Die digitalen Sheriffs der Meere

Ein israelisches Start-up sagt der illegalen Schifffahrt den Kampf an. Sie registriert sämtliche Schiffsbewegungen auf den Meeren – schwere Zeiten für Piraten

Im 35. Stock eines Glasturms im Osten von Tel Aviv sitzt Exgeheimdienstler Meidan Brand vor seinem Laptop. Auf dem Bildschirm wimmelt es von bunten Linien: Sie zeichnen die Routen aller größeren Schiffe nach, die derzeit auf den Weltmeeren unterwegs sind. Er tippt einen Befehl, und die Seekarte zoomt Richtung Nordkorea. „Ein Schmuggelhotspot“, kommentiert Brand.

Eine Linie kommt ihm verdächtig vor. Auf dem Weg von China nach Nordkorea macht sie einen Kringel im Nirgendwo. „Das Schiff ist hier drei Tage vor Anker gegangen, das macht keinen Sinn.“ Er tippt auf die Maus, und ein Steckbrief ploppt auf: Besitzer, Größe, Ziel und Fracht. Gerade schlägt das Schiff einen neuen Kurs ein. Das System meldet nun eine andere Nationalität, außerdem scheint der Frachter drei Meter gewachsen zu sein – und mitten auf dem Meer die Ladung gewechselt zu haben. Ami Daniel guckt an seinem Kollegen vorbei durch das Panoramafenster auf das Meer. „Wir schauen nur bis zum Horizont“, sagt der 33-Jährige. „Dahinter liegt der Wilde Westen.“ Sein rundes Jungengesicht wirkt zufrieden dabei.

Sieben Jahre lang diente Daniel als Offizier auf einem Kriegsschiff, aber Daniel ist kein Soldat mehr. Er ist jetzt Geschäftsmann. Und er wähnt sich im Besitz einer exklusiven digitalen Kristallkugel. Hinter einer Armada von Rechnern sitzt seine 70-köpfige Mannschaft aus Turnschuhträgern: IT-Spezialisten, Datenexperten, Risikomodellbastler. Sie entwickeln und hegen die erste maritime Datenbank der Welt: Schiffskoordinaten von bislang fünf Jahren, und täglich kommen mehr als 250 Millionen Pünktchen dazu.

Ein Hauch Kapitänsstube, dazu Hafenindustriechic und viel Glas, also Transparenz – so präsentiert Daniel die Schnittstelle von Alter und Neuer Welt, von traditioneller Seefahrt und Cybertech. Als Dekoration liegen nautische Geräte herum, der Firmenname hängt verschlüsselt im Flaggenalphabet an der Wand. „Windward“, die Luvseite: Als Kriege noch mit Segelschiffen geführt wurden, war das die wendige Angriffsposition. Das Unternehmen wird nicht nur von dem ehemaligen Generalstabschef der israelischen Armee beraten, die Streitkräfte gehören auch zu Windwards treuesten Kunden.

Als Daniel die Firma 2010 mit seinem Partner Matan Peled gründete, zitterte die Handelsseefahrt vor somalischen Piraten. Die beiden, auf der Suche nach einer bürgerlichen Karriere, wollten die Ersten sein, denen es gelingt, die Meere systematisch zu überwachen – und das Wissen zu Geld zu machen. Zumal am Horizont ein Silberstreif schimmerte: Erstmals wurden kommerzielle Satelliten ins All geschossen, und damit auch AIS-Empfänger.

AIS, das Automatische Identifikationssystem, wurde entwickelt, um Kollisionen zwischen großen Schiffen zu vermeiden. Auf hoher See sind alle Passagierschiffe und Frachter, die mehr als 300 Bruttoraumzahlen (BRZ) messen, verpflichtet, einen Transceiver, einen Sende-Empfänger, an Bord zu haben; im nationalen Verkehr gilt das für Schiffe über 500 BRZ.

Die Sender übermitteln alle zwei Sekunden Kurs, Position, Geschwindigkeit und Identität an Schiffe in der Umgebung oder an Küstenstationen. Oder ins All an Satelliten. Dank der Empfänger im Orbit können die Daten nun rund um den Globus gebündelt werden. Gab es bis dahin gar keine Daten, fluten sie jetzt das Netz.

Denn bald beteiligten sich auch Open-Source-Plattformen am Sammeln und ermutigten Hobbynautiker, selbst AIS-Empfänger aufzustellen. Auf interaktiven Seekarten kann man nun jedes der 200 000 Schiffe, das mit einem Sender ausgerüstet ist, in Echtzeit verfolgen. Und jeder hat Zugriff. Zumindest in der Theorie.

Denn Websites wie marinetraffic.com zeigen zwar ein Wimmelbild des internationalen Schiffsverkehrs. Aber selbst, wer sich die Mühe macht, jedes symbolische Schiffchen anzuklicken, kann sich nur bedingt auf die Details verlassen. Das AIS wurde für die Sicherheit auf See entwickelt und nicht als elektronische Fußfessel. Es gibt kein Kontrollorgan, die Daten sind weder verschlüsselt, noch ist die Übertragung aus der Cloud besonders zuverlässig: Am anderen Ende sitzt immer noch ein Mensch.

Zudem wissen die Kapitäne jetzt, dass ihre Aktivität global verfolgt werden kann. „Wer etwas verbergen will, manipuliert seine Identität mit dem AIS ebenso einfach wie die Ladung oder seinen Kurs“, sagt Daniel. Und dazu muss man nicht einmal selbst an Bord sein. Die Cyber-Security-Firma Trend Micro zeigte, wie man mit Hardware für 200 US-Dollar Datenpakete in die Server schleust. Auf marinetraffic.com versetzten sie ein Schiff vom Missouri in einen See in Texas. Ohne viel Aufwand lassen sich so auch Phantomschiffe auf die Ozeane zaubern. Und andersherum könnten Piraten anvisierte Opfer einfach verschwinden lassen.


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mare No. 128

Juni / Juli 2018

Von Agnes Fazekas

Autorin Agnes Fazekas, Jahrgang 1981, lebt in Tel Aviv. In der Start-up-Stadt fand sie den Blick aufs Meer immer beruhigend – bis sie die Datensheriffs von Windward traf.

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Vita Autorin Agnes Fazekas, Jahrgang 1981, lebt in Tel Aviv. In der Start-up-Stadt fand sie den Blick aufs Meer immer beruhigend – bis sie die Datensheriffs von Windward traf.
Person Von Agnes Fazekas
Vita Autorin Agnes Fazekas, Jahrgang 1981, lebt in Tel Aviv. In der Start-up-Stadt fand sie den Blick aufs Meer immer beruhigend – bis sie die Datensheriffs von Windward traf.
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