Der beste Schuppen für Fisch

Natusch: Ein Nobelrestaurant, in Bremerhaven versteckt, dort wo sich Dorsch und Brasse Gute Nacht sagen

Wir trafen uns in Bremen auf dem Bahnhof. Er war ein Wassermann mit himmelblauen Augen. „Wenn du mal in Bremerhaven vorbeikommst, dann gehn wir beide zu Natusch. Das ist das richtige Restaurant für Nixen. Piekfein und das Essen törnt einen total an. Außerdem findet uns da kein Schwanz.“ Aus dem Mann, der diesen Satz sagte, und aus mir hätte wirklich was werden können. Zu Natusch geht man nicht mit irgendeinem beliebigen Backfisch. Jedenfalls nicht, wenn man 600 Dollar im Monat verdient. Zu Natusch gehen Männer und Frauen bis zum heutigen Tag nur, wenn sie ernsthafte Absichten haben. Zum Beispiel Austern essen. Die Sache hatte damals nur einen Haken: In Bremerhaven kommt niemand auf der Welt einfach mal so vorbei. Bremerhaven liegt wirklich weit ab vom Schuss, und alle Fremden in der Stadt, es sind nur wenige, sind ganz gezielt hierher gefahren. So fiel diese Liebe ins Wasser, bevor sie begonnen hatte. Schwamm drüber.

„Eigentlich“, sagt Lutz Natusch, „ist es von hier nach Bremen nicht viel weiter als von Hamburg-Altona nach Blankenese. Jedenfalls, was die Fahrzeit betrifft. Sind ja nur 20 Minuten. Die Autobahn ist doch in erster Linie eine psychologische Barriere. Und eine meteorologische.“ Bei Glatteis bleibt das sonst stets gutgebuchte Restaurant leer. Denn drei Viertel der Gäste kommen aus Bremen herangefahren, der Rest sind Bremerhavener Geschäftsleute und Privatiers mit Verwandtenbesuch aus dem Binnenland. Der durchschnittliche Einwohner dieser Stadt geht hier nur essen, wenn er eingeladen wird. Überdurchschnittlich viele Bremerhavener sind arbeitslos, Rentner und wählen SPD. Schlechte Fischgründe für Feinschmeckerwirte. Eine graue Stadt am grauen Meer, grauenhaft verlassen.

Natusch wirkt ein bisschen unglücklich in seinem Versteck im Eck der Republik. Denn selbst wenn man Bremerhaven gefunden hat, ist man noch lange nicht bei Natusch angekommen. Das Traditionshaus liegt mitten im Fischereihafen, da wo sich Dorsch und Brasse Gute Nacht sagen. „Wir müssen hier um jeden Gast kämpfen“, sagt der 54jährige Natusch.

Da nützt es wenig, dass Natusch der einzige deutsche Gastronom ist, der auf der Fischauktion mitsteigern darf (was sonst nur Händlern gestattet ist). Dass er seine Gäste nach Strich und Faden verwöhnt und zum Beispiel ein edles Holzkästchen mit den schönsten Lesebrillen an den Tisch trägt, wenn ein Besucher seine Augengläser vergessen hat. Dass er eine riesige Sammlung maritimer Ulkigkeiten zusammengetragen hat und sie für die Gäste ausstellt. Dass man hier unter den Bullaugen aus der Yacht von Goebbels oder in der Originalkabine einer Yacht von Errol Flynn speisen kann. Dass er diverse Kindermenüs anbietet mit „Gesichterkartoffeln und Supernachtisch“. Alles geschenkt. Für das Filet vom Steinbutt, „das man in Hamburg locker für 60 Mark auf den Teller legen kann“, traut sich Natusch gerade mal 40 Mark zu berechnen. Und für das dreigängige „Businessmenü“ mit einem Amuse Geule von marinierten Muscheln, einer Kürbissuppe mit frischem Ingwer, einem hauchzarten Filet vom Angelschellfisch und einem Dessert aus warmen Zwetschgen und Zimteis auf Beerenmarksauce kann Natusch dem Gast nur neununddreißig fünfundsiebzig berechnen, ein Glas guten Weißweins inklusive. „Eine komische Stadt“, sagt Natusch, „alles hauptamtliche Bedenkenträger und Menschen ohne Visionen.“

