Der Millionenfisch

Auf dem Tokioter Fischmarkt erhält bei der Neujahrsauktion 2014 ein Blauflossenthun den Zuschlag bei einem Preis von umgerechnet 1,3 Millionen Euro, ein einsamer Rekord. Wer ist der Fischer, dem dies ­gelang? Und wer der Käufer, der dieses Gebot abgab?

In der Nacht der Entscheidung wacht er auf, um zwei, um drei, um 3.30 Uhr. Decke über den Kopf. Decke weg. Bauchlage. Seitenlage. Rückenlage. So geht das immer weiter.

Es ist der frühe Morgen des 5. Januar 2013. Gedankenfetzen. Er sieht seinen Thunfisch. Den, den er Tage zuvor gefangen hat. Dieses Prachtstück. 222 Kilo schwer. Helles Fleisch, unversehrte Haut. Voluminöser Körper. Perfekt. Er stellt ihn sich vor, wie er daliegt, ohne Schwanz, auf dem Boden des Tokioter Fischmarkts, neben anderen schwanzlosen, etikettierten Exemplaren.

Es ist die wichtigste Thunfischauktion des Jahres. Die große Chance. Wirklich? Ja, natürlich. Sonst hätte er den Fisch nicht nach Tokio gegeben. Aber was, wenn die Fische der anderen noch besser sind? Noch schwerer, noch fetthaltiger? Darüber nachzudenken bringt nichts. Zeitverschwendung.

Also Augen zu. Noch einmal vesuchen zu schlafen.

Das Handy. Irgendwann gegen fünf, genau weiß er das nicht mehr, kommt er endlich, der Anruf aus Tokio. „Daisuke Takeuchi?“ – „Ja.“ Takeuchi tut müde, ist aber hellwach. Ruhig bleiben. Muss ja nicht jeder wissen, wie aufgeregt er ist.

Tokio sagt: „Herzlichen Glückwunsch. Ihr Thunfisch wurde soeben erfolgreich versteigert.“ – „Aha.“ Mehr kommt aus Takeuchi nicht heraus. Also fährt Tokio fort: „Das höchste Gebot lag bei 155,4 Millionen Yen.“ Wie bitte? Durchs Telefon ist das hektische Treiben des Fischmarkts zu hören. Was hat Tokio gesagt? 155,4 Millionen Yen? Das sind 1,3 Millionen Euro. Die Stimme spricht weiter. Irgendetwas von Rekord und von „noch nie dagewesen“. Takeuchi spürt seinen Herzschlag, angetrieben vom Adrenalin. Er räuspert sich und antwortet: Danke, das freut mich.

Was soll man in so einem Moment auch antworten? In jener Sekunde, in der sich plötzlich alles verändert. Eben noch war er: Daisuke Takeuchi, 36 Jahre, Thunfischfischer aus Ooma. Und jetzt: Daisuke Takeuchi, Millionär aus Ooma. Später wird er die genaue Summe erfahren, die ihm überwiesen werden wird: nach Abzug von Auktionsgebühren, Transport- und Verwaltungskosten rund eine Million Euro. Für einen einzigen Fisch.

 

 

So also beginnt die Geschichte über den teuersten Thunfisch aller Zeiten. Man könnte auch sagen: die Geschichte einer Hysterie, die sich rational kaum erklären lässt. Und dass diese sich in Japan abspielt, verwundert nicht. Kein anderes Land giert so sehr nach dem fettigen Fleisch des Blauflossenthuns. Japans Thunfischindustrie ist milliardenschwer und weltweit vertreten, angeführt vom Autokonzern Mitsubishi, dem größten Thunfischhändler der Welt. Allein 85 Prozent des Mittelmeerfangs gehen direkt nach Japan, insgesamt zwei Drittel des weltweiten Fangs. Japans Hunger nach ihm ist für den Blauflossenthunfisch ein Desaster. Er steht kurz vor dem Aussterben.

Doch solange es ihn noch gibt, werden sie ihn immer weiter essen. Japaner verehren ihn nun einmal, nicht mythologisch, sondern geschmacklich. Am liebsten verzehren sie ihn roh, als Sushi oder Sashimi, mit ein wenig Sojasauce und Wasabi. Am begehrenswertesten ist der „Toro“, der Schnitt aus dem fettigen Bauchteil. Durch die feine Maserung schmilzt der Fisch beim Verzehr auf der Zunge. Ein Erlebnis, für das Japaner viel Geld zahlen. 50 Euro kostet durchschnittlich ein Kilo Blauflossenthunfisch. Ist das Exemplar besonders hochwertig, liegt der Kilopreis schon einmal bei 800 Euro.

800 Euro. Ein Liebhaberpreis für ein knappes Gut. Das verrückte Ergebnis von Angebot und Nachfrage, vielleicht noch nachvollziehbar. Aber 6000 Euro, der Kilopreis von Daisuke Takeuchis Thunfisch? Da erscheint selbst Japans gigantische Immobilienblase der 1980er-Jahre, als die Grundstückspreise in Tokio ins Unermessliche schnellten, wie eine harmlose ökonomische Randerscheinung. Wie also kann es sein, dass ein einziger Fisch dem Käufer 1,3 Millionen Euro wert ist? Eine Thunfischblase?


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mare No. 108

No. 108Februar / März 2015

Von Jan Keith und Kai Sawabe

Jan Keith, Jahrgang 1971, mare-Redakteur und Halbjapaner, weiß, dass man Blauflossenthunfisch nicht mehr essen darf, egal ob nun für eine Million Euro oder für kleines Geld. „Leider steht dieser Fisch symbolhaft für die Überfischung der Meere.“

Kai Sawabe, geboren 1955, Berliner Fotograf, liebt Tokios Fischmarkt – mit Sushi um sechs Uhr früh.

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Vita Jan Keith, Jahrgang 1971, mare-Redakteur und Halbjapaner, weiß, dass man Blauflossenthunfisch nicht mehr essen darf, egal ob nun für eine Million Euro oder für kleines Geld. „Leider steht dieser Fisch symbolhaft für die Überfischung der Meere.“

Kai Sawabe, geboren 1955, Berliner Fotograf, liebt Tokios Fischmarkt – mit Sushi um sechs Uhr früh.
Person Von Jan Keith und Kai Sawabe
Vita Jan Keith, Jahrgang 1971, mare-Redakteur und Halbjapaner, weiß, dass man Blauflossenthunfisch nicht mehr essen darf, egal ob nun für eine Million Euro oder für kleines Geld. „Leider steht dieser Fisch symbolhaft für die Überfischung der Meere.“

Kai Sawabe, geboren 1955, Berliner Fotograf, liebt Tokios Fischmarkt – mit Sushi um sechs Uhr früh.
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