Der Krieg der Nostalgiker

Vor 41 Jahren endete der Krieg um die Falklandinseln. Doch noch immer rumort es im Verhältnis zwischen den einstigen Gegnern

eine erste Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen neigte sich ihrem Ende zu, als der argentinische Staatspräsident Alberto Fernández im September 2021 die Augenbrauen hob und ein Thema ­ansprach, das für sein Land von „großer Wichtigkeit“ sei. Zuvor referierte er über weltpolitische Herausforderungen wie den Klimawandel, den Umgang mit Impf­patenten oder das System der Staatsverschuldung – gerade Letzteres eines der dringendsten zeitgenössischen Probleme Argentiniens, würde man meinen. Seine monotone Juristenstimme gewann indes just dann ein wenig an Emotion, als er forderte, was jedes argentinische Staatsoberhaupt fordert: die Beendigung der „ille­galen Okkupation“ durch das Vereinigte Königreich und die Übergabe der Südlichen Sandwichinseln, Südgeorgiens und der Islas Malvinas – der Falklandinseln.

Das gebetsmühlenartige Beanspruchen der britischen Überseegebiete im Süd­atlantik hat etwas von einem Ceterum censeo, das jeder argentinische Präsident egal welcher politischen Richtung vorträgt oder welche größeren gesellschaftlichen Baustellen das Land beschäftigen: Die Malwinen waren, sind und werden immer Teil Argentiniens sein. Besonders stark zu vernehmen war es in jüngerer Vergangenheit nach Regierungswechseln in Buenos Aires oder 2013 beim Tod Margaret Thatchers. Im April 2022 jährte sich der Falklandkrieg zum 40. Mal – während der Konflikt damals auf beiden Seiten von inneren Problemen ablenkte und eine ­Kollision zwischen rechtem Militärregime und stolzem (Rest-)Empire war, ist er ­heute eine Aus­ein­ander­set­zung um geostrategische Interessen und Ressourcen.

Die Falklands liegen rund 500 Kilo­meter vor der Küste Feuerlands und Südpatagoniens und sind etwas kleiner als  Schleswig-Holstein. Sie bestehen aus mehreren hundert Inseln, deren schroffe Landschaften mit Gräsern und Flechten überzogen und von Fjorden, Meerengen und durch Eis geformte Seen zerklüftet sind. Charles Darwin beschrieb die Inseln einst als „hügeliges Land, desolat und hässlich“. Wegen der ganzjährig niedrigen Temperaturen und des starken Winds eignen sie sich landwirtschaftlich nur für die Zucht von Schafen, weshalb ein solches auch als Wappentier der Inseln dient. In typisch britischer Romantik nennen sich die Falk­länder Kelpers, „die vom Seetang Lebenden“. Zwischen den Inseln und Großbritannien liegen mehr als 12 000 Kilometer Luftlinie – London ist von der Inselhauptstadt Stanley damit weiter entfernt als von Singapur oder Honolulu.

Am 2. April 1982 startete die argentinische Militärregierung die Invasion der Falklandinseln. Der darauffolgende Krieg dauerte 74 Tage und endete mit der Rückeroberung des Archipels durch das Ver­einigte Königreich; 255 britische und 649 argentinische Soldaten verloren ihr Leben, dazu drei Zivilisten. Zu jenem Zeitpunkt hatten die Inseln etwa 1800 Bewohner, heute sind es um die 3000, plus 1700 Soldaten, die seit dem Krieg dauerhaft dort stationiert sind. Der Konflikt ging nicht nur in die Geschichte ein, weil er sich zwischen zwei westlichen Ländern inmitten des Kalten Kriegs abspielte, sondern auch, weil er die letzte Auseinandersetzung war, in der es zu Seegefechten kam: Fast die Hälfte der argentinischen Opfer waren Soldaten des Kreuzers „General Belgrano“, der von einem U-Boot der Royal Navy torpediert wurde, auf britischer Seite wurden neben anderen Schiffen die Zerstörer „Sheffield“ und „Coventry“ versenkt. 

Der Krieg um Inseln am Ende der Welt, die keinen wirtschaftlichen Wert zu haben schienen, wirkte wie aus der Zeit gefallen, auch weil das Vereinigte Königreich all ­seine bedeutenden Kolonien bis auf Hongkong längst aufgegeben hatte. Der argen­tinische Schriftsteller Jorge Luis Borges nannte den Konflikt einen „Kampf zweier Glatzköpfe um einen Kamm“, US-Präsident Ronald Reagan konnte nicht verstehen, warum „sich zwei Alliierte um ein paar eisige Felsen streiten“.

Die Historie der politischen Zugehörigkeit des Archipels ist gewisser­maßen eine Miniatur der Kolonialgeschichte der Welt. Erstmals betreten wurde er wohl 1690 vom Briten John Strong, der den Sund zwischen den beiden Hauptinseln nach dem Marineschatzmeis­ter Anthony Cary, fünfter Viscount Falkland benannte. Die erste Siedlung gründeten im Jahr 1764 französische Seeleute, die aus dem bretonischen Saint-Malo stammten und die Inselgruppe Îles Malouines tauften, der Ursprung des spanischen Namens Islas Malvinas. Wenig später verkauften die Franzosen sie an Spanien, während zur gleichen Zeit der Seefahrer John Byron, Großvater des Dichters Lord Byron, unbemerkt dort landete und einen britischen Stützpunkt errich­tete. Diesen nahmen die Spanier ein, mussten ihn 1771 aber wieder an Großbritannien abtreten. Faktisch änderte sich gleichwohl nichts, bis der letzte spanische Gouverneur die Inseln 1811 verließ. 


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mare No. 157

mare No. 157April / Mai 2023

Von Stephan Sura

Stephan Sura, Jahrgang 1986, ist freier Autor aus Köln und war bei der Recherche für diesen Beitrag ­fasziniert von der Einigkeit, die sowohl in Argentinien als auch im Vereinigten Königreich durch alle sozialen Schichten hinweg im Hinblick auf die Zugehörigkeit der Malvinas beziehungsweise Falklands zum ­jeweiligen Land besteht.

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Vita Stephan Sura, Jahrgang 1986, ist freier Autor aus Köln und war bei der Recherche für diesen Beitrag ­fasziniert von der Einigkeit, die sowohl in Argentinien als auch im Vereinigten Königreich durch alle sozialen Schichten hinweg im Hinblick auf die Zugehörigkeit der Malvinas beziehungsweise Falklands zum ­jeweiligen Land besteht.
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Vita Stephan Sura, Jahrgang 1986, ist freier Autor aus Köln und war bei der Recherche für diesen Beitrag ­fasziniert von der Einigkeit, die sowohl in Argentinien als auch im Vereinigten Königreich durch alle sozialen Schichten hinweg im Hinblick auf die Zugehörigkeit der Malvinas beziehungsweise Falklands zum ­jeweiligen Land besteht.
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