Dem Meer eine Chance

Das neue UN-Abkommen könnte zum Durchbruch werden für den Meeresschutz. Dazu muss es aber auch umgesetzt werden

Freiheit verlangt Verantwortung. Die Freiheit der Meere ist aber als Einladung zu deren Verschmutzung und zur Ausbeutung missverstanden worden. Die Hohe See ist zum Wilden Westen verkommen, weil sie – immerhin die Hälfte der Erdoberfläche – nicht vor dem Menschen geschützt war. Die Ozeane nehmen 90 Prozent der menschengemachten Erd­erwärmung auf, in ihnen sammelt sich ein Viertel des von Menschen erzeugten CO2. Das sorgt für eine wachsende Übersäuerung der Meere, in denen noch Millionen unentdeckter, ge­fähr­de­ter Lebewesen mit nicht erforschter DNA vermutet werden. 

Keine durchsetzbaren Regeln zum Schutz der biologischen Vielfalt gelten bislang für diese „herrenlosen“ Meeresweiten. Jetzt hat die Staatengemeinschaft endlich die Verantwortung für diese „Internationalen Gewässer“ übernommen. Als erster Schritt ist unter dem Schirm der Vereinten Nationen eine Übereinkunft über die Bewahrung der biologischen Vielfalt und den nachhaltigen Umgang mit der Hohen See geschlossen worden. Mehr als 15 Jahre haben die Verhandlungen gedauert, die schließlich in ­einer 40-stündigen Marathonsitzung am 4. März dieses Jahres zum Abschluss gelangten. Standing Ovations spendeten die Delegierten der Präsidentin Rena Lee für diese Meisterleis­tung in Zeiten von Krieg und internationalen Spannungen. Die Ozean­diplomatin aus Singapur bedankte sich tief bewegt bei den Delegierten für die Verabschiedung des Vertragstexts. 

Die Hoffnung ist, dass es sich nicht nur um eine „Einigung aus Ermüdung“ handelt, sondern um einen nachhaltigen Konsens. Die Übereinkunft bezieht sich auf das UN-Seerechtsübereinkommen (UNCLOS), ein inzwischen bis auf 15 parties, darunter die USA, von allen Staaten ratifiziertes Abkommen. Die jetzt beschlossene Übereinkunft wird 120 Tage nach der Hinterlegung der Beitrittserklärungen der ersten 60 Staaten in Kraft treten. Es wird abzuwarten sein, welche Länder sich mit der Ratifizierung und Hinterlegung beeilen und welche nicht. Die Mitgliedstaaten behalten einerseits ihre Unabhängigkeit und Souveränität, sind andererseits verantwortlich für die Umsetzung der Übereinkunft. Wie bei UNCLOS bildet sich bei längerer Anwendung dieses Meeresschutzabkommens allerdings so etwas wie ein Völkergewohnheitsrecht mit einer gewissen Bindungswirkung auch für die außen bleibenden Staaten. Dieses Abkommen hat einige wesentliche Grundsätze aufgestellt und ist von ihnen getragen.

Die Übereinkunft erklärt ausdrücklich, dass die Ozeanböden zum common heritage of humankind, also zum gemeinsamen