Der portugiesische Schindler

Wie ein portugiesischer Diplomat Zehntausende Nazi-Flüchtlinge mit Visa rettete und selbst ein Opfer von Diktatur wurde

Dies ist die Geschichte eines Portugiesen, der vor 73 Jahren eine Heldentat beging. Sein Name ist Aristides de Sousa Mendes. Der zentrale Moment in seinem Leben ereignet sich im Juni 1940. De Sousa Mendes ist Konsul in Bordeaux. Seit fast einem Jahr herrscht in Europa Krieg. Er bearbeitet Visumanträge von Flüchtlingen, kümmert sich um Landsleute, beobachtet, wie sich der Kontinent verändert.

In der Nacht vom 13. auf den 14. Juni 1940 ziehen die Deutschen in Paris ein. Frankreich, bis dahin ein Refugium für Verfolgte, wird nach und nach besetzt. Spanien lässt nur Flüchtlinge mit einem Transitvisum über die Grenzen, Schweden und die Schweiz nehmen keine Flüchtlinge auf. Portugal, ebenfalls offiziell neutral, ist eines der wenigen Schlupflöcher. Die Häfen von Lissabon und Porto bedeuten den Weg in die Freiheit. Dort liegen Dampfschiffe, die nach Übersee fahren. Deshalb wollen viele Flüchtlinge ein portugiesisches Visum.

Im Land herrscht Diktatur. Ministerpräsident António de Oliveira Salazar will sich aus allem heraushalten. Er setzt auf die Strategie der „Nebelschwaden“ und der „kooperativen Neutralität“, wie es in der De-Sousa-Mendes-Biografie „Der Gerechte von Bordeaux“ heißt. Dieser Kurs bringt Salazar die Verachtung der Alliierten, aber Ruhe vor Hitler. Im November 1939, kurz nach Kriegsbeginn, hat Salazar an alle portugiesischen Auslandsvertreter den Rundbrief Nummer 14 geschickt. Darin steht, dass das Land an „Ausländer mit undefinierter oder angezweifelter Nationalität, mit Einbürgerungsanträgen in Bearbeitung sowie Staatenlose und Juden, die aus ihrem Herkunftsland oder dem Land, in dem sie Bürger waren, vertrieben wurden“, keine Visa ausstellen wird.

Doch einer seiner Diplomaten ignoriert die Anweisung: Aristides de Sousa Mendes, 54-jähriger Vater von 14 Kindern, Katholik, langjähriger Beamter im auswärtigen Dienst. Zwei Jahre zuvor ist er nach Bordeaux versetzt worden, mit seiner Frau Angelina und den Kindern. Seine Familie ist einflussreich, sie besitzt Ländereien und unterstützt Salazar. De Sousa Mendes ist zu Gehorsam und Pflichtbewusstsein erzogen, seine Familie vertritt konservativ-katholische Werte, Klassendenken, Systemtreue. Aber Aristides’ Karriere verläuft nicht so glänzend wie die seines Zwillingsbruders César, der es unter Salazar bis auf den Posten des Außenministers bringt. Dazu erschwert ihm sein Charakter zu sehr das Beamtendasein. Er ist spontan, impulsiv, großzügig. Gerechtigkeitssinn, christlicher Glaube und Menschlichkeit prägen sein Handeln.

Anfangs unterstützt de Sousa Mendes den Diktator. Die beiden Männer kennen sich persönlich. Nach einem Treffen in Lissabon schreibt Aristides Ende der 1920er Jahre seinem Bruder über Salazar: „Gott möge ihn schützen.“ Doch dann entwickelt sich Portugal zu einem Land, in dem Angst und Schweigen herrschen. Aufstände werden niedergeschlagen, die Medien zensiert. Paramilitärische Milizen verbreiten Schrecken. Beamte werden gezwungen, einen antikommunistischen Eid abzulegen, auch de Sousa Mendes. 1933 schreibt er seinem Bruder: „Er soll verflucht sein, und sein Name soll mit Verachtung ausgesprochen werden, wenn er eines Tages der Grund für unser aller Schande sein sollte.“ Verachtung empfindet de Sousa Mendes wohl spätestens seit dem Rundbrief vom November 1939.

Schon vor dem Einzug der Deutschen in Paris drängeln sich Flüchtlinge vor seiner Tür, im Frühjahr 1940 hat eine Menschenflut das Ufer der Garonne erreicht, wo das portugiesische Konsulat steht. Die Schlangen werden immer länger, de Sousa Mendes’ Widerwille gegen die Anweisung wächst. Warum nicht Asyl gewähren? Freunde aus Belgien bitten ihn um Hilfe. Juden aus Antwerpen, wo er zuvor Konsul war, klopfen an seine Tür, darunter der Rabbiner Chaim Krüger. De Sousa Mendes nimmt Krüger und seine Familie in seiner Privatwohnung im ersten Stock des Konsulatsgebäudes auf.

Immer wieder bittet de Sousa Mendes Lissabon um Anweisungen, was er mit all den Menschen tun soll, die in Bordeaux in Autos, Pferdewagen und auf offener Straße auf einen Stempel und eine Unterschrift warten. Den meisten darf er keine Einreisegenehmigung nach Portugal mehr ausstellen. Es sind Juden, politisch Verfolgte, vertriebene Künstler wie Salvador Dalí und seine Frau Gala, der Schauspieler Robert Montgomery, die Familie Rothschild, Otto von Habsburg – keine „gente limpa“, keine sauberen Leute. Dieser rassistische Begriff aus der Zeit der Inquisition hat sich in Portugal verbreitet.


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mare No. 101

No. 101Dezember 2013 / Januar 2014

Von Brigitte Kramer

Brigitte Kramer, geboren 1967 in München, freie Autorin mit Sitz auf Mallorca, hat einen Teil ihrer Recherche auf das zitierte Buch Der Gerechte von Bordeaux gestützt. Der französische Schriftsteller José-Alain Fralon hat darin den Lebensweg Aristides de Sousa Mendes’ nachgezeichnet. Erschienen ist es 2011 im Stuttgarter Verlag Urachhaus.

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Vita Brigitte Kramer, geboren 1967 in München, freie Autorin mit Sitz auf Mallorca, hat einen Teil ihrer Recherche auf das zitierte Buch Der Gerechte von Bordeaux gestützt. Der französische Schriftsteller José-Alain Fralon hat darin den Lebensweg Aristides de Sousa Mendes’ nachgezeichnet. Erschienen ist es 2011 im Stuttgarter Verlag Urachhaus.
Person Von Brigitte Kramer
Vita Brigitte Kramer, geboren 1967 in München, freie Autorin mit Sitz auf Mallorca, hat einen Teil ihrer Recherche auf das zitierte Buch Der Gerechte von Bordeaux gestützt. Der französische Schriftsteller José-Alain Fralon hat darin den Lebensweg Aristides de Sousa Mendes’ nachgezeichnet. Erschienen ist es 2011 im Stuttgarter Verlag Urachhaus.
Person Von Brigitte Kramer