Der Mann ohne Papiere

Der Schriftsteller B. Traven, Schöpfer des Welterfolgs „Das Totenschiff“, machte Zeit seines Lebens ein großes Geheimnis um seine wahre Identität. Es scheint gelöst, aber Zweifel bleiben

Im Jahr 1934 kommt in London und New York die englische Übersetzung eines Buchs auf den Markt, das in Deutschland bereits ein großer Erfolg ist. Doch während die deutsche Ausgabe in vier Jahren 100 000-mal über die Ladentheke geht, werden in England und Amerika nur bescheidene 3288 Exemplare verkauft. Am 25. Januar 1943 erscheint in der US-Zeitschrift „The New Republic“ eine Annonce, die für „The Story of an American Sailor Aboard a Death Ship – the most exciting and sensational sea ­story of this time“ wirbt. Der Schriftsteller hat die Restbestände seines Buchs selbst erworben und versucht verzweifelt, sie für zwei Dollar das Stück zu veräußern. Ein Jahr später ist die Auflage „restlos ausverkauft“. Amerika möchte wissen, wer der neue Autor ist, doch der Verlag bedauert, über die Person des Autors, der in Mexiko leben soll, „keine Auskünfte geben zu dürfen“. 20 Jahre später ist „Das Totenschiff“ in über 20 Sprachen übersetzt und sieben Millionen Mal verkauft. 

Damit gehört B. Travens Schiff zu den erfolgreichsten, die die Literatur vom ­Stapel laufen ließ, obwohl der rostige Dampfer ein Außenseiter ist neben Stevensons stolzer „Hispaniola“ oder Melvilles Walfänger „Pequod“. Auch der Autor, der seine Identität ein Leben lang hinter dem Pseudonym B. Traven verbarg, nur über Postfächer korrespondierte und den Journalisten auch dann entkam, als die Zeitschrift „Life“ ein Preisgeld von 5000 Dollar für die Lösung des B.-Traven-Rätsels ausgeschrieben hatte, blieb stets ein Außenseiter. Kritiker behaupten, die Geheimniskrämerei sei Teil der Werbestrategie, doch das „Totenschiff“ hätte die Welt auch ohne den „weltbekannten Unbekannten“ umrundet. 

Die Romanfigur Philip Gale, ein amerikanischer Matrose, dessen Heimatschiff samt seiner Papiere über Nacht ausgelaufen ist, sitzt am Hafen und angelt, da kommt dieser „merkwürdige Eimer“ angefahren. Ihm wäre „vor Schreck fast die Angelschnur aus der Hand geflitscht: Am Bug trug sie den Namen ,Yorikke‘, aber der Name war so dünn und so ver­waschen, als ob sie sich schämte, so zu heißen. Auch ihre Nationalität hielt sie streng geheim“. Ihre Flagge war vollkommen ausgefranst, und würde man die Anstriche über dem rostigen Blech „nacheinander abspachteln, könnte man daraus ablesen, welche Art von Farbe jedes einzelne Jahrhundert verwendete“.

Noch eindrucksvoller als das Schiff ist die Mannschaft. Gale hat viele Seeleute gesehen, „verlumpte, abgerissene, verkommene, verdreckte, verlauste, verluderte, verhurte, versoffene und gottvergessene Seefahrer – aber so was! Heilige Seeschlange!“ Einer dieser Seefahrer ruft dem Angler zu: „Hey, ain’t ye sailor?“ – „Yos, Mr.“ – „Wanta dschop?“ 

Gale ist mit allen Salzwassern ge­waschen, er heuert als Kohlentrimmer an. Er weiß, das wird die Hölle, aber Gale hat die Vorhölle schon hinter sich. Nachdem sein eigentliches Schiff ohne ihn ausge­laufen war, irrte er auf der Suche nach einer Heuer durch die Häfen, aber kein Schiff nahm ihn ohne Papiere. Auch an Land durfte er ohne Seemannskarte nicht sein – überall, in Holland, Frankreich, Belgien und auf dem amerikanischen Konsulat, fragten sie immer nur nach seinen Papieren. Und überall war Polizei: „Ich zweifle ganz ernsthaft, dass es überhaupt auf der Welt noch Menschen gibt, die nicht Polizei sind.“ Sie warfen ihn ins Gefängnis, eskortierten ihn nachts über die Grenzen, schoben ihn ab. „Ich habe Kinder gesehen, die sich verlaufen hatten; ich habe Leute gesehen, denen ihr Häuschen abgebrannt war; ich habe Tiere ge­sehen, denen der Gefährte erschossen wurde. Das alles ist sehr traurig. Aber das Traurigste ist ein Seemann in einem fremden Land, dem sein Schiff davongefahren ist.“ Denn wenn das Schiff, „das seine Heimat ist, wegfährt, ohne ihn mitzunehmen, dann kommt zu dem Gefühl der Heimat­losigkeit noch das der Überflüssigkeit“. 

Deshalb geht Gale an Bord der „Yorikke“ und steht dann im Kesselraum, wo gleich neun Feuer lodern, damit das Schiff vorankommt. Stanislaw, der Heizer, ist ein von Schweiß glänzendes, mit Kohlenstaub beschmiertes Tier zwischen „glühend heißen Dampfrohren, von denen die Schutzpackungen längst abgefault und abgerissen waren“. Gale schaufelt Kohle, die ganze Nacht, die Männer „arbeiten wie verblödete Seidenraupen, aber der Dampfdruck fällt und fällt“. 

Der Kampf ist aussichtslos. Denn B. Travens Schiff ist nur noch auf See, um unterzugehen. Es geht ausschließlich um die Versicherungssumme. 


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 163. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 163

mare No. 163April / Mai 2024

Von Hans Korfmann

Als Zehnjähriger hat Hans W. Korfmann das „Totenschiff“ bereits im Fernsehen gesehen und war von Adorf und Buchholz nachhaltig beeindruckt.

Mehr Informationen
Vita Als Zehnjähriger hat Hans W. Korfmann das „Totenschiff“ bereits im Fernsehen gesehen und war von Adorf und Buchholz nachhaltig beeindruckt.
Person Von Hans Korfmann
Vita Als Zehnjähriger hat Hans W. Korfmann das „Totenschiff“ bereits im Fernsehen gesehen und war von Adorf und Buchholz nachhaltig beeindruckt.
Person Von Hans Korfmann