Ich stehe allein am Gewürzkai und atme den salzig-süßen Duft von Zimt ein, der noch immer in der Luft hängt. Abermals prüfe ich meine Papiere. Alles in Ordnung, nichts wurde übersehen. Tutt hat seine Sache gut gemacht. Ich bewundere die Sorgfalt, mit der er das Compagnie-Siegel auf meinem Quartierschein für die Offizierskabinen gefälscht hat. Nun gibt es kein Zurück mehr.
Seltsam, dass Torrentius - meinem Mentor und einzigem Freund - als Holländer und gefeiertem Miniaturenmaler bis auf weiteres Zuflucht am Hofe König Karls gewährt wurde, während ich wegen bestimmter Überzeugungen gezwungen bin, mich wie eine Ratte zu verkriechen, mich auf der Batavia einzuschiffen und das steife, geldschwere Gebaren eines holländischen Ostindien-Kaufmanns auf seiner fünfmonatigen Reise nach Niederländisch-Indien anzunehmen.
Ich bin kein Seefahrer. Ich kann nicht einmal schwimmen. Ich fürchte den Tod durch Ertrinken, das kalte Wasser auf meiner Haut. Ich, Jeronimus, bin ein Mann der Phiolen, ich wiege Pulver auf bronzenen Schalen, ich braue Tränke, treibe Handel mit Opium und Arsen. In Scharen sind die geputzten und parfümierten Amsterdamer Bürger zu mir gekommen, wenn sie ein Mittel gegen Fieber wollten, einen Liebesbalsam, die Totgeburt eines Bankerts und, natürlich, Gift. Ah, Gift. Es gibt so viele. Man stäube davon auf einen Fächer aus Straußenfedern, auf den Rand eines Bordeauxglases, die Blüte einer Sommerrose - und wehe dem Unschuldigen, der mit den Lippen die in Spitze gehüllte Hand seiner Dame streift. Hexereien überlasse ich den alten Tanten, den Illusionisten auf den Marktplätzen, den Kartenmischern, den Kristallkugelsehern, den Deutern schattenhafter Silhouetten in gesprungenen Teetassen, all denen, die mich an jenen anderen Hexenmeister erinnern, den verlorenen Propheten, der Fisch und Brot verteilte, Wasser in Wein verwandelte und für die Fischerjungen und Netzflicker an den Flussufern phantastische Geschichten spann.
Torrentius' Gastfreundschaft kannte keine Grenzen. Die Villa meines Freundes gehörte zu den prachtvollsten Häusern der Stadt. Die Salons waren mit allem erdenklichen Luxus ausgestattet, sie waren der Lustbarkeit geweiht. In der Orangerie sangen Nachtigallen, das Sommerhaus am Zierteich schmückten Fresken mit priapeischen Kobolden, Zentauren und Satyrn im arkadischen Stil.
Mehrere Studierzimmer waren dem Streben nach Wissen geweiht. Eines, das meine Aufmerksamkeit eine Weile gefangen nahm, galt der Naturkunde und beherbergte vornehmlich die Missgriffe der Natur, die in Gläsern mit konservierender Flüssigkeit kauerten.
Es gab ein Gelehrtenzimmer mit Tierkreistafeln, Himmelsjahrbüchern und den seltensten Tarotkarten. Tag für Tag habe ich diese Karten gelegt, bis die abgegriffenen Bilder mir vertraut waren wie alte Freunde.
Ferner beherbergte die Villa eine große Bibliothek entlegener Schriften, und dort verbrachte ich den Hauptteil meiner Zeit. Neben griechischen und lateinischen Autoren blätterte ich in den Werken Shakespeares und anderer Moderner.
In Stille und Einsamkeit stand mein Freund über sein Pult gebeugt und entzifferte die Stammbäume seiner Familie, übertrug sie in schöner, bedächtiger Hand auf sorgsam kalligraphiertem Pergament vom Lateinischen ins Holländische.
Unter seiner Anleitung begann ich mein Studium der Wissenschaften vom Menschen, durchstöberte jeden Winkel der Bibliothek, erkundete die Trompe-l'œil-Paneele, die sich auf eine einzige Berührung hin öffneten. In jenem geheimen Archiv voller wachsversiegelter Dokumente stieß ich auf eine kostbare Sammlung lasterhafter Literatur. Die in gelbes Kalbsleder gebundene Historia Flagellantium in der Übersetzung eines Abtes aus dem fünfzehnten Jahrhundert war das Erste, was mir ins Auge fiel, und es gab viel zu lernen aus diesem Buch.
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Mein Freund hatte eine Vorliebe für Maskenbälle. Die Gäste wurden aufgefordert, sich dem Anlass entsprechend zu kleiden, und jede Einladung versetzte die gesamte Gegend im Umkreis von mehreren Meilen in fiebrige Erwartung. Wenn die schwarzen Schriftrollen überbracht wurden, geriet die übersättigte Aristokratie in helle Aufregung, und kaum wurde Torrentius' Wagen auf der Straße gesichtet, schickte man die Diener hinaus, um am Tor zu warten. Und wehe dem unglücklichen Lakaien, der mit leeren Händen zurückkehrte. Pastorale mit Ziegenhütern und Schäferinnen oder Harems voller Sklaven in seidenen Gewändern waren Torrentius' Sache nicht - mein Freund bevorzugte anspruchsvollere Motti. Seine Gäste kamen als Inquisitoren, Scharfrichter und Engel Satans, als heidnische Könige und Königinnen. Für ihn war das Leben ein Spiel, seine Inszenierungen Theater im Theater.
Torrentius unterrichtete seine Jünger bevorzugt in gemieteten Hafenbordellen. Dort leitete er geheime heidnische Riten, arrangierte prachtvolle Stillleben, ließ schmächtige Straßenjungen in flehenden Gesten des Lasters und des Verlangens posieren.
Eines Abends, als das Mondlicht sanft über das Mosaikparkett kroch und aus den Schatten unruhige Seufzer entlockte, nahm mein Mentor mich zur Seite.
"Ich werde dich zu einem Werkzeug des Schreckens machen", flüsterte er. "Du wirst nicht existieren. Man wird nach dir suchen, und niemand wird dich finden."
Ich lächelte. Ich wusste, dass er Recht hatte. Denn ich war anders als die anderen, jene geckenhaften, gelangweilten Cherubim in seinem Gefolge, die über Geld und Zeit verfügten und unter alten Göttern neues Leben hervorzubringen trachteten, die das Vaterunser rückwärts sprachen, Ziegen die Kehlen aufschlitzten, die auf verlassenen Friedhöfen Grabsteine schändeten - die üblichen, kindischen Vergehen.
Mein Freund sah mich fest zu meinen Prinzipien stehen, denn diejenigen, die ich besaß, hatten sich früh geformt. Stets hatte mein Handeln mit ihnen in Einklang gestanden. Vor allem wusste ich um die Nichtigkeit der Tugend, denn schon in sehr jungen Jahren hatte ich gelernt, den Phantasiegebilden der Religion mit Verachtung zu begegnen, und ich war zu der Überzeugung gelangt, dass die Existenz eines Schöpfers eine Absurdität ist, an die nicht einmal Kinder glauben sollten.
Es gibt keinen Grund, einem neuen jungen Gott zu huldigen. Nicht, wenn andere unüberhörbar unsere Dienste fordern.
Auf diesem beengten Planeten bin ich schon in vielerlei Gestalt gewesen, und Torrentius, der meine Sternkarten erstellt hat, hat vorhergesagt, dass ich zurückkehren werde. Paris. Raconteur, Boulevardier, Memoiren auf dünnem Pergament und Revolutionen, die aus einer Zelle der Bastille heraus entfacht werden.
Ohne die Indiskretionen der Jünger Torrentius' - jenen Narren, die schreiend geflohen und zu ihren Müttern gelaufen sind - und die lustfeindlichen calvinistischen Richter dieser Stadt stünde ich jetzt nicht hier mit gefälschten Papieren in der behandschuhten Hand, verbannt nach Batavia.
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Arabella Edge wurde in London geboren und lehrte Literatur in Bristol. 1991 zog sie nach Australien, wo sie zum ersten Mal von Jeronimus Cornelisz erfuhr. Im Bann der Begebenheiten um die Batavia arbeitete sie über vier Jahre an ihrem Romandebüt Der Unmensch, mit dem sie für den Commonwealth Writers Prize nominiert wurde. Sie lebt in Sydney.
Vita | Arabella Edge wurde in London geboren und lehrte Literatur in Bristol. 1991 zog sie nach Australien, wo sie zum ersten Mal von Jeronimus Cornelisz erfuhr. Im Bann der Begebenheiten um die Batavia arbeitete sie über vier Jahre an ihrem Romandebüt Der Unmensch, mit dem sie für den Commonwealth Writers Prize nominiert wurde. Sie lebt in Sydney. |
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Person | Vorabdruck aus dem marebuch von Arabella Edge |
Vita | Arabella Edge wurde in London geboren und lehrte Literatur in Bristol. 1991 zog sie nach Australien, wo sie zum ersten Mal von Jeronimus Cornelisz erfuhr. Im Bann der Begebenheiten um die Batavia arbeitete sie über vier Jahre an ihrem Romandebüt Der Unmensch, mit dem sie für den Commonwealth Writers Prize nominiert wurde. Sie lebt in Sydney. |
Person | Vorabdruck aus dem marebuch von Arabella Edge |