Die Anstalt der klugen Köpfe

Seit eineinhalb Jahrhunderten spielt die Meereskunde auf Helgoland eine bedeutende Rolle. Aber erst die 1892 dort gegründete Biologische Anstalt setzte die Standards systematischer Forschung


In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts begannen Professoren und Privatgelehrte in Europa, sich für die mikroskopisch kleinen Lebewesen im Meer zu interessieren. Der Berliner Zoologieprofessor Johannes Müller reiste 1845 nach Helgoland, um Larven der Seeigel zu fangen. Helgoland war gerade Seebad geworden und damit zugänglich für Besucher. Für Aquarienexperimente und Tierpräparationen waren aber die Logierzimmer wenig geeignet.

Den wichtigsten Anstoß für die Erforschung der Meeresfauna gab Charles Darwin mit seiner Evolutionstheorie. Sein großes Werk über den Ursprung der Arten wurde noch im Erscheinungsjahr 1859 ins Deutsche übersetzt. Ernst Haeckel, Zoologe, Naturphilosoph und Künstler, war von Darwins Ideen fasziniert und wurde zu deren großem Verfechter, aber auch zum roten Tuch für viele, die an der biblischen Schöpfungsgeschichte festhielten. Durch das Studium der Larvenstadien wollten er und gleich gesinnte Kollegen die Wege der Evolution nachverfolgen. Dazu mussten sie ans Meer reisen, denn nur im Meer sind alle Stämme des Tierreichs vertreten. Haeckel kam zuerst 1859 nach Helgoland und kehrte später mehrfach dorthin zurück. In dieser Zeit entstanden in Frankreich die ersten kleinen Meereslaboratorien mit Arbeitsplätzen für mikroskopische Studien und Aufzuchtversuche.

Den Durchbruch brachte Anton Dohrn, ein begeisterter Erforscher der Stammesgeschichte der Tiere. Er stammte aus einer Stettiner Kaufmannsfamilie, die durch Zuckerhandel reich geworden war. An der Strandpromenade von Neapel eröffnete er 1872 die prächtige Zoologische Station Neapel, finanziert aus eigenen Mitteln und Spenden. Schnell wurde sie zum Treffpunkt führender Zoologen aus aller Welt. Sie fanden hier gut ausgestattete Arbeitsplätze vor und wurden regelmäßig mit den jeweils gewünschten lebenden Meerestieren beliefert. Fischer und technisches Personal standen dafür bereit.

Dohrn, Bewunderer der Eisenbahn, träumte von einem Netz zoologischer Einrichtungen. Die Zoologen sollten von einer Station zur anderen reisen, um die jeweils spezifische Meeresfauna vor Ort zu studieren. Solche Stationen entstanden bald in England, Skandinavien und den USA. Nur in Deutschland gab es keine. Das galt als wissenschaftlich enttäuschend und politisch beschämend. Aber wo sollte man die deutsche Meeresstation ansiedeln? Die Fauna in der Ostsee war zu arm an biologischer Vielfalt, und die Nordseeküste mit ihren Watten und Sandstränden schien zoologisch nicht reizvoll.

Nur Helgoland hatte sich als Forschungsstandort bewährt. Die Insel war aber britische Kronkolonie. Das änderte sich erst 1890 mit dem Helgoland-Sansibar-Tauschvertrag: Helgoland, vorgeschichtlicher Begräbnisplatz, Fischerinsel, britischer Schmuggelplatz während Napoleons Kontinentalsperre, wurde des deutschen Kaisers „liebstes und jüngstes Kind“. Der Tausch war militärpolitisch motiviert, die Bedeutung der Insel für die Meereswissenschaften wurde nicht erwähnt.

Schon 1876 hatten die deutschen Naturforscher in einer Denkschrift die wissenschaftlichen Aufgaben einer biologischen Station auf Helgoland sehr ambitiös formuliert. Es ging einerseits um die Erforschung der Nutzfische und Fischgründe in der Nordsee und die Erforschung des Planktons „als Urproduktion des Meeres“ sowie andererseits um eine umfassende ozeanografische, biologische und geologische Beschreibung der Nordsee. Auch sollten die Geologie, Landflora und -fauna der Insel eingehend beschrieben werden.

Die von dem Botaniker Nathanael Pringsheim unterstützte Zoologische Gesellschaft bat den deutschen Kaiser, eine Biologische Station zu gründen, die den „Lehrenden und Lernenden eine wohnliche Stätte und reiche Hilfsmittel biete, um die Kenntnis des Meeres und seiner Schätze zu fördern und immer weiteren Kreisen unseres Volkes zugänglich zu machen“. Man wollte auf Helgoland das Meer als „einen der reichsten, allein nicht unerschöpflichen, sondern nur bei rationeller Nutzung dauernd fruchtbringenden Teil des Naturhaushaltes kennen und nutzbar machen“. Damit sprachen die Zoologen neben der Grundlagenforschung zwei Aufgaben an, die wir heute Öffentlichkeitsarbeit und fischereibiologische Nachhaltigkeitsforschung nennen.

Der Antrag der Zoologen fand Gehör. Doch zuerst musste ein geeigneter Direktor gefunden werden. Nach vielfältigen Konsultationen einigte man sich 1892 auf den Zoologen und Gymnasiallehrer Friedrich Heincke, der durch ein großes Werk über Heringsrassen bekannt geworden war. Er erwies sich als Glücksgriff. In 29 Dienstjahren baute er die Biologische Anstalt Schritt für Schritt auf.


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mare No. 128

Juni / Juli 2018

Von Gotthilf Hempel

Professor Gotthilf Hempel, geboren 1929, lebt in Molfsee bei Kiel. Er war Gründungsdirektor des Alfred-Wegener-Instituts und gilt als einer der führenden Meeresbiologen Deutschlands.

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Vita Professor Gotthilf Hempel, geboren 1929, lebt in Molfsee bei Kiel. Er war Gründungsdirektor des Alfred-Wegener-Instituts und gilt als einer der führenden Meeresbiologen Deutschlands.
Person Von Gotthilf Hempel
Vita Professor Gotthilf Hempel, geboren 1929, lebt in Molfsee bei Kiel. Er war Gründungsdirektor des Alfred-Wegener-Instituts und gilt als einer der führenden Meeresbiologen Deutschlands.
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