Der Schatzmeister

Im Dienst der Archäologie bringt der Franzose Franck Goddio versunkene Geschichte zurück ans Licht

Es wuchsen einmal im südchinesischen Meer, nahe der philippinischen Insel Balabac, Korallen mit Blüten aus Porzellan. Die Fischer, die sie entdeckt hatten, brachten zum Beweis das gepflückte Porzellan mit nach Hause. Die Geschichte verbreitete sich und gelangte zur Kenntnis des Franzosen Franck Goddio. Er hatte schon einmal im Auftrag der philippinischen Regierung Porzellan aus dem Meer geborgen. Damals, 1985, war er eigentlich auf der Suche nach einem englischen Handelsschiff aus dem 18. Jahrhundert, der „Royal Captain“. Dieses Schiff aus der Flotte der Ostindien-Kompagnie fand Goddio aber erst zwölf Jahre später. Genau an der Stelle, wo nach Auskunft detailliertester Karten und wahren Bergen an Archivmaterial der Engländer gesunken sein sollte, lag eine chinesische Dschunke aus dem 16. Jahrhundert, gefüllt mit Schälchen, Tellern, Krügen aus Porzellan. Zufall. Den erkannte Goddio an, indem er das Schiff auf den Namen „Royal-Captain-Dschunke“ taufte.

Die Erzählung von den Porzellankorallen führte ihn zu einer zweiten chinesischen Dschunke. Dieses Mal, 1990, war es eine aus dem 13. Jahrhundert. Mittlerweile hält Goddio mit acht den Weltrekord im Dschunkenheben. Insgesamt 14 Schiffswracks hat er rund um die Welt geborgen. Und darüber hinaus, vor der ägyptischen Küste, das versunkene Königsviertel von Alexandria und die Städte Canopus und Herakleion entdeckt.

Der Fund der „Royal-Captain-Dschunke“ war Goddios Initiation, sein „rite de passage“ in den Kreis der Unterwasserentdecker. Heute ist er, dessen Karriere ganz anders begann, der erfolgreichste.

Paris, im feinen sechsten Arrondissement. Der zarte Mann verschwindet nahezu in der hohen Wohnung mit den endlosen Zimmerfluchten und dem schweren Mobiliar. Die schokoladenbraunen Ledereinbände in seiner Bibliothek bergen fast ausnahmslos Werke über Geschichte und Geographie. Belletristik? Nein, früher; heute findet er die Zeit nicht mehr. „Obwohl – keine Zeit haben, das ist ein schlechtes Argument. Ich habe wohl einfach das Interesse verloren.“ Goddio spricht schnell und lebhaft. Kunst? Doch, doch, Kunstbände hat er auch. Aber noch lieber läuft er in jede Kunstausstellung, an der er vorbeikommt. Glück? Er hält kurz inne. Er schaut aus dem Fenster über das Dach des Nachbarhauses hinweg. Er schaut auf den runden Tisch vor sich. Ein 700-Seiten-Wälzer über alexandrinische Architektur liegt da, von einem Autor namens Pensabene – „Denkegut“. „Glück? Glück ist, seine Kindheitsträume zu erfüllen. Soweit man überhaupt glücklich sein kann.“

Vom Entdecken verborgener Welten hat er als Kind geträumt und von Piratenabenteuern. In der marokkanischen Stadt Casablanca, wo er 1947 geboren wurde, und später als Schuljunge in Paris. „Tim und Struppi und der Schatz Rackhams des Roten“, den frankophonen Beitrag zur Unterwasserschatzsuche, hat er verschlungen, ganz klar. Vorm Einschlafen erzählte seine Mutter ihm Geschichten von ihrem Vater, dem Abenteurer Eric de Bisschop. Wie er 1936 den ersten Katamaran der Moderne baute und ihm den hawaiischen Namen „Kaimiloa“ gab, „Jenseits des fernen Horizonts“. Wie er damit über die Meere fuhr, von Honolulu nach Cannes, über Australien und das Kap der Guten Hoffnung.

In den Schulferien fährt der kleine Franck zu Ausgrabungsstätten am Mittelmeer, wo Kinder, mit Löffelchen ausgerüstet, ganz vorsichtig im Sand buddeln dürfen, Schliemann spielen. Im Gymnasium in Frankreich hat er einen Geschichtslehrer, der so enthusiastisch über die Vergangenheit spricht, dass Goddios Augen noch heute groß und murmelblau werden, wenn er sich an ihn erinnert. Der Lehrer hieß Jacques LeGoff und ist heute eine von Frankreichs intellektuellen Eminenzen. Der Historiker LeGoff hat mit seinem Interesse an der Geschichte „einfacher“ Leute dazu beigetragen, dass auch Alltagsgegenstände von der historischen Forschung ernst genommen wurden. Vielleicht rührt daher Goddios egalitärer Respekt vor jeder Art Fund, sei es eine Tonscherbe, sei es eine Goldmünze. „Ein Schatz ist für mich alles, was historisch wertvoll ist. Aber auch nur das.“

Dem Jungen werden Archäologie und Geschichte zur ersten Leidenschaft. „Aber ich bin nicht einmal auf die Idee gekommen, das zu studieren. Wahrscheinlich war es das System.“ Weil Goddio besonders gut in Mathematik ist und das französische Bildungssystem Schüler früh in Bahnen lenkt, die ihren besten Leistungen entsprechen, landet er als junger Mann in einer der leistungselitären Grandes Écoles und studiert Mathematik und Wirtschaft. Mit 26 Jahren geht er als Finanzfachmann für Entwicklungsprojekte zunächst zur Uno, nach Laos, Kambodscha, Vietnam. Später arbeitet er für das französische Außenministerium, und schließlich berät er den saudi-arabischen Entwicklungsfonds. Zehn Jahre lang reist er so durch die Welt, evaluiert Projekte, verhandelt Kreditverträge, wird von Staatschefs empfangen und fühlt sich sehr wichtig. „Das war wie ein langer Drogentrip, aufregend und extrem fordernd.“ Aber irgendwann setzt die Routine ein, und Goddio entsinnt sich seiner ersten Leidenschaft. Kindheitsträume.


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mare No. 36

No. 36Februar / März 2003

Von Judith Reker und Christoph Gerigk

Judith Reker, Jahrgang 1967, war ein wenig desillusioniert, als Goddio ihr erzählte, wie langweilig die Schatzsuche sein kann. „Wie auf dem Acker“ fährt man hin und her, im 30-Meter-Abstand, wochenlang.

Christoph Gerigk, geboren 1965, ist Unterwasserfotograf. Er taucht seit seiner Jugend. Genauso gern wie Archäologie fotografiert er Natur unter Wasser. An Goddio fasziniert ihn nicht zuletzt, dass er mit Gespür und Vorstellungskraft das Bildermachen unterstützt. Christoph Gerigk lebt in Südfrankreich.

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Vita Judith Reker, Jahrgang 1967, war ein wenig desillusioniert, als Goddio ihr erzählte, wie langweilig die Schatzsuche sein kann. „Wie auf dem Acker“ fährt man hin und her, im 30-Meter-Abstand, wochenlang.

Christoph Gerigk, geboren 1965, ist Unterwasserfotograf. Er taucht seit seiner Jugend. Genauso gern wie Archäologie fotografiert er Natur unter Wasser. An Goddio fasziniert ihn nicht zuletzt, dass er mit Gespür und Vorstellungskraft das Bildermachen unterstützt. Christoph Gerigk lebt in Südfrankreich.
Person Von Judith Reker und Christoph Gerigk
Vita Judith Reker, Jahrgang 1967, war ein wenig desillusioniert, als Goddio ihr erzählte, wie langweilig die Schatzsuche sein kann. „Wie auf dem Acker“ fährt man hin und her, im 30-Meter-Abstand, wochenlang.

Christoph Gerigk, geboren 1965, ist Unterwasserfotograf. Er taucht seit seiner Jugend. Genauso gern wie Archäologie fotografiert er Natur unter Wasser. An Goddio fasziniert ihn nicht zuletzt, dass er mit Gespür und Vorstellungskraft das Bildermachen unterstützt. Christoph Gerigk lebt in Südfrankreich.
Person Von Judith Reker und Christoph Gerigk