Der eingepackte Riese

Eisberge als Trinkwasser für die Wüste. Ein gigantischer Plan

Jeder Seemann, dem Aberglauben bekanntermaßen nicht abhold, dürfte sich seinen Teil denken bei dem Anblick des grellweiß glitzernden Monstrums, das sich da durch den offenen Ozean bewegt. Einen Kilometer im Quadrat misst es, ragt 30, 40 Meter aus den Wellen heraus und steht voll unter Segeln in der Westwinddrift des Südmeeres. So sah er jedenfalls viele Jahre lang aus, der Traum des Prinzen Mohammed al Feisal al Saud. Bislang ist nichts daraus geworden. Aber das will nichts heißen.

„Icebergs for the Future“ hieß die Organisation, die in den 70er und 80er Jahren bizarre Pläne schmiedete: Die Trinkwasserversorgung der trockenen Länder in Nahost wollte man sicherstellen mit Hilfe riesiger Eisberge, die vom Süßwasser-Schelfeis des Südpols herbeigeschleppt werden. Schirmherr war Feisal, Spross der Herrscherdynastie des Landes mit wenig Wasser, aber viel Geld: Saudi-Arabien. Feisal veranstaltete internationale Konferenzen, ließ Polarforscher und Ingenieure — zwischenzeitlich bis zu 40 Experten — recherchieren und kalkulieren.

128 Tage, das ergaben die ersten Berechnungen, würde der Transport eines solchen Kolosses vom Weddellmeer zur saudischen Hafenstadt Dschiddah dauern; zunächst von günstigen Strömungen und Winden angetrieben (es war allen Ernstes auch die Rede davon, auf dem Eis Masten mit Segeln zu setzen), später dann von Superschleppern gezogen. Per Satellit könnten sich die Eisbergspediteure am Südpol unter den frischgekalbten Eisbergen diejenigen mit der günstigsten Façon auswählen und auf mögliche Bruchlinien untersuchen. 20 Millionen Dollar wäre das Ungetüm am Bestimmungsort wert, wenn der Liter Trinkwasser mit zehn Cent veranschlagt wird — und wenn es heil ankommt. Genügend Rohstoffreserven jedenfalls böten die südlichen Eisbergwerke: Jedes Jahr entlässt die Antarktis 5000 Riesenklötze aus feinstem Trinkwasser mit einem Gesamtvolumen von 1000 Kubikkilometern in die freie See. Die Menge könnte rund ein Viertel des gesamten Weltbedarfs decken — theoretisch.

Die Idee, mit Eisbergen Wüstenländer zu beglücken, ist nicht neu, wobei eigentlich immer nur Eis aus der Antarktis, das allein in nennenswerter Größe anfällt, im Gespräch war. Das Packeis des Nordpols dagegen besteht – abgesehen von den abgekalbten Grönlandgletschern – aus salzigem Meerwasser. Bereits in den 50er Jahren schlug der Ozeanograph John Isaacs aus Kalifornien vor, Eisberge aus der antarktischen Bellingshausensee durch den kalten Humboldtstrom an der Westküste Amerikas bis vor seine heimatlichen Gestade zu bugsieren, um damit das trockene Innere Südkaliforniens in eine blühende Agrarlandschaft zu verwandeln.

Doch sowohl in Kalifornien als auch in Arabien sind die Pläne fürs erste auf Eis gelegt. Der Hauptgrund: Die Wasserknappheit in Amerika und Nahost hat an Brisanz verloren, das Geld für so ausgefallene Ideen können sich beide vorerst sparen. Beide Länder sind nämlich dazu übergegangen, lieber ihre — nicht regenerierbaren — Reserven an fossilem Grundwasser in großer Tiefe anzuzapfen. Saudi-Arabien hat es dadurch immerhin zum Weizenexportland gebracht. Sind aber die Reserven erst einmal erschöpft, wird die Idee wieder in die Diskussion kommen. Doch auch dann sind noch einige Klippen zu umschiffen, ganz so einfach ist die Sache nämlich doch nicht — wenn auch beileibe nicht unmöglich.


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mare No. 6

No. 6Februar / März 1998

Von Ulli Kulke

Ulli Kulke ist stellvertretender Chefredakteur von mare. Als freier Journalist und entwicklungspolitischer Referent der Grünen Bundestagsfraktion beschäftigte er sich vielfach mit dem Thema Welternährung und Weltwasserversorgung.

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Vita Ulli Kulke ist stellvertretender Chefredakteur von mare. Als freier Journalist und entwicklungspolitischer Referent der Grünen Bundestagsfraktion beschäftigte er sich vielfach mit dem Thema Welternährung und Weltwasserversorgung.
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