Die Beste ihrer Art

Toku Oshima hat alle ihre männlichen Kollegen übertroffen. Sie ist die Einzige in Grönland, die von der Jagd leben kann.

Toku Oshima sitzt in ihrem Wohnzimmer und schaut aufs Meer. Es ist windstill und die Sonne am Aufgehen. Es ist zehn Uhr, Mitte Oktober in Qaa­naaq. Der 641-Seelen-Ort liegt im Nordwesten Grönlands, die letzte Region der Arktis, die noch von der traditionellen Jagd lebt. Noch etwas über eine Woche ist die Sonne hier zu sehen. Am 24. Oktober geht sie zum letzten Mal unter und erst am 17. Februar wieder auf. Toku fragt sich, wie lange sie wohl fortbleiben wird. Nur einen Tag oder länger?

Toku ist Jägerin. In Qaanaaq gibt es viele Jäger. Aber Toku Oshima ist die einzige Frau unter Grönlands Jägern. Sie ist hier geboren und aufgewachsen. Ihre Mutter ist Grönländerin, ihr Vater Japaner. 1970 kam er nach Siorapaluk, um für ein japanisches Museum Schlitten und Jagdutensilien zu kaufen. Er lernte seine künftige Frau kennen, verliebte sich in sie und versprach wiederzukommen. 1974 ließ er sich in Siorapaluk nieder, heiratete, wurde Jäger und schließlich Vater von vier Mädchen und einem Sohn. 1975 wurde seine Tochter Toku geboren.

Als Toku klein war, begleitete sie ihren Vater einmal nach Japan. Doch das war nicht ihre Welt. Viel zu viele Menschen und zu viel Hektik für eine Grönländerin. Weitaus mehr entsprach ihr da die Jagd in ihrer arktischen Heimat. Sie lernte von ihrem Vater und von der Gemeinschaft in Siorapaluk. Als sie zwölf war, erlegte sie ihre erste Robbe.

Nach der Schule zog Toku nach Ostgrönland, um sich als Elektrikerin ausbilden zu lassen. Dort lernte sie ihren Mann kennen, den Dänen Kim. Zusammen zogen sie 1999 zurück nach Qaanaaq. Seit 2005 ist sie hauptberuflich Jägerin.

Ob als Kind, als Elektrikerin oder als Jägerin, im Grunde ist Toku schon immer in einer Männerwelt zu Hause gewesen. Als sie 1999 nach Qaanaaq zurückkehrte und mit dem Jagen begann, fanden das vor allem die Frauen sonderbar. Die Jäger haben sie immer akzeptiert, sagt sie. Sie waren sogar froh, dass sie jemanden hatten, der sie begleiten konnte. Qaanaaqs Jäger jagen immer zu zweit, für den Fall, dass etwas passiert.

Toku ruft ihren Verwandten Tobias an und berät sich mit ihm. Sie entscheiden sich, in der Umgebung von Qaanaaq Robben zu jagen. In den letzten beiden Wochen sind heftige Stürme über die Arktis gezogen, und sie konnten nicht auf die See. Nun brauchen sie dringend Nahrung, vor allem für die Hunde. In den langen Wintern sind die Hundegespanne noch heute das einzige Fortbewegungsmittel der Inuit. Alles wird gepackt, in einer Stunde wollen sie sich am Hafen treffen.

Einen Eisbären hat sie noch nie geschossen, aber letzte Nacht wurde sie im Traum von einem verfolgt. Das war sehr beängstigend, sagt sie lachend. Natürlich war sie schon einmal dabei, als ein Bär geschossen wurde. Aber sie war nur die Dritte in der Reihe. Das Fell wird nach genau definierten Regeln verteilt. Sie bekam den hinteren Teil und konnte sich davon neue Hosen anfertigen.


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mare No. 114

No. 114Februar / März 2016

Von Markus Bühler-Rasom

Fotograf Markus Bühler-Rasom, Jahrgang 1969, lebt im Zürcher Weinland. Seit 20 Jahren arbeitet er regelmäßig in Grönland. In den letzten Jahren konzentrierte er sich auf die Region Thule, wo er den Klimawandel und die Folgen für die Inuit dokumentiert.

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Vita Fotograf Markus Bühler-Rasom, Jahrgang 1969, lebt im Zürcher Weinland. Seit 20 Jahren arbeitet er regelmäßig in Grönland. In den letzten Jahren konzentrierte er sich auf die Region Thule, wo er den Klimawandel und die Folgen für die Inuit dokumentiert.
Person Von Markus Bühler-Rasom
Vita Fotograf Markus Bühler-Rasom, Jahrgang 1969, lebt im Zürcher Weinland. Seit 20 Jahren arbeitet er regelmäßig in Grönland. In den letzten Jahren konzentrierte er sich auf die Region Thule, wo er den Klimawandel und die Folgen für die Inuit dokumentiert.
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