Besatzung der ,Guðbjartur‘, fordern Sie auf zu kandidieren.“ Wahrscheinlich ist das das schönste Telegramm, das ich je in meinem Leben erhalten habe. Wenn die Fischer an mich glauben, warum dann nicht auch ich? Während des gesamten Wahlkampfs begleitete mich die Besatzung mit aufmunternden Briefen und guten Wünschen. Andere Seeleute schlossen sich an.

 

Fischer, die eine Frau ermutigen, als Präsidentin zu kandidieren – was sagt das über das Verhältnis der Geschlechter in Island?

Island ist ein Land der Fischer. Und Fischer wissen, wie stark Frauen sind. Sie wissen aus eigener Erfahrung, dass Frauen Haus und Hof zusammenhalten, wenn sie auf dem Meer unterwegs sind.

 

In Deutschland heißt es: Ohne Volkswagen kein Kanzler Gerhard Schröder. Sind Fischer in Island – was die Autobauer in Deutschland sind – denn ein starker Machtfaktor? Wie lang ist der Arm der Fischlobby?

Auch wenn die Fischindustrie wichtig für dieses Land ist, kann man Präsident werden ohne Unterstützung der Fischer. Aber es wärmte mein Herz, als ich dieses Telegramm von den Fischern bekam.

 

Island führt fast jeden internationalen „Better life“-Index an und ist auch bei der Gleichberechtigung Nummer eins. Es hat die meis­ten Geburten in Europa, zugleich die meisten berufstätigen Frauen und die höchste Geburtenrate unverheirateter Frauen. Sie selbst adoptierten 1972 ein Kind – als erste Singlefrau nicht nur Islands, sondern Europas. Waren Islands Männer so häufig auf See, dass die Frauen stark sein mussten?

Schon 1915 bekamen wir das Frauenwahlrecht. Auch die Unabhängigkeit von Dänemark 1944 hatte einen großen Einfluss, nämlich auf die Unabhängigkeit des Denkens. Die Emanzipation der Nation war zugleich eine Emanzipation der Frauen. Und heute gibt es in Island mehr Frauen an den Universitäten als in jedem anderen Land der Welt. Sicher war auch der „Women’s Day Off“ 1975 ein Meilenstein. Am 24. Oktober 1975 legten 90 Prozent der Isländerinnen ihre Arbeit nieder. Banken, Schulen, Fisch­fabriken mussten schließen. Dieser Tag war ein großer Schritt auf dem Weg zur Emanzipation der Frauen in Island. Dieser Tag paralysierte das Land und öffnete vielen Männern die Augen.

 

Trotzdem gab es Vorbehalte gegen Ihre Kandidatur.

Ich war geschieden und obendrein alleinerziehende Mutter. Ein Staatsoberhaupt ohne Partner – das gehörte sich nicht. Aber ich bin im öffentlichen Leben, auf Festen und anderen Veranstaltungen auch ohne einen Mann an meiner Seite ganz gut zurechtgekommen.

 

Außerdem plädierten Sie für einen Abzug der amerikanischen Streitkräfte aus Island. Auch deshalb gab es Widerstand gegen Ihre Kandidatur, denn die Amerikaner waren eine wichtige isländische Einnahmequelle.

Ich habe in den 1950er-Jahren in Grenoble und Paris Literatur studiert. Auf dem Weg dorthin bin ich mit dem Zug durch Deutschland gefahren und habe die Zerstörungen des Krieges gesehen. Das hat mich zur Pazifistin gemacht. Seitdem stand der Frieden für mich immer an erster Stelle.


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mare No. 120

No. 120Februar / März 2017

Von Dimitri Ladischensky und Mathias Bothor

mare-Redakteur Dimitri Ladischensky und Fotograf Mathias Bothor trafen Vigdís Finnbogadóttir im Nordischen Haus in Reykjavík, einem Kulturzentrum, in dem sie häufiger zu Mittag isst. ­Die ehemalige Staatspräsidentin, deren freundliches Gesicht die Isländer beim Einkaufen, im Schwimmbad oder in Kunstgalerien sofort erkennen, ist zugänglich geblieben und offenbar immer noch sehr beliebt. Das kurze Interview wurde ­bestimmt fünfmal unterbrochen, weil jemand ein Selfie mit ihr machen wollte.

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Vita mare-Redakteur Dimitri Ladischensky und Fotograf Mathias Bothor trafen Vigdís Finnbogadóttir im Nordischen Haus in Reykjavík, einem Kulturzentrum, in dem sie häufiger zu Mittag isst. ­Die ehemalige Staatspräsidentin, deren freundliches Gesicht die Isländer beim Einkaufen, im Schwimmbad oder in Kunstgalerien sofort erkennen, ist zugänglich geblieben und offenbar immer noch sehr beliebt. Das kurze Interview wurde ­bestimmt fünfmal unterbrochen, weil jemand ein Selfie mit ihr machen wollte.
Person Von Dimitri Ladischensky und Mathias Bothor
Vita mare-Redakteur Dimitri Ladischensky und Fotograf Mathias Bothor trafen Vigdís Finnbogadóttir im Nordischen Haus in Reykjavík, einem Kulturzentrum, in dem sie häufiger zu Mittag isst. ­Die ehemalige Staatspräsidentin, deren freundliches Gesicht die Isländer beim Einkaufen, im Schwimmbad oder in Kunstgalerien sofort erkennen, ist zugänglich geblieben und offenbar immer noch sehr beliebt. Das kurze Interview wurde ­bestimmt fünfmal unterbrochen, weil jemand ein Selfie mit ihr machen wollte.
Person Von Dimitri Ladischensky und Mathias Bothor