Die „Black Gang“ im Einsatz

Wie Rotterdam, der weltgrößte Umschlagplatz, das europäische Festland­ vor Drogen schützt

Das Tor nach Europa ist 50 Kilometer lang und durchschnittlich zehn Kilometer breit. Es ist zugleich eine offene Wunde: Hier dringen täglich Tausende von Fremdkörpern ein, gefährliche, ungewollte. Man braucht ein gutes Auge, ein schnelles Hirn. Es bedarf einer hochorganisierten Verteidigung, von allen europäischen Staaten mit höchster Verantwortung betraut. So effektiv, so machtvoll diese aber auch ist: Sie ist immer zugleich eine machtlose. Die Wunde Europas ist der größte Hafen der Welt. Mündung von Rhein und Maas, Einlass für jährlich über 300 Millionen Tonnen Güter, für fünfeinhalb Millionen Container, 36000 Seeschiffe und Supertanker, für 12000 Binnenschiffe. Einlass für Kokain, Heroin, Zigaretten, für Alkohol, exotische Tiere.

Betätigungsfeld für Menschenschmuggler, für viele arme Teufel das vermeintliche Tor zum Paradies. Der Rotterdamer Hafen: Synonym für die beschützte Pforte nach Europa.

Ein bedeckter Nordseemorgen. Einige Böen Westwind. Tausende Tentakel greifen nach ungelöschter Fracht; stille, mechanisch-anonyme Betriebsamkeit in einer kalten Welt aus Stahl. Das bräunliche Hafenwasser krabbelt, rauscht und quirlt durch allerlei Schiffsschrauben. Gemäßigter Wellengang, Krächzen der Seemöwen. Die „Black Gang“, das 7. Überwachungsteam des Rotterdamer Hafenzolls, hat aus dem daueraktiven Elektronengeflecht im Computerzentrum einen „code red“ bekommen: das Frachtgut, das Schiff selbst, die Crew überprüfen.

Sechs der sieben Zollteams prüfen nur Papiere und die Fracht, und deswegen ist die „Black Gang“, die Spezialeinheit, eine mittlere Berühmtheit. Sieben blendend verfasste Beamte, je mit hartem Händedruck, Pistole, Handschellen, mit Taschenlampe, Funk und persönlichem Peilsender eilen auf dem wendigen „Aalscholver“, einem der drei Kontrollboote, in den Waalhaven. Sie ziehen sich um, legen Röntgen-, Sauerstoff- und Sprengstoffmessgerät an.

Es muss schnell gehen beim „code red“. Vor wenigen Minuten ist ein Frachter aus St. Petersburg eingelaufen, hatte zuvor, von der Nordsee kommend, Hoek van Holland passiert, dann weitere sechs Melde- und Radarstationen, war jeden Hafenmeter unter Aufsicht, zwei Stunden lang. Die „Sabur“ fährt unter der Flagge von Belize, die Crew besteht aus Russen. „Code red“ heißt Zugriffszwang, Gefahrstufe eins, Vorsicht. „Code orange“ heißt erhöhte Bereitschaft, „code green“ ist das Okay vom Hirn.

Herkunft, Zielort, Gewicht, Ladung, Tiefgang, Länge, Crew, Hafenstopps, ja einfach alles – die bei jedem einlaufenden Schiff umfassende Datenrecherche der Risikoanalyse aus dem Intelligenzzentrum im Zollgebäude hatte die „Sabur“, die vor kurzem den Namen gewechselt hat, als vor einem Jahr bereits durchsucht wiedererkannt: die Lloyd’s-Nummer, eine Art Versicherungskennzeichen, ist immer dieselbe. Wer einmal auffällig gewesen ist, bleibt es sein Schiffsleben lang. Prinzipiell sensibelste Aufmerksamkeit widmen Zoll und Polizei Erstankömmlingen und ohnehin allen Schiffen aus Südamerika, vor allem aus Kolumbien.

Schon auf See werden sie in Begleitschutz genommen, ihre Besatzung in Überwachung oder Vorbeugehaft. Taucher stehen bereit und die Drogenhunde.

Seit Jahrzehnten ist der Rotterdamer Hafen Anlaufstation für die kolumbianische Drogenmafia. Und da 40 Prozent aller Güter nach Europa die Wunde des Kontinents passieren, tun es auch einige Taschen Kokain. Von der wie auch immer großen oder kleinen Menge Drogen, die jährlich in Beschlag genommen wird, dient nur die Hälfte zur Deckung des Bedarfs niederländischer Nutzer. Der Rest geht per Binnenschiff, Zug, Lkw oder Pkw in die anderen europäischen Staaten. Die Drogenszene Rotterdams ist überschaubar und bekannt. Die Mafia hat Kontinentales im Blick.

Nach fünfzehn Minuten: der Waalhaven, die Pier, die Positionsnummer. Da liegt der Frachter.

Seine Ladung sind alte Maschinen, auf den ersten Blick. Die Jungs der „Black Gang“ schwingen sich an Bord, in tieforangenen Overalls nun, zwei nach vorn, zwei nach hinten, drei in die Kabinen; niemals allein. Kontaktaufnahme mit dem Kapitän, Ladung inspizieren, die Frachtdokumente überprüfen, dann das Öl auf seine Umweltverträglichkeit. Nun kommt es auf den Riecher an, auf die Erfahrung, den Instinkt, sagen sie. Die Herkunft der Crew, die Vergangenheit, schlicht diese Art Schiff: All das macht stutzig. Die Wassertanks? Die Pumpen, Rohre? Der Schornstein? Doppelte Wände? Man vermutet Zigaretten und Wodka. In einer der tristen Kabinen hing ein Wandschrank. Dahinter wurde die Wand aufgeschnitten, man sieht es deutlich, die Schnitte sind überklebt. Nichts. Und die Decke? Die Schrauben wurden irgendwann einmal gelöst, alles wurde wieder übermalt, in freundlichem Beige. Also? Negativ.

Der russische Seemann stottert „water“, müht sich um eine Erklärung, zeigt auf die Wand, „open... water out...“ Er lächelt frostig. Karel aber nickt freundlich. Er ist Kapitän des Teams. Oft weiß die Crew ja nichts von den Schmuggeleien, sagt er, sie tun ihren Job, bringen das Schiff von A nach B. Die „Black Gang“ hat ein gutes Verhältnis zu den meisten, manchmal kennt man sich sogar.

Unten im Steuerraum taucht ein Problem auf: der Trinkwassertank... ist er leer, halbleer, voll mit Flaschen, mit Tabak? Das Werkzeug fehlt. Gedränge im Kabuff daneben: einer der Ballastwassertanks. Und? Leer. Definitiv. Leer, schon wieder! Die „Black Gang“ hat ihn vor einem Jahr schon einmal geöffnet, man muss es immer wieder tun, man weiß nie, man geht immer auf Nummer Sicher. Ein beliebter Trick: Manchmal steht die Druckanzeige eines Tanks ganz oben, der Tank aber ist leer. Schon in einen kleineren leeren Tank passen gut und gerne 500000 Zigaretten. Auf jeder Zigarette liegt eine Steuer von zweieinhalb Cents, insgesamt 10000 Mark. Das gibt einen satten Gewinn für die Schwarzhändler. Schmuggel lohnt sich.

Drogen werden oft da versteckt, wo es keinen „Besitzer“ geben kann, nicht der Kapitän, nicht die Crew, nicht der Reeder. Das große Achselzucken. Im April diesen Jahres hat Karel 330 Kilogramm Kokain in einem vollen Wassertank eines Riesenfrachters entdeckt. Es war eingeschweißt in Plastik und in sieben Sporttaschen unter der schmalen Treppe verstaut. „Ich schrie vor Freude“, sagt Karel und zeigt geballte Fäuste. Es war ein Olympiasieg. Karel hat drei Söhne. Sie will er bewahren vor dem Gift, sie und Europa, es ist eine Utopie, und mitunter ist das frustrierend.

„Der Kick ist, etwas zu finden, die Verstecke auszuheben!“ Es ist eine eigenartige Sucht, die das Rauschgift bei seinen Fahndern auslöst. Die halbe russische Crew steht scheu und stumm, etwas verlegen. Mit dem Kopf deutet Karel zum Trinkwassertank. Der Maschinist wird angehalten, den Deckel abzuschrauben. Die letzte Mutter lässt sich nicht drehen, partout nicht. Der Tank wurde lange nicht geöffnet, davon haben sich die Jungs überzeugt. Sie sind beruhigt. Für jeden Reeder ist Zeit Geld, doch der Zoll hat alle Zeit der Welt, manchmal zwei Tage, und er hat alle Rechte, bis er beruhigt ist.

1997 hat der Rotterdamer Hafenzoll mit seinen insgesamt 35 Posten in den sieben Hafenbezirken fünf Millionen Zigaretten sichergestellt und 5678 Kilogramm Kokain, 84 Kilogramm Heroin, 5163 Kilogramm Hasch, 10500 Kilogramm Marihuana, 251243 Ecstasypillen. Das Kokain und Heroin, das die Suchsüchtigen finden, sammeln sie und fahren es rasch zu den drei Verbrennungsöfen im Hafendelta – begleitet von starkbewaffneter Polizei. Marktwert: 100000 Mark pro Kilo. Sie verbrennen jährlich bis zu 170 Millionen Mark, einige Millionen in wenigen Minuten. Tote hat es im Rotterdamer Hafen noch nie gegeben. Kein Mord oder Totschlag, von dem sie gehört hätten, sagen die Kontrolleure.

Eine ganze Menge von dem, was in die EU rein- oder aus ihr rausgeht, wird in Rotterdam stufenweise kontrolliert. Wenn der Zoll sagt, daß die Fracht sauber ist, dann ist sie es für ganz Europa. Die ausgeklügelte Informationspyramide spuckt vermehrt Erfolge aus. Die kleinen Verhaftungen sind gestiegen, die Erwartungen auch. „Der Kokainpreis auf dem Markt ist in den letzten Jahren stabil geblieben“, sagt Peter Mulder von der Zollbehörde. Das heißt bei allen Erfolgen: Noch immer macht die Mafia genügend Geschäft mit dem Pulver. Das heißt auch: Vieles wird nicht entdeckt. Wie auch? Manchmal liegen die Schiffe nur eine Stunde im Hafen, an Bord einige tausend Container, einige Millionen im Jahr bei allen. Allein einen Container zu durchsuchen kostete drei Stunden, eine mittlere Schiffsladung drei Wochen. Den jährlichen Profit aus dem Drogenschmuggel nach Europa schätzen manche, bei aller Unsicherheit, auf sieben bis neun Milliarden Mark.


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mare No. 12

No. 12Februar / März 1999

Von Christian Schüle und Klaus Ensikat

Christian Schüle, 1970 in Friedrichshafen geboren, arbeitet an seiner philosophischen Dissertation und lebt als freier Journalist in München. Dies ist sein erster Beitrag in mare.

Klaus Ensikat, Jahrgang 1937, studierte an der Fachschule für Angewandte Kunst in Berlin, wo er seit 1965 als freier Künstler lebt. Viele Kinderbücher, die er illustrierte, sind preisgekrönt. Für mare zeichnete er zuletzt das Leben zwischen den Sandkörnern des Strandes (in No. 8)

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Vita Christian Schüle, 1970 in Friedrichshafen geboren, arbeitet an seiner philosophischen Dissertation und lebt als freier Journalist in München. Dies ist sein erster Beitrag in mare.

Klaus Ensikat, Jahrgang 1937, studierte an der Fachschule für Angewandte Kunst in Berlin, wo er seit 1965 als freier Künstler lebt. Viele Kinderbücher, die er illustrierte, sind preisgekrönt. Für mare zeichnete er zuletzt das Leben zwischen den Sandkörnern des Strandes (in No. 8)
Person Von Christian Schüle und Klaus Ensikat
Vita Christian Schüle, 1970 in Friedrichshafen geboren, arbeitet an seiner philosophischen Dissertation und lebt als freier Journalist in München. Dies ist sein erster Beitrag in mare.

Klaus Ensikat, Jahrgang 1937, studierte an der Fachschule für Angewandte Kunst in Berlin, wo er seit 1965 als freier Künstler lebt. Viele Kinderbücher, die er illustrierte, sind preisgekrönt. Für mare zeichnete er zuletzt das Leben zwischen den Sandkörnern des Strandes (in No. 8)
Person Von Christian Schüle und Klaus Ensikat