Aber weg will er auch nicht. Und eigentlich hat er ja auch alles vorher gewußt. „Damals, als ich das Lokal von meinen Eltern übernehmen sollte, hab ich mir schon genau überlegt, was ich will. Mach ich nun auf vornehm oder lieber auf Fischbratküche, das war die Frage.“ Sie war leicht zu beantworten. Denn damals hatte Natusch bereits seine Ausbildung als Koch und als Kellner beendet und in ersten Häusern in Berlin, London und in der Schweiz gearbeitet. Der Laden seiner Eltern schien ihm keine Perspektive zu bieten, „jedenfalls nicht, so wie das damals aussah“. Bis Ende der 70er Jahre hockten schwere Jungs und leichte Mädchen in dem ehemaligen Bunker, Matrosen, die ihre Heuer versoffen und Hafenarbeiter, die ihren Lohn austüteten. Mutter Natusch, von den Gästen Silbermöwe genannt, hielt die wilden Männer mit Hausfrauencharme im Zaume und briet ihnen Schollen und Bratkartoffeln zum Sattessen. Wenn die Fäuste flogen, ging Vater Natusch dazwischen und auch Sohn Lutz lernte früh, dass nicht jeder Gast ein Geschenk ist. „Mir blieb nur die Flucht nach vorn“, sagt er heute. „Ich wollte aus dem Laden was ganz Besonderes machen.“

Wenn er wieder mal mit seinem Restaurant im Fernsehen war, dann kriegt er die Quittung. „Im Sommer ist irgendwo ein Fernsehbericht über uns gelaufen, wo ,Lachs in der Salzkruste‘ erwähnt wurde. Das wurde dann wochenlang von allen Gästen bestellt.“ Lachs in der Salzkruste ist das Essen mit dem Hammer. Der Fisch gart in einer Kruste aus Eiweiß und Meersalz, die bei Tisch zerschlagen wird. „Darin bleibt er dann so zart wie ein Ritter in der Rüstung“, sagt Natusch. „Oder so ähnlich.“


Lachs in der Salzkruste

Zutaten für 4 Personen

880 g Lachsfisch, 2800 g Meersalz, 4 Eiweiß, 2 Köpfe Salat, z.B Römer, Wirsing oder Chinakohl, 2 Zitronen, weißer Pfeffer, Prise Salz

Zubereitung

Lachsfilet unter fließendem Wasser sorgfältig abspülen und mit Küchenpapier trockentupfen. Salat waschen, in große Blätter zerteilen, blanchieren. Das grobe Meersalz mit dem aufgeschlagenen Eiweiß mischen, und die Hälfte in einer Backform verteilen. Den Lachs mit Zitrone abreiben, etwas salzen und pfeffern. Dann den Lachs in den Salat einwickeln und auf das Bett aus Salz legen. Mit dem restlichen Salz bedecken. Im Backofen bei 230°C etwa 25 Minuten garen. Mit Kartoffeln, jungem Gemüse und einer Safran-Sahnesauce servieren. Kruste bei Tisch zerschlagen.


Natusch

Am Fischbahnhof 1, Bremerhaven; 11.45–15 Uhr und 17.30–22 Uhr
Montag Ruhetag (außer an Feiertagen); Vorbestellung (Fr–So) erforderlich: Tel. 0471/710 21
http://www.natusch.de/

mare No. 6

No. 6Februar / März 1998

Von Billy Starfish und Dirk Fischer

Text: Billy Starfish

Dirk Fischer, 1960 in Kiel geboren, gelernter Kommunikation-Designer, war 12 Jahre lang national und international als Fotograf für Werbeagenturen und Magazine tätig. Heute arbeitet er als Lebenscoach und Berater.

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Vita Text: Billy Starfish

Dirk Fischer, 1960 in Kiel geboren, gelernter Kommunikation-Designer, war 12 Jahre lang national und international als Fotograf für Werbeagenturen und Magazine tätig. Heute arbeitet er als Lebenscoach und Berater.
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Dirk Fischer, 1960 in Kiel geboren, gelernter Kommunikation-Designer, war 12 Jahre lang national und international als Fotograf für Werbeagenturen und Magazine tätig. Heute arbeitet er als Lebenscoach und Berater.
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