Die fetten Jahre sind vorbei

In kaum zwei Jahrzehnten ist die Miesmuschelwirtschaft an der deutschen Nordseeküste nahezu zusammmengebrochen. Nur noch eine Handvoll „Bauern der Meere“ versucht mit aufwendigen Zuchtanlagen das völlige Ende abzuwenden

Wenn Paul Wagner an die 1990er-Jahre zurückdenkt, gerät er ins Schwärmen. An Bord der Fischkutter führten Models den jüngsten Chic vor, Shantychöre schmetterten Lieder, Touristen tuckerten mit den Kuttern aufs Meer – die Eröffnungsfeiern der Muschelsaison waren rauschende Feste. Wagner ist Chef von FK Zeeland Muscheln in Wyk auf Föhr, dem letzten Muschelfischerbetrieb auf der Insel. In Spitzenjahren wie 1992 holten die Fischer mehr als 40 000 Tonnen Miesmuscheln aus dem Meer. Große Party, volle Netze – „das waren die besten Jahre“, sagt Wagner.

Von solchen Mengen sind die sechs Miesmuschelfischer auf Sylt und Föhr inzwischen weit entfernt. Die Bestände vor der deutschen Küste sind eingebrochen – um über 90 Prozent im Vergleich zu 1992. Vor der deutschen Nordseeküste fischen nur noch zehn Betriebe mit 13 Kuttern nach der Delikatesse.

„Bauern der Meere“ nennen sie sich selbst. Denn die Fischer müssen ihre Muscheln erst einmal säen, bevor sie diese später ernten. Dafür fahren sie im Frühjahr mit sogenannten Dredgen über den Meeresboden. Das sind Stahlbügel mit angehängtem Netz, die einmal über den Meeresboden und die Muschelbank geschleppt werden und so die winzigen Besatzmuscheln einsammeln. Diese sind gerade so groß wie Kaffeebohnen, können sich aber mit ihren Byssusfäden fest am Meeresboden verankern.

Die Fischer legen die gefangenen Wildmuscheln auf ruhiger gelegenen Kulturflächen im Wattenmeer aus. Weil sie einmal voneinander getrennt und neu ausgebreitet wurden, haben die Miesmuscheln hier mehr Platz zum Wachsen. Das Wattenmeer ist das ideale Ackerland – ab einer Tiefe von zehn Metern wird es Miesmuscheln nämlich zu dunkel. Die Fischer dürfen die Jungmuscheln freilich nur aus den Bereichen des Wattenmeers holen, die nicht trockenfallen. Dort, wo sich das Meer bei Ebbe gänzlich zurückzieht, ist Fischen tabu, zum Schutz der Natur.

Nach zwei Jahren sind die Muscheln mit etwa fünf Zentimeter Länge reif genug, um sie zu ernten und sie ins niederländische Yerseke zu bringen. Dort findet zu Hochzeiten, im Spätsommer, zweimal am Tag Europas größte Muschelauktion statt. Seit Jahrzehnten haben die Niederländer Europas Muschelgeschäft fest in der Hand: Ihre Flotte ist zehnmal so groß wie die deutsche, im Großhandel kommen sechs niederländische Händler auf einen Marktanteil von 60 Prozent.

Zwar ist auch in niederländischen Gewässern der Bestand eingebrochen. Trotzdem können sie das Geschäft im großen Stil weiterbetreiben, weil sie nicht nur im streng regulierten Wattenmeer Miesmuscheln fangen können, sondern auch in der Oosterschelde, einem Meeresarm im Mündungsdelta von Rhein, Maas und Schelde. Die Firmen verkaufen nach Frankreich, ins Rheinland und vor allem nach Belgien. In keinem anderen europäischen Land sind Miesmuscheln so begehrt. Während in Deutschland die Muschel einen eher geringen Stellenwert hat und gerne in der Großkantine in der Pastasauce oder im Salat landet, achten die Belgier auf Qualität und sind bereit, mehr für ein Kilogramm frische Muscheln zu zahlen. Als Muschelfischer auf Föhr wisse man genau, wann in Belgien die Sommerferien beginnen, sagt Wagner. „Dann steigen Nachfrage und Preise rasant an.“


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mare No. 105

No. 105August / September 2014

Von Marlies Uken

Marlies Uken, Jahrgang 1977, Autorin in Berlin, erinnert sich gut an ihre ersten Miesmuscheln vor 15 Jahren in Belgien. Dazu gab’s Pommes, heiß und fettig.

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Vita Marlies Uken, Jahrgang 1977, Autorin in Berlin, erinnert sich gut an ihre ersten Miesmuscheln vor 15 Jahren in Belgien. Dazu gab’s Pommes, heiß und fettig.
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Vita Marlies Uken, Jahrgang 1977, Autorin in Berlin, erinnert sich gut an ihre ersten Miesmuscheln vor 15 Jahren in Belgien. Dazu gab’s Pommes, heiß und fettig.
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