Der Fluch der teuren Haut

In den Sümpfen Louisianas werden Alligatoren gezüchtet und gejagt und geschlachtet – ein blutiges Spektakel

Das wichtigste Körperteil eines Alligators ist die sündhaft teure Haut. Mancher hier in Louisiana meint, bei Menschen sei das nicht anders. Steele McAndrew, Farmbesitzer und Weißer, sagt: „Oft denke ich, es waren die Alligatoren, die diesen Fluch über das Land gebracht haben.“ Der schwarze Cowboy Israel Campbell mit seiner Vorliebe für Gespenstergeschichten kann da nur zustimmen. „Vielleicht ist es ja wirklich die Rache der Reptilien, dass die Hautfarbe hier so viel bedeutet.“ Weiß und Schwarz, seit Jahrhunderten hat sich daran nicht viel geändert: Am linken Ufer der Kanäle stehen Herrenhäuser mit gepflegtem Rasen, am rechten die Hütten auf struppigen Wiesen.

Mit bloßem Auge ist nicht zu erkennen, ob die Tiere aus der Wildnis kommen oder gezüchtet wurden. Der Unterschied zeigt sich erst im Tod: In den Sümpfen stirbt ein Alligator durch Gewehrkugeln, auf der Farm durch das Messer. Heute lässt Farmer Steele seine Ställe und Käfige leeren, um den Bestand zu sichten. Mit einem dumpfen, kratzenden Geräusch landen die Alligatoren in drei verschieden markierten Plastikcontainern, die vor den Ställen aufgestellt wurden. Nebeneinander, übereinander, das Maul verbunden mit schwarzem Klebeband. Seit knapp zwei Stunden erst sticht die winzige Sonne durch die Hecken und sturmschiefen Eichen, die die Farm begrenzen. Aber der Schweiß fließt den Männern schon in schmierigen Streifen aus den Kopftüchern, durch die Brauen, in die Augen, auf die heftig sich wehrenden Tiere, die mit ihren muskulösen Schwänzen schlagen. Vorarbeiter Bow hält die Tiere weit weg vom Körper, am ausgestreckten Arm: „Pass auf! So eine Backpfeife ist schlimmer als die von deiner Mutter!“

Die schwüle Luft hängt zäh zwischen dem Büro und den Holzbaracken, in denen die weißen Gummistiefel auf dem Boden eilig hin- und herquietschen. Außer Steele McAndrew, der laut und abgehackt die Daten für die Bestandsliste herüberruft, hat kaum einer den Atem zum Reden. Die schweren Tiere, hunderte von ihnen müssen sie wuchten, lassen die Arbeiter vor Anstrengung zittern. Im Türrahmen erscheint der achtjährige Dalton, Israel Campbells Enkel. Auf nackten Füßen durchquert er den schlammigen, blutigen Flur. Im Halbdunkel stürzen sich breitschultrige Kakerlaken auf die Speisereste, die mit den Reptilien aus den Gittern fallen. Der Kleine reiht sich mit stoischem Gesicht ein in die Kette der Älteren. „Mann, mir ist nach Töten zumute“, sagt er cool. Dann lädt er sich einen blutjungen Alligator auf und trägt ihn nach vorne, zum Hautcheck: ein dorniges Rückenfell und ein heller Plattenbauch, glatt wie Kokosmilch. Steele schaut Bauch und Rücken an, Länge, Alter und Schönheit. Hinter seinem undurchdringlichen schwarzen Bart wird entschieden, welche „Gators“ sterben müssen – und welche in die Freiheit der Bayous entlassen werden, schon morgen.

Je hässlicher, desto besser – für die Bestien. Nur die, die Narben oder Makel haben, erwartet ein freies Leben in den sumpfigen Kanälen am Golf von Mexiko. Die Arbeit der Farmer ist eine Qual. Und manche können schlecht verbergen, dass sie den Lohn der letzten Woche in vergänglichen Werten angelegt haben. Ein typischer Montag: kleine Augen, einsilbige Gespräche. Steele McAndrew macht sich seinen Reim darauf, dass nur die Hälfte seiner Leute zur Arbeit erschienen ist. Nicht, dass in Ville Platte viel los wäre. Am Wochenende öffnet das Casino auf dem Indianerland, wo Sozialhilfe aus großen Plastikbechern in die einarmigen Banditen geschaufelt wird. Dann die Dancehalls, die Tanzschuppen: viel Alkohol und seit neuestem auch Crack.

Familie Campbell dagegen war am Sonntag in der Kirche. Der Sonntag ist ihr heilig. Oder, wie Enkel Dalton es ausdrückt: „Immer dasselbe.“ Wenn sein Großvater ihm die Ohren gewaschen hat, fahren sie mit Daltons Vater Lee, Israels Frau Trixi und den drei Enkelinnen im roten Dodge zur Messe. „Euer Kühlschrank ist leer? Fragt Jesus! Er hat für alles eine Lösung!“, schallt es in der Baptistenkirche aus riesigen Boxen. An dem jungen Pfarrer mit den dramatischen Gesten kann es nicht liegen, dass sich die Gemeinde in den letzten Jahren auf neun Schäfchen reduziert hat. „Oooooh, Lord“, heißt ihre Antwort auf seine eindringliche Mahnung, „Jesus is no sometimer!“

Auf der Fahrt nach Hause biegen die Campbells gewöhnlich beim „Cajun Inn“ ab, der Kneipe der Weißen, wo sich die Rednecks zum Frühschoppen treffen. Meistens handeln ihre Gespräche von Politik. „Wir haben zu viele Einwanderer hier, zu viele Schmarotzer.“ Vor der Toilette steht ein Automat mit frei verkäuflichen Schmerzmitteln: Mylanta, Tylenol, Aspirin. Der Dodge der Campbells passiert die Tankstelle. Blasse Minderjährige sitzen dort in großen Autos und hören Musik. Auch ein sonntägliches Ritual.

Daheim angekommen, räumen die drei Töchter die Fläche vor dem grünen Sofa frei, um Disco-Tänze und die „Tootsie-Roll“ zu üben. Auf dem Herd köchelt Schmorfleisch. Dalton rennt raus zu den Alligatoren, bevor der Großvater wieder Zuhörer für die „spooky stories“ sucht, seine Gruselgeschichten. Denn selbst Desire, die armdicke Boa Constrictor, wird dann vor Langeweile einnicken, den Kopf gegen die Wand ihres Glaskastens gelehnt.


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mare No. 28

No. 28Oktober / November 2001

Von Ania Faas und André Lützen

Die Autorin Ania Faas, Jahrgang 1964, ließen die Alligatorenjäger nur unter einer Bedingung auf ihre Boote – wenn sie sich bereit erklärte, selbst zu schießen. „Wie gelähmt hielt ich das Gewehr zwischen die Augen der Echsen“, erinnert sie sich, „bestimmt fünf Minuten lang.“ Dann drückte sie ab.

Auch Fotograf André Lützen, Jahrgang 1963, musste mit ran. Zwar blieb ihm das Schießen erspart. Doch nach dem Hurrikan, als beinahe die gesamte Farmbelegschaft wegblieb, trug er eine Nacht lang die getöteten Alligatoren ins Kühlhaus.

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Vita Die Autorin Ania Faas, Jahrgang 1964, ließen die Alligatorenjäger nur unter einer Bedingung auf ihre Boote – wenn sie sich bereit erklärte, selbst zu schießen. „Wie gelähmt hielt ich das Gewehr zwischen die Augen der Echsen“, erinnert sie sich, „bestimmt fünf Minuten lang.“ Dann drückte sie ab.

Auch Fotograf André Lützen, Jahrgang 1963, musste mit ran. Zwar blieb ihm das Schießen erspart. Doch nach dem Hurrikan, als beinahe die gesamte Farmbelegschaft wegblieb, trug er eine Nacht lang die getöteten Alligatoren ins Kühlhaus.
Person Von Ania Faas und André Lützen
Vita Die Autorin Ania Faas, Jahrgang 1964, ließen die Alligatorenjäger nur unter einer Bedingung auf ihre Boote – wenn sie sich bereit erklärte, selbst zu schießen. „Wie gelähmt hielt ich das Gewehr zwischen die Augen der Echsen“, erinnert sie sich, „bestimmt fünf Minuten lang.“ Dann drückte sie ab.

Auch Fotograf André Lützen, Jahrgang 1963, musste mit ran. Zwar blieb ihm das Schießen erspart. Doch nach dem Hurrikan, als beinahe die gesamte Farmbelegschaft wegblieb, trug er eine Nacht lang die getöteten Alligatoren ins Kühlhaus.
Person Von Ania Faas und André Lützen