Der nautische Garten

Eine einzigartige Ausstellung von Seezeichen am grünen Strand von Antwerpen

Ein Museum für Bojen? Ein Freilicht-Bojenmuseum in Antwerpen? Die telefonische Anfrage machte die Leiterin der belgischen Botschaft für Momente ratlos. „Ich war schon mal dort“, sagte ich – „vor vielen Jahren, in den verträumten Hippiezeiten.“ „Tut mir leid“, sagte die Frau, „so etwas gibt es bei uns nicht.“ Nun kamen mir doch einige Zweifel. Hatte ich damals etwa Halluzinationen im psychedelischen Nebel über Antwerpen? Oder könnte es möglich sein, dass ein komplettes Bojenmuseum einfach unbemerkt untergeht? „Nein, Sie haben recht“, sagte die Botschafterin zwei Tage später – „es gibt dieses Bojenmuseum, und zwar am linken Scheldeufer.“

In einer Hafenstadt mit großer Tradition liegt ein Seezeichenmuseum grundsätzlich richtig – obwohl sich mit dem Namen Antwerpen eher andere, bedeutsamere Kulturleistungen verbinden. Von dieser Stadt zu schwärmen, fällt leicht – ein über Jahrhunderte geschaffenes Gesamtkunstwerk, voller steingewordener Baukunst, flämischer Malkunst, Spuren früherer Lebenskunst überhaupt. Der Übergang von Gotik zu Renaissance gilt als ihr „goldenes Zeitalter“, in dessen Erbe sich bis heute gut wandeln und die Augen ausgucken lässt. Jede Straßenecke, jedes Viertel birgt Historie, in jeder zweiten Kirche prangen mächtige Rubens-Bilder. Und auch wenn die weitläufige Altstadt selbst wie ein einziges Museum aussieht, hält sie zusätzlich noch über 30 Museen, historische Säle und Räume für so schöne Dinge wie Klöppelspitzen, Biersorten, Diamanten und eben Bojen bereit.

Wer die verstreuten maritimen Ausstellungen sehen will, kommt hier viel herum und hat sich abends seine Fritten mit Muscheln redlich verdient. Das „Nationalshaepvaartsmuseum“ haust im „Stehen“ – ein kurioser Ort, denn es handelt sich um eine Ritterburg aus dem 12. Jahrhundert, die nach allerlei Bastelei seltsam disneyländlich wirkt, verglichen mit der Pracht ringsum. Wo im Mittelalter feindliche Flottenführer eingekerkert wurden, stehen nun die Modelle ihrer Schiffe, dazu Handwerksszenen en miniature und Kapitänsbilder en gros. Mir fallen, wie stets, unbedeutende Kleinteile auf, Schiffstaufenbeilchen, ein Spazierstock aus Haifisch-Wirbeln, und, als erster Vorgeschmack, eine gestroppte Korkboje. Dieses Ding warf man einst in die tosende See, nachdem ein Mann über Bord gegangen war, in der Hoffnung, die zwei würden sich im Wasser irgendwie finden. Museen setzen uns seit jeher ins Wechselbad der Gefühle – mal in das des Grauens über frühere Härten, mal in das der Nostalgie wegen des Verlustes von so viel schöner alter Kultur.

Lieber raus, ins Freie, ans linke Ufer. Im „Openluchtmuseum“ wirken die Exponate so, als könnten sie jeden Moment wieder in Funktion gesetzt werden. Hochragende Seezeichen stehen im Eingang auf kreisrund betonierten Denkmalssockeln und zeigen ihre großbirnigen Unterteile, andere dickleibige Exemplare tun dies eher versteckt im Gebüsch. Stählerne Ballons scheinen wie Murmeln hingerollt zu sein, schwere, schwarze Signaltonnen sind weiter hinten im Rasen eingesunken. Das Ganze ist angelegt wie ein maritimer Park, ein nautischer Garten, der die weitgehend naturbelassene Landschaft mit rustikalen Stücken der Seefahrt bereichert – mit umgestülpten Bojen, Schiffsschrauben, die sich aus der Erde bohren, Schiffsglocken unter Bäumen.


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mare No. 6

No. 6Februar / März 1998

Von Bernd Cailloux und Hannah Becker

Bernd Cailloux, geboren 1945 in Erfurt, lebt als Schriftsteller in Berlin.

Fotos: Hannah Becker

Nationalschaepvaartsmuseum, Steenplein 1, Antwerpen; Telefon: 03/232 08 50; geöffnet täglich außer montags von 9–17 Uhr

Openluchtmuseum, Linkeroever, Antwerpen; Tag und Nacht geöffnet

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Vita Bernd Cailloux, geboren 1945 in Erfurt, lebt als Schriftsteller in Berlin.

Fotos: Hannah Becker

Nationalschaepvaartsmuseum, Steenplein 1, Antwerpen; Telefon: 03/232 08 50; geöffnet täglich außer montags von 9–17 Uhr

Openluchtmuseum, Linkeroever, Antwerpen; Tag und Nacht geöffnet
Person Von Bernd Cailloux und Hannah Becker
Vita Bernd Cailloux, geboren 1945 in Erfurt, lebt als Schriftsteller in Berlin.

Fotos: Hannah Becker

Nationalschaepvaartsmuseum, Steenplein 1, Antwerpen; Telefon: 03/232 08 50; geöffnet täglich außer montags von 9–17 Uhr

Openluchtmuseum, Linkeroever, Antwerpen; Tag und Nacht geöffnet
Person Von Bernd Cailloux und Hannah Becker