Der Mann im Schatten

Wie Alexander Dalrymples Traum vom Südkontinent zerplatzte

Dies ist die Geschichte vom ungleichen Wettlauf zweier Männer. Einem Wettlauf, wie ihn nur die Aufklärung hervorbringen konnte: Es tritt an ein Buchgelehrter in seinem Studierzimmer gegen einen Seefahrer auf Expeditionsreise. Es ist die Geschichte von Alexander Dalrymple und Kapitän James Cook, seinem Gegenspieler, dem Mann, der Dalrymples Traum zerstören wird. Aber so weit ist es noch nicht. Noch sind wir im Jahr 1768. Kapitän James Cook macht sich auf zu seiner ersten Fahrt in den Pazifik.

Wie mag es ihm geschmeckt haben, in London zurückgelassen zu werden? Alexander Dalrymple muss verbittert gewesen sein. Dies hätte seine Reise sein sollen und nicht die eines weithin unbekannten Herrn Cook. Über Monate war man sich in der Londoner Royal Society, dem Wissenschaftsrat, einig, dass nur Dalrymple als Kapitän und Leiter einer Expedition in den Südpazifik in Frage käme. Ein angesehener Wissenschaftler sei er, ein hervorragender Kartograf und, wie es der berühmte Philosoph Adam Smith in einem Empfehlungsschreiben ausdrückte: Niemals werde man einen geeigneteren Mann für Entdeckungen finden als ihn. Und darum ging es doch bei dieser Reise: eine Entdeckung, die letzte große der Welt – um terra australis incognita, den Südkontinent.

Niemand hatte dem England des späten 18. Jahrhunderts so viel Appetit auf diesen sagenumwobenen Ort gemacht wie Dalrymple. Der Südkontinent war sein Lebensthema. Im indischen Madras, seiner ersten Station als junger Angestellter der East India Company, hatte er Feuer gefangen. Dort in den Kolonien war er auf Bücher über die spanischen Expeditionsfahrten in den Südpazifik gestoßen. Nicht einmal 20 Jahre war der Schotte damals, 1752, alt, und er verschlang alles, was er zu lesen bekam. Darin ähnelte er James Cook. Beide waren ehrgeizige Autodidakten, die kaum Schulbildung kannten. Und wie Cook stachelten die Bücher auch Dalrymple an, die Welt zu erobern.

Sieben Jahre hielt es Dalrymple als Angestellter aus, dann, 1759, begann er als Passagier auf verschiedenen Schiffen die Gegenden Südostasiens zu erkunden. Immer systematischer sammelte er Aufzeichnungen früherer Seefahrten in den Südpazifik, die Reisen der Portugiesen und der Niederländer, Magellan, Tasman, Roggeveen. Langsam reifte der Gedanke eines Südkontinents heran. Die Idee ist alt, sie stammt aus der Antike: der Glaube, dass sich in der südlichen Erdhalbkugel etwa gleich viel Landmasse befinden müsse wie im Norden, damit die Erde im Lot bleibe. Doch während sich diesseits des Äquators die Anteile von Wasser und Land tatsächlich die Waage hielten, hatte man bislang während der kurzen, planlosen Fahrten in den Südpazifik hauptsächlich Meer und kleine Inselgruppen gesichtet. In Tabellen errechnete Dalrymple, dass deshalb ein riesiger Kontinent seiner Entdeckung harrte. Ein verstiegener Gedanke?

Dahinter stand die Überzeugung, die Natur sei so etwas wie ein Mathematiker, der die zwei Elemente säuberlich gegeneinander aufrechnet. Es ist die Hoffnung auf das Walten einer höheren Ordnung. Cook schien eher skeptisch gegenüber der Südkontinent-Euphorie. Er fand es überzogen, aus Windrichtungen und Vogelschwärmen, deren Beschreibungen eher willkürlich Eingang in die alten Logbücher gefunden hatten, auf Land und damit auf einen Kontinent zu schließen. Vielleicht war er auch einfach zu sehr Seemann. Denn hier lag Dalrymples größtes Handikap. Er mochte ein leidenschaftlicher Verfechter des Südkontinents sein, aber ob er wirklich ein Schiff befehligen konnte, wusste niemand zu sagen. Deshalb zögerte die Geld gebende Marineführung keine Sekunde, Dalrymple als inoffiziellen Leiter der Südpazifikreise fallen- zu lassen und ihren eigenen Mann an seine Stelle zu setzen: den Marineleutnant James Cook.

Dalrymple lehnte es nach dieser Entscheidung kategorisch ab, Cooks Schiff als einfacher Wissenschaftler zu betreten. So legte die bauchige, schwerfällige „Endeavour“ am 26. August 1768 ohne ihn ab, im Gepäck den versiegelten königlichen Geheimauftrag, den Südkontinent zu finden und in englischen Besitz zu nehmen. Aber Dalrymple gab sich auch jetzt nicht geschlagen, dafür war er von seiner Vision zu besessen. Seine einzige Chance war, sein großes Werk „Reisen in den Südpazifik“ vor Cooks Rückkehr zu beenden. Könnte er vorher nachweisen, wo der Südkontinent in etwa liegt und wie er vermutlich aussieht, bliebe der Ruhm bei ihm. Cook wäre dann bei der Rückkehr nichts als ein Chauffeur der Meere, der bloß exekutiert hätte, was er, der große Visionär, ihm voraussagte.


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mare No. 55

No. 55April / Mai 2006

Von Susanne Leinemann

Susanne Leinemann, Jahrgang 1968, freie Journalistin und Buchautorin in Berlin, kommt von Kapitän Cook nicht mehr los. In mare No. 42 schrieb sie über Omai, einen „edlen Wilden“ aus Tahiti, den der Seefahrer seinerzeit nach England mitnahm.

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Vita Susanne Leinemann, Jahrgang 1968, freie Journalistin und Buchautorin in Berlin, kommt von Kapitän Cook nicht mehr los. In mare No. 42 schrieb sie über Omai, einen „edlen Wilden“ aus Tahiti, den der Seefahrer seinerzeit nach England mitnahm.
Person Von Susanne Leinemann
Vita Susanne Leinemann, Jahrgang 1968, freie Journalistin und Buchautorin in Berlin, kommt von Kapitän Cook nicht mehr los. In mare No. 42 schrieb sie über Omai, einen „edlen Wilden“ aus Tahiti, den der Seefahrer seinerzeit nach England mitnahm.
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