Die Außerirdischen

Salpen und Feuerwalzen sind von außergewöhnlicher Anmut und zugleich eine höchst komplexe Lebensform im Meer

Taucher, die sich in der Dämmerung ins Meer wagen, dürften einen gehörigen Schrecken bekommen, wenn sie zum ersten Mal einer ausgewachsenen Feuerwalze begegnen. Feuerwalzen sind durchscheinende, wabernde Schläuche, die im Meer treiben. Manche werden zehn Meter lang und so breit, dass man in sie hineinschwimmen könnte. Lautlos schweben sie heran wie übermannsgroße Aliens, die sich aus dem Nichts zu materialisieren scheinen.

Überwindet der Taucher seine Furcht und berührt das zarte Wesen, dann be­ginnt es zu leuchten. Tausende roter Lichtlein lassen den bleichen Körper erstrahlen. Dieses Leuchten hat den Tieren ihren Namen gegeben: Feuerwalzen, wissenschaftlich Pyrosomen, Feuerkörper. Mancher Taucher wird sich fragen, welchem Geschöpf er da begegnet ist, denn Feuerwalzen gehören zweifellos zu den Exoten im Meer. Weltweit gibt es nur eine Handvoll Forscher, die sich näher mit ihnen befassen, nicht zuletzt, weil man sie so extrem selten zu Gesicht bekommt.

Nicht alle Feuerwalzenarten werden so riesig. Viele sind kleiner. Sie ähneln Seidenstrümpfen oder zarten kleinen Säckchen. Doch nicht allein ihre Gestalt ist exotisch. Feuerwalzen könnten noch aus einem anderen Grund als Aliens durchgehen: Bei dem Schlauch handelt es sich nicht um ein einzelnes Tier, sondern um eine riesige Kolonie winziger Klone. So wie sich ein Strumpf aus Hunderten eng verknüpfter Maschen zusammensetzt, sitzen im Feuerwalzenschlauch dicht an dicht kleine, absolut identische Tierchen. Sauber aneinandergereiht, bilden sie Reihe um Reihe den langen Schlauch. Und da sich die Tierchen immer wieder in neue Tochterklone aufspalten, wächst und wächst die Feuerwalze so lange, bis sie ­irgendwann vom Sturm an Land gespült oder von vorüberschwimmenden Meeresschildkröten verspeist wird.

Noch vor 100 Jahren rätselten Forscher, zu welcher Tiergruppe die Feuerwalzen eigentlich gehören. Heute zählen Biologen sie zu den Tunikaten, zu den Manteltieren. Tunikaten sind, simpel ausgedrückt, winzige Wasserfilter mit zwei Körperöffnungen. Durch eine Öffnung saugen die Tiere das Wasser ein, pressen es durch einen Filter und stoßen es durch die andere Öffnung wieder aus. Ihr Name rührt daher, dass sie von einer festen Haut umhüllt sind wie ein römischer Feldherr von einer Tunika.

In den Ozeanen gibt es diverse Typen von Tunikaten. Manche sind so groß wie eine Kinderfaust und sitzen am Meeresboden fest. Andere lassen sich wie eine Qualle von der Strömung treiben. Diese Tunikatentypen kommen als Individualisten gut allein zurecht. Nicht so die Tunikaten im Feuerwalzenschlauch: Hunderte, Tausende kleiner Klontunikaten, sogenannte Blastozooide, sitzen dort Seite an Seite. Sie sind auf Gedeih und Verderb miteinander verbunden, denn ihre Tuni- ken sind miteinander verwachsen.

Die Biologin Eva-Maria Natzer von den Staatlichen Naturwissenschaftlichen Samm­lungen Bayerns beschäftigt sich seit Jahren mit Tunikaten, allerdings vorzugsweise mit festsitzenden Arten, denn diese können nicht wegschwimmen. „Feuerwalzen beziehungsweise Pyrosomen sind eher ein Zufallstreffer. Ich habe schon mehr als 1000 Tauchgänge hinter mir, aber nur selten Pyrosomen gesehen.“

Als ihr beim Tauchen vor der italienischen Insel Giglio im Tyrrhenischen Meer zum ersten Mal eine Feuerwalze begegnete, war sie begeistert. Faszinierend sei vor allem das Leuchten: Pyrosomen erzeugen das Licht ähnlich wie Glühwürmchen durch eine biochemische Reaktion, die Energie in Form von Lichtteilchen, Photonen, freisetzt. Wissenschaftler nennen dieses Phänomen Biolumineszenz. Erstaunlicherweise erzeugen die Feuerwalzen das Licht aber nicht selbst. Vielmehr besitzt jeder der vielen Tausend Blastozooide ein kleines Leuchtorgan, das randvoll mit speziellen Leuchtbakterien gefüllt ist.


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mare No. 120

No. 120Februar / März 2017

Von Tim Schröder

Als Student zählte der Oldenburger Journalist Tim Schröder, Jahrgang 1970, stundenlang mikroskopisch kleines Plankton. Seit dieser Recherche zu den Pyrosomen weiß er, was er verpasst hat.

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Vita Als Student zählte der Oldenburger Journalist Tim Schröder, Jahrgang 1970, stundenlang mikroskopisch kleines Plankton. Seit dieser Recherche zu den Pyrosomen weiß er, was er verpasst hat.
Person Von Tim Schröder
Vita Als Student zählte der Oldenburger Journalist Tim Schröder, Jahrgang 1970, stundenlang mikroskopisch kleines Plankton. Seit dieser Recherche zu den Pyrosomen weiß er, was er verpasst hat.
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