Der Stern von Hongkong

Die Star Ferry ist ikonisch für Hongkong – eine Stadt, die wie wenige vom Meer und ihrem Victoria Harbour geprägt ist. Nun scheint das Ende der seit über 150 Jahre betriebenen Fähren nah

Als ich zum ersten Mal den Weg zur Star Ferry suchte, lag ein merkwürdiger Geruch in der Luft, das Miasma, das subtropische Städte produzieren, als würde Gott eine Hühnerbrühe im Himmel kochen. Dazu mischten sich Abgase und Dieselschwaden von den Baustellen, die damals den Anleger der Star Ferry und den ganzen Küstenstreifen in eine Grube aus Lärm und Dreck verwandelten, in dem ich an endlosen Bauzäunen umherirrte und vergeblich nach Anhaltspunkten suchte. Die Plakate an den Zäunen informierten darüber, dass Hongkong Asiens „World City“ sei und hier eine „World Class Waterfront“ gebaut werde. Immer ein schlechtes Zeichen, dachte ich, wenn eine Stadt sich selbst als Weltstadt tituliert. Ich war damals skeptisch, was Hongkong betrifft, wahrscheinlich, weil ich nicht ganz freiwillig dorthin gezogen war. Das war Ende 2005. Ich kam aus Peking, erwartete, bald wieder zurückzuziehen – so kann man sich irren –, und hatte eine Perspektive auf Hongkong wie eine Fliege, die an einer Fensterscheibe klebt. 

Nicht erst die schreckliche Baustelle an der Star Ferry, sondern die ganze Stadt kam mir irgendwie verkehrt vor. Das fing schon bei der räumlichen Orientierung an: alles vertikal – hohe, schlanke Häuser und schmale Straßen statt der horizontalen Orientierung sowjetischen Typs, wie man sie in Peking fand. 

Vor allen Dingen machte mich die labyrinthische Verschachtelung Hongkongs verrückt: Wohin man auch blickt, die Stadtlandschaft reiht sich in Schichten hinter Schichten hinter Schichten, zwischen die sich weitere Schichten von Häusern, Eingängen, Straßen, Gassen, Plakaten und Neonlichtern schieben. Und natürlich überall: Menschen, Menschen, Menschen. Egal, wo man hinschaut, der Eindruck verwirbelt sich jedes Mal, man hat immer das Gefühl, das meiste nicht gesehen zu haben. 

Das ist genug, um einen Fremdling wie mich, noch dazu aus einer kleinen Hafenstadt wie Hamburg, zu entnerven, und es dauerte eine ganze Weile, bis ich begann, anfangs ohne es recht zu merken, in die Hongkonger Verschachtelungen einzutreten. Da war zum Beispiel die kleine Buchhandlung, die eine Wohnung irgendwo im siebten Stock bezogen hatte, weil die Miete in den Ladengeschäften im Erdgeschoss viel zu hoch war. Der Besitzer wurde später von Pekinger Schergen entführt, weil seine Bücher der KP unangenehm waren. 

Zu den verborgenen Räumen, in die ich nur mehr oder weniger zufällig fand, gehörte auch das Büro eines Feng-Shui-Meisters, den ich über die schreckliche Baustelle an der Star Ferry interviewen wollte. Der Feng-Shui-Mann verblüffte mich, denn er war wie ein Geschäftsmann, der keinen Unsinn duldet, ein prosaischer Zauberer in einem behördenartigen Büro, der kürzlich mit großem, aber irgendwie hilflosem Ernst einen Brief an die Hongkonger Stadtregierung geschrieben hatte, um sie davor zu warnen, dass die Baustelle an der Star Ferry das gute Feng-Shui der Stadt beschädigen und womöglich sogar zerstören würde.

Die Form der Küste, sagte er, sei nämlich der springende Punkt. Die Art, wie die Küste das Wasser hält und es verwirbelt, wenn es durch den Victoria Harbour fließt, dies sei der tiefere Grund dafür, dass der Stadt in der Vergangenheit alles gelungen ist.

Tatsächlich ist der Victoria Harbour, dessen Überquerung der Sinn der Star Ferry ist, das eigentliche Zentrum Hongkongs. Der Hafen ist ein natürlicher Kanal zwischen Hong Kong Island in seinem Süden, wo auf einem schmalen Streifen zwischen Bergen und Küste etwa so viele Menschen leben wie in München, und der Halbinsel Kowloon in seinem Norden, die auf sehr engem Raum etwas mehr Einwohner beherbergt als Hamburg. Nördlich von Kowloon, weiter ins Inland hinein, schließen die New Territories an, der Einwohnerzahl nach etwa so groß wie Berlin und Köln zusammengenommen, aber diese Gegend erwähnte der FengShui-Meister nicht, denn das Herz der Sache, die Nabe des Rads, eine Leerstelle, um die sich dennoch alles dreht, das ist der Victoria Harbour, das Wasser zwischen Hong Kong Island und Kowloon.

Hier nun griff die Stadtregierung ein, um die unregelmäßig gezackte Küste zu begradigen und neues Bauland zu gewinnen für vielspurige Autobahnen, Tunnel, ein Kongresszentrum, eine Shoppingmall von den Ausmaßen eines ganzen Stadtviertels, dazu Regierungsgebäude, die aussehen wie feindliche Raumschiffe –alles auf neu aufgeschüttetem Land in den Victoria Harbour hineingebaut. Man könnte ja den Hafen auch einfach ganz zuschütten, dann wäre das Problem mit dem Bauland ein für allemal gelöst, ging mir durch den Kopf, als ich von den rabiaten Maßnahmen hörte, aber mit diesem Scherz wollte ich dem Mann nicht kommen, dafür war ihm die Sache zu ernst. 

Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 162. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 162

mare No. 162Februar / März 2024

Von Justus Krüger und Palani Mohan

Justus Krüger, Jahrgang 1974, hat in Hamburg und Peking Sinologie studiert. Er lebt seit 2005 in Hongkong und schreibt über Ost- und Südostasien.

Palani Mohan, Jahrgang 1967, in Madras, Indien, geboren und in Australien aufgewachsen, lebt heute als freier Fotograf in Hongkong und arbeitet für verschiedene internationale Medien. Seine besondere Leidenschaft gilt Fotobüchern. So fotografiert er den kommenden mare-Bildband „Hongkong“, der im Herbst 2024 erscheinen wird.

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Vita

Justus Krüger, Jahrgang 1974, hat in Hamburg und Peking Sinologie studiert. Er lebt seit 2005 in Hongkong und schreibt über Ost- und Südostasien.

Palani Mohan, Jahrgang 1967, in Madras, Indien, geboren und in Australien aufgewachsen, lebt heute als freier Fotograf in Hongkong und arbeitet für verschiedene internationale Medien. Seine besondere Leidenschaft gilt Fotobüchern. So fotografiert er den kommenden mare-Bildband „Hongkong“, der im Herbst 2024 erscheinen wird.

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Justus Krüger, Jahrgang 1974, hat in Hamburg und Peking Sinologie studiert. Er lebt seit 2005 in Hongkong und schreibt über Ost- und Südostasien.

Palani Mohan, Jahrgang 1967, in Madras, Indien, geboren und in Australien aufgewachsen, lebt heute als freier Fotograf in Hongkong und arbeitet für verschiedene internationale Medien. Seine besondere Leidenschaft gilt Fotobüchern. So fotografiert er den kommenden mare-Bildband „Hongkong“, der im Herbst 2024 erscheinen wird.

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