Die Erfindung des Paradieses

Einst entlegene Inseln im Indischen Ozean sind heute Luxus­­­- des­ti­­n­ationen. Die Bewohner zahlen dafür einen hohen Preis


Die erstaunliche Karriere der „Inselparadiese“ im Indischen Ozean – das sind die Seychellen, die Komoren mit Grande Comore und Mayotte, Nosy Be, La Réunion, Mauritius, die Malediven und Sansibar – begann erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts. Es war der Zeitpunkt, als die Geheimtipps für Weltreisende – sowohl Wohlhabende als auch Aussteiger in Südasien und Südostasien, in Bali, Thailand, Ceylon, Goa – vom Massentourismus ebenso überrollt wurden wie das weltweit berühmteste „Inselparadies“ im Pazifik, Hawaii.

Doch nicht die aus ihren Strandhütten Vertriebenen flüchteten sich zu den verstreut im Ozean liegenden Inseln zwischen Indien und Afrika. Es waren erstaunlicherweise die Gutverdiener der westlichen Welt und die zur Millenniumswende in Erscheinung tretenden arabischen und indischen Dollarmillionäre, die sich unter der wohlwollenden Zustimmung der Inselherrschenden hier ihre irdischen Paradiese erschufen. Ihre Kennzeichen waren Abgeschiedenheit und luxuriöse Exklusivität.

Obwohl der Indische Ozean seit dem Altertum eines der meistbefahrenen und meistbeschriebenen Weltmeere war, über das der gesamte Handel zwischen Indien, Arabien, dem Mittleren Osten, Europa und bis hin nach Fernost abgewickelt wurde, gehörten die kleinen Inselgruppen in seiner Mitte zu den Vergessenen der Weltgeschichte.

Die ersten Europäer, die diesen Ozean befuhren, die Portugiesen, benötigten mit ihren schnellen Karavellen bei seiner Überquerung keine Erfrischungsstationen. Sie konnten also die Inseln links liegen lassen. Sie waren für sie ohne jegliches Handels- oder Rohstoffinteresse, meist gar nicht bevölkert oder zu weit von der schnellsten Route entfernt. Aber auch besiedelte Inseln wie Sansibar und die Komoren lohnten nicht die Auseinandersetzung mit ihren einheimischen oder arabischen Statthaltern. Und ebensowenig benötigten die portugiesischen Handelsfahrer die Unterstützung der als kriegerisch geltenden Malediver, deren korallenbewehrter Archipel eine Gefahr für alle Großsegler darstellte.

Die jahrhundertelange Vergessenheit wurde im Zeitalter der globalen Öffentlichkeit und Medialisierung zu Beginn des 21. Jahrhunderts für einige von ihnen ein profitträchtiger Wirtschaftsfaktor. Wenn in unseren Tagen fast jeder Erdenbewohner, von den Azoren bis Kamtschatka, von Alaska bis Feuerland, so exotische Namen wie Sansibar, Malediven, Seychellen oder Mauritius kennt, liegt das einerseits an einem Übermaß effizienter Ver- marktungspropaganda, andererseits aber auch an dem ungebrochenen Mythos der im Irgendwo eines tiefblauen Ozeans liegenden Paradiesinsel. Die vom Zeitgeist wiederentdeckten Eilande boten die gewünschte Mischung aus einer mittleren Distanz zum Weltentrubel und gezähmter Exotik.

Sie bargen „die Quintessenz des exotischen Traumes“, waren „ein Ort, um die Welt zu überdenken“, oder auch nur „Juwelen der Meeresnatur“. Sprachlich waren Steigerungen kaum mehr möglich – und zwar in allen großen Weltidiomen, ob auf Deutsch, Portugiesisch, Englisch, Französisch, Spanisch, Chinesisch, Hindi, Russisch, Arabisch, Japanisch oder Farsi. „Sindbad der Seefahrer“ mit seinen märchenhaften Übertreibungen lässt grüßen.

Unabhängig von den realen Gegebenheiten der Landschaft, der Bevölkerung, der Sprache, der Religion oder der wirtschaftlichen Ausrichtung wurden zwischen Granitfelsen, auf Korallenatollen, an sumpfigen Nehrungen, an Vulkanhängen oder auf Holzpfeilern mitten im Ozean „luxuriöse Verstecke an jungfräulichen Stränden ganz nahe an der Natur geschaffen“. Neben dem milden Klima, der Abgeschiedenheit und der Rundumversorgung spielte vor allem das Leben unter Wasser eine bedeutende Rolle für den Erfolg solcher künstlicher Implantate.

Die Inseln im Indischen Ozean hatten für Experten und Laien eine noch nicht in allen Einzelheiten vermessene, kartografierte, sezierte Unterwasserwelt zu bieten. Die über dem Wasser liegende Infrastruktur diente als Basislager zur Erkundung der unter dem Wasser wartenden „Paradiese“. Denn anders als bei dem Prototyp, dem Garten Eden, verlängerte man im 21. Jahrhundert den Paradiesbegriff weit hinein in die Tiefe der Weltmeere. Zur Perfektion gelangte diese Anordnung von luxuriösem Inselambiente und spektakulärer Meeresunterwelt auf den Malediven. Nirgendwo sonst lagen Land und Wasser so nahe beieinander, oft nur einen Schritt weit getrennt.


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mare No. 105

No. 105August / September 2014

Von Ursula Daus

Ursula Daus, Jahrgang 1953, ist Diplom-Soziologin und Architekturkritikerin. Von 1980 bis 1990 war sie Redakteurin von Daidalos – Architektur, Kunst, Kultur in Berlin, seit 1997 ist sie Chefredakteurin von „Kosmopolis – Interkulturelle Zeitschrift aus Berlin“. Sie schreibt regelmäßig auch für den Berliner Tagesspiegel, Lettre International sowie Architekturzeitschriften.

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Vita Ursula Daus, Jahrgang 1953, ist Diplom-Soziologin und Architekturkritikerin. Von 1980 bis 1990 war sie Redakteurin von Daidalos – Architektur, Kunst, Kultur in Berlin, seit 1997 ist sie Chefredakteurin von „Kosmopolis – Interkulturelle Zeitschrift aus Berlin“. Sie schreibt regelmäßig auch für den Berliner Tagesspiegel, Lettre International sowie Architekturzeitschriften.
Person Von Ursula Daus
Vita Ursula Daus, Jahrgang 1953, ist Diplom-Soziologin und Architekturkritikerin. Von 1980 bis 1990 war sie Redakteurin von Daidalos – Architektur, Kunst, Kultur in Berlin, seit 1997 ist sie Chefredakteurin von „Kosmopolis – Interkulturelle Zeitschrift aus Berlin“. Sie schreibt regelmäßig auch für den Berliner Tagesspiegel, Lettre International sowie Architekturzeitschriften.
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