Die Anglerin von der Galatabrücke

Hafize Tahal fischt und raucht – damit tut sie, was in Istanbul eigentlich nur Männer tun. Sie ist die einzige Frau unter den vielen Männern, die täglich am Goldenen Horn ihr Glück beim Angeln versuchen

Sie hat den Fisch an der Angel. Ein Triumph! Fast eine halbe Stunde musste Hafize Tahal auf diesen Fisch warten, doch jetzt hat sie ihn: einen cinekop, einen Blaubarsch. Sie löst den Haken und wirft den handtellergroßen Fisch in eine Schale; dort zappeln schon fünf Barsche und schnappen mit starrem Blick nach Luft. Sie hebt den Kopf und schaut um sich. Ein Fischer linst in ihre Fischschale, und Hafize Tahal weiß, was er denkt: Wie hat sie das nur nur hinbekommen?

Seit 15 Jahren kommt sie fast täglich zur Brücke, morgens um sieben ist sie da, zehn Stunden steht sie dort und fischt. Dabei raucht sie eine Schachtel Zigaretten. „Rauchen und Angeln ist eigentlich etwas für Männer“, sagt sie. Doch sie gibt nichts auf die Meinung der anderen. Nicht mehr.

Hafize ist die einzige Frau, die auf der Galatabrücke angelt. Sonst machen das nur Männer. Mit denen aber will sie nichts zu tun haben. „Was soll ich mit denen reden?“ Und doch stellt sie sich fast jeden Tag an dieselbe Stelle auf der Brücke. Und dringt damit in eine Welt ein, die in der Türkei den Männern vorbehalten ist, in die Welt der Fischer.

Autos fahren vorbei und bringen die Brücke zum Schwanken. Die Tram in der Mitte spuckt Menschen aus und verschlingt sie wieder. Es riecht nach Tang und Abgasen; Straßenhändler schreien, ihre Rufe vermischen sich mit dem Klang der Schiffshörner, der vom Meer heraufweht. Die Fischer verkaufen ihren Fang direkt auf der Brücke. Zehn Lira, ungefähr fünf Euro, bekommen sie für eine Schale, so groß wie eine Frisbeescheibe. An einem guten Tag verkaufen sie drei davon. Die meisten Angler sind Rentner, ehemalige Fabrikarbeiter oder Textilverkäufer im Ruhestand. Mit ihren 57 Jahren wäre auch Hafize Tahal bald Rentnerin, doch sie war nie angestellt. Eine junge Frau könne sich auf der Brücke nicht durchsetzen, glaubt Hafize Tahal, genauso wenig, wie sie es früher konnte.

Mit 17 kam sie aus der anatolischen Stadt Konya nach Istanbul; sie kam, um zu heiraten. Drei Tage nach der Hochzeit schlug ihr Mann sie das erste Mal. Sie dachte, wenn ich ein Kind bekomme, wird er sich ändern. Nach der Geburt ihres ersten Sohnes änderte sich nichts. Die nächsten 25 Jahre verlässt sie das Haus nur an der Seite ihres Mannes. Sie kennt sich nicht aus in der Stadt. Selbst wenn sie könnte, sie würde nicht alleine vor die Tür gehen: Sie ist gefangen in der Wohnung und in ihrer Angst. Als sie es nicht mehr aushält, versucht sie sich umzubringen, mit Tabletten.

Hafize holt die Angelschnur ein und spickt die Haken mit Garnelen. Neun Haken für neun Fische. Dann wirft sie die Angel wieder aus. Sie zündet sich eine Zigarette an und atmet den Rauch tief ein. Dieser Moment gehört nur ihr. Genauso wie der Platz auf der Brücke. Früher schickten die Männer sie manchmal weg, dabei gibt es keine festen Plätze. Vertreiben lässt sie sich inzwischen nicht mehr. Um halb fünf Uhr morgens macht sie sich auf den Weg, um einen der besten Plätze auf der Brücke zu ergattern, dort wo die Strömung des Bosporus besonders viele Fische ins Goldene Horn spült.

Hafize redet nicht gerne über ihre Vergangenheit. „Ich habe die Zeit inzwischen vergessen“, sagt sie. Damals dachte sie, vielleicht bessere sich ihr Mann nach dem zweiten Kind. Doch als ihr zweiter Sohn auf die Welt kam, änderte sich noch immer nichts. Ihr Mann prügelte weiter. Ein zweites Mal versuchte sie, sich mit Tabletten das Leben zu nehmen.

Verkäufer, Bettler, Geschäftsleute, Schüler, Eltern mit Kindern – sie alle eilen vom Stadtteil Beyoglu nach Fatih oder zurück. Die meisten haben keine Zeit; die Fischer müssen schnell sein, wenn sie ihren Fisch verkaufen wollen. Ein Mann bleibt stehen, er will den Preis wissen. Während die Fischer durcheinander schreien, wirft Hafize nur einen Blick über die Schulter, saugt an ihrer Zigarette und schiebt ihre Schale mit Fischen einen Meter nach vorne. Der Mann geht weiter. Verkauft hat sie noch nichts.


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mare No. 105

No. 105August / September 2014

Von Mirjam Schmitt und Sonja Hamad

Mirjam Schmitt, Jahrgang 1983, ist freie Autorin in Istanbul. Sie hat noch nie geangelt, isst aber gerne Fisch. Zu einem guten Wochenende gehört für sie, ein Fischbrötchen an der Galatabrücke zu essen. Sonja Hamad, geboren 1986 im syrischen Damaskus, lebt und arbeitet als freie Fotografin in Berlin. Sie hat sich auf Porträts spezialisiert.

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Vita Mirjam Schmitt, Jahrgang 1983, ist freie Autorin in Istanbul. Sie hat noch nie geangelt, isst aber gerne Fisch. Zu einem guten Wochenende gehört für sie, ein Fischbrötchen an der Galatabrücke zu essen. Sonja Hamad, geboren 1986 im syrischen Damaskus, lebt und arbeitet als freie Fotografin in Berlin. Sie hat sich auf Porträts spezialisiert.
Person Von Mirjam Schmitt und Sonja Hamad
Vita Mirjam Schmitt, Jahrgang 1983, ist freie Autorin in Istanbul. Sie hat noch nie geangelt, isst aber gerne Fisch. Zu einem guten Wochenende gehört für sie, ein Fischbrötchen an der Galatabrücke zu essen. Sonja Hamad, geboren 1986 im syrischen Damaskus, lebt und arbeitet als freie Fotografin in Berlin. Sie hat sich auf Porträts spezialisiert.
Person Von Mirjam Schmitt und Sonja Hamad