Der Komponist im Sturm

Wie ein Musiker auf den Orkney-Inseln Sinfonien, Opern und Lieder schreibt – über Meeresschnecken, verschollene Leuchtturmwärter und das Wellenrauschen

Da sitzt er in der letzten Reihe. Zusammengekauert, fast schon kauzig, das Kinn in die offene Hand gestützt, wartet Sir Peter Maxwell Davies auf den Beginn des Konzertes des jungen finnischen Violinvirtuosen Pekka Kuuisto, der Werke von Bartók, Brahms und Prokofjew vortragen wird.

Auf dem 22. St.-Magnus-Festival auf den Orkney-Inseln ist der Komponist und Gründer des Festival, den hier alle schlicht Max rufen, nur noch zu Gast. Er ist für ein paar Tage herübergekommen von der einsamen Insel Hoy, auf der er seit 1971 in dem nahezu verlassenen Dorf Rackwick lebt. Zwei spartanisch eingerichtete Räume in einem alten Cottage hoch oben auf den Klippen bilden sein Zuhause.

Es ist dies der Ort, wie er sagt, an dem er zu sich selbst gefunden habe. Sollte nicht gerade eines der großen Orchester der Welt nach ihm rufen, durchstreift er die mit Heidekraut bewachsenen Hügel von Hoy, sammelt Treibholz unten am Strand und lauscht dem Klang der Wellen, der sich in der von hohen Klippen eingerahmten Bucht auf sonderbare Weise zu vervielfältigen scheint.

Aufgewachsen bei Manchester, verdiente er sich erste Sporen als Komponist an der Cirencester Grammar School, dessen Musikdepartment er als Direktor vorstand. Als er hierher zog, erzählt er, hätten ihn Einheimische und Freunde für verrückt erklärt, doch er habe gewußt, daß dies genau der richtige Ort für ihn sei. Kilometerweit entfernt von zivilisatorischen Annehmlichkeiten hat er seither mehr als 200 Werke, wie zum Beispiel das wundervolle „Orkney Wedding with Sunrise“ geschrieben. „Es gibt hier Kräfte, die durch meinen Bleistift Gestalt annehmen“, beschreibt er die Quelle seiner Inspiration, „und das hat nicht nur mit dem Meer zu tun, sondern mit dem Zusammentreffen von Land und Meer. Leben auf den Klippen bedeutet, an der äußersten Kante zu sein. Zwei Welten prallen aufeinander, und es ist wundervoll, wenn sie im Winter aufeinanderstoßen. Ich höre dann mit meiner Arbeit auf und lausche, gehe vors Haus und genieße den Wind, wie er heult, spüre ihn im Haar und wie er im Gesicht reißt.“

Obwohl weiterhin Präsident des hochkarätigen Festivals neuer klassischer Musik, hat er sich aus dessen Organisation völlig zurückgezogen. Die Leute im Festivalausschuß könnten das viel besser, behauptet er, ein Lob, das Organisatorin Dorothey Rushbrook mit dem Lächeln der Verzweiflung kommentiert. Während sie tausend Tode wegen des einsetzenden Seenebels stirbt, der den Flughafen der Orkney-Inseln lahmlegt, scherzt der Komponist draußen vor der St.-Magnus-Kathedrale mit einem seiner zahllosen Bewunderer über seine jüngste, die sechste Symphonie. Von der Kritik gefeiert („voll lebenssprühender Intensität“, schrieb der „Daily Telegraph“), ist die Symphonie ein Dankeschön an den orkadischen Schriftsteller George Mackay Brown, der im April 1996 74jährig verstarb und dessen Werk mit dem des weltberühmten Komponisten eng verwoben ist.

Rein äußerlich betrachtet, interpretiert die vielbeachtete „Sechste“ drei Meeresschnecken auf der Fensterbank seines Cottages. „Es sind Wellhornschnecken“, sagt Max. „Ich besitze diese drei auch heute noch, eine ist ganz, von der zweiten hat das Meer bereits große Teile abgeschliffen, so daß die Struktur der Schnecke offensichtlich wird, während von der dritten nur noch ein Spirale übriggeblieben ist.“ Als Wellhornschnecke ist sie schon gar nicht mehr zu erkennen.


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mare No. 12

No. 12Februar / März 1999

Von Hans J. Marter

Eine erschöpfende Diskografie bietet die offizielle Homepage des Komponisten: www.maxopus.com. Werke von George Mackay Brown sind auch ins Deutsche übersetzt, u.a. Die Greenvoe Story, Verlag Im Waldgut, CH-Frauenfeld, 39,80 Mark.

Hans J. Marter, 1960 auf Sylt geboren, lebt seit 1992 als freier Journalist auf den Shetland-Inseln. 1996 erschien sein Falk-Reiseführer Nordseeküste: Nordfriesland, 92 Seiten, 14,80 Mark. Derzeit bereitet er einen Essayband über Schottland vor

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Vita Eine erschöpfende Diskografie bietet die offizielle Homepage des Komponisten: www.maxopus.com. Werke von George Mackay Brown sind auch ins Deutsche übersetzt, u.a. Die Greenvoe Story, Verlag Im Waldgut, CH-Frauenfeld, 39,80 Mark.

Hans J. Marter, 1960 auf Sylt geboren, lebt seit 1992 als freier Journalist auf den Shetland-Inseln. 1996 erschien sein Falk-Reiseführer Nordseeküste: Nordfriesland, 92 Seiten, 14,80 Mark. Derzeit bereitet er einen Essayband über Schottland vor
Person Von Hans J. Marter
Vita Eine erschöpfende Diskografie bietet die offizielle Homepage des Komponisten: www.maxopus.com. Werke von George Mackay Brown sind auch ins Deutsche übersetzt, u.a. Die Greenvoe Story, Verlag Im Waldgut, CH-Frauenfeld, 39,80 Mark.

Hans J. Marter, 1960 auf Sylt geboren, lebt seit 1992 als freier Journalist auf den Shetland-Inseln. 1996 erschien sein Falk-Reiseführer Nordseeküste: Nordfriesland, 92 Seiten, 14,80 Mark. Derzeit bereitet er einen Essayband über Schottland vor
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