Des Kaufmanns liebster Kartograf

Was machte die venezianische Flotte so mächtig? Detailgenaue Seekarten und Hafenhandbücher, wie sie etwa ihr genialer Hauptnavigator Antonio Millo anfertigte

Tor zum Orient, Herrin des Meeres und der griechischen Inseln, reichste Stadt des Abendlands: Die Fähigkeit, das Meer zu bändigen und zu beherrschen, verschaffte der Republik Venedig über die Jahrhunderte des Mittelalters hinweg eine einzigartige Stellung in Europa. Der Handel mit den Ländern des östlichen Mittelmeers war die Grundlage dieses Reichtums und der seefahrende Kaufmann die bestimmende Figur der venezianischen Gesellschaft. Kühle kaufmännische Kalkulation bestimmte meist auch die Politik, und so wurde in Venedig eine Vielzahl von Vorschriften und Weisungen erlassen, um Handel und Seefahrt zu organisieren und zu kontrollieren. Schiffe waren so klar und eindeutig als Grundlage der venezianischen Macht anerkannt, dass es jedem Venezianer verboten war, sein Schiff an einen Ausländer zu verkaufen, es sei denn, es handelte sich um ein altes Schiff, das nicht mehr viel wert war.

Gegen Ende des Mittelalters verfügte Venedig über die größte Seemacht des Abendlands mit mehr als 3300 Schiffen und 36000 Seeleuten, die auf ihnen Dienst taten. Die staatseigene Werft, das Arsenal, umfasste eine Fläche von 20 Hektar, und 3000 Arbeiter verdienten hier ihren Lebensunterhalt. Der dort herrschende Lärm und die immense Betriebsamkeit suchten in Europa ihresgleichen – nicht ohne Grund war das Arsenal Dante Inspiration für die Beschreibung der Hölle in seiner „Göttlichen Komödie“.

Märchenhaft klingen die Namen der Städte, die venezianische Schiffe ansteuerten, um luxuriöse Waren einzukaufen: Aus Kaffa, Trapezunt, Tripolis, Alexandria, Kreta, Sizilien und aus der Provence brachten die Kaufleute orientalische Duftstoffe wie Weihrauch, Benzoe, Moschus und Amber, Arzneimittel und Drogen, Gewürze, Seidenstoffe, Baumwolle, Öle, Süßwein und Früchte, Pelze, gepökelten Fisch und Erze mit nach Hause.

Wenn die um ihre kostbaren Waren bangenden Kaufleute Venedigs nicht selbst mit ihrer Fracht unterwegs waren, beschäftigten sie sich mit Karten und Windrichtungen, Reeden und Landungsbrücken: „Gras pflücken, um den Zug des Winds zu sehen; / Nach Häfen, Reed’ und Damm in Karten gucken, / Und alles, was mich Unglück fürchten ließ’ / Für meine Ladungen, würd’ ohne Zweifel / Mich traurig machen“, beschreibt der Kaufmann Antonio in Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ seinen Gemütszustand, während er auf heimkehrende Schiffe wartet.

Nicht nur Wagemut, politisches Geschick und gute Organisation, sondern auch seefahrerisches Können und ausgezeichnete Navigationsmittel haben den Venezianern die Überlegenheit im Mittelmeer gesichert. Vor allem die Seekartografie spielte hier eine große Rolle. Die vorherrschende Stellung der Serenissima im Mittelmeerhandel hatte das Sammeln geografischer Informationen ermöglicht, mit welchem das für Venedig so wichtige Kartenmaterial immer weiter perfektioniert werden konnte.

Jahrhundertelang hatten sich die Seefahrer nur mit Hafenbüchern, so genannten Portolanen (der Begriff geht auf das lateinische Wort „portus“ zurück, das Hafen bedeutet) zu helfen gewusst, in denen die Entfernungen und Richtungen von Hafen zu Hafen beschrieben waren. Erst im 13. Jahrhundert erfand man Seekarten, um auf ihnen alle Informationen über Entfernungen und Richtungen zusammenzufassen.

Auf einer Tierhaut von etwa einem Quadratmeter Größe wurde ein Gitternetz angelegt, das es ermöglichte, die in den Hafenbüchern angegebenen Richtungen abzustecken. Dann zeichnete der Kartograf entsprechend der Entfernung und der Richtung von einer Landmarke zur anderen die Küstenlinien ein. So entstanden die ersten maßstabsgetreu gezeichneten Seekarten, ja die ersten größeren Seekarten, die die Landformen wiedergaben, überhaupt. Da die Karten sich von den Hafenbüchern herleiteten, nannte man sie Portolankarten oder auch verkürzt Portolane. Die früheste bekannte Seekarte, die „Carta Pisana“, stammt aus dem Jahr 1270, so benannt, weil sie in Pisa hergestellt wurde.

Im Lauf der Zeit entwickelte sich ein Standardtyp der handgezeichneten Portolankarten: Alle Karten sind nordorientiert, keine besitzt Meridiane oder Breitenparallelen. Stattdessen sind sie mit einem Netz von 16 oder 32 verschiedenfarbigen Strahlen überzogen, die von einem oder mehreren Punkten ausgehen. Mit Hilfe dieser so genannten „Windrosen“ war es dem erfahrenen Nautiker möglich, die Kurse in Bezug auf seinen jeweiligen Standort zu ermitteln, im wahrsten Sinne des Wortes nach Augenmaß. An den Küstenlinien wurden Ortschaften, Buchten, Flussmündungen oder andere markante Punkte angegeben, wobei oft schon die Farbe eines Stadtnamens Rückschlüsse auf die Hafenqualität zuließ. Auf Felsriffe, Untiefen oder Reeden wurde durch Symbole hingewiesen, Hafenstädte wurden durch kleine Stadtansichten, Stadtwappen oder Flaggen gekennzeichnet. Solange die Seefahrt in bekannten Gewässern stattfand, wurde die Tierwelt des Meeres ganz naturalistisch dargestellt. Als aber die Seekartografen von wasserspeienden Walen, die viel größer als der bekannte Tunfisch oder Delfin seien, hörten, begannen sie, auch diese „Ungeheuer“ zu malen: Merkwürdige Fische, Seehunde, Seelöwen, Eisbären und Krustentiere bevölkerten von da an die Karten. Dazu kamen mit der Zeit auch andere Lebewesen, Bauwerke und Gegenstände aus exotischen Welten: Afrikaner, Asiaten und Indianer, Kanus und Dschunken, nie gesehene Tiere und Pflanzen.


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mare No. 50

No. 50Juni / Juli 2005

Von Anne Dreesbach und Michael Kamp

Die Historiker Anne Dreesbach und Michael Kamp haben in München ein Unternehmen gegründet, das sich auf die Recherche von Familien- und Unternehmensgeschichten und die Entwicklung von Ausstellungen spezialisiert hat. Ein Forschungsaufenthalt in der Faksimilesammlung Schloss Hopferau im Allgäu, in der sich unter anderem eine Ausgabe des Portolanatlasses von Millo befindet, weckte ihre Begeisterung für die – wenn auch nicht immer genauen, doch umso schöneren – alten Seekarten.

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Vita Die Historiker Anne Dreesbach und Michael Kamp haben in München ein Unternehmen gegründet, das sich auf die Recherche von Familien- und Unternehmensgeschichten und die Entwicklung von Ausstellungen spezialisiert hat. Ein Forschungsaufenthalt in der Faksimilesammlung Schloss Hopferau im Allgäu, in der sich unter anderem eine Ausgabe des Portolanatlasses von Millo befindet, weckte ihre Begeisterung für die – wenn auch nicht immer genauen, doch umso schöneren – alten Seekarten.
Person Von Anne Dreesbach und Michael Kamp
Vita Die Historiker Anne Dreesbach und Michael Kamp haben in München ein Unternehmen gegründet, das sich auf die Recherche von Familien- und Unternehmensgeschichten und die Entwicklung von Ausstellungen spezialisiert hat. Ein Forschungsaufenthalt in der Faksimilesammlung Schloss Hopferau im Allgäu, in der sich unter anderem eine Ausgabe des Portolanatlasses von Millo befindet, weckte ihre Begeisterung für die – wenn auch nicht immer genauen, doch umso schöneren – alten Seekarten.
Person Von Anne Dreesbach und Michael Kamp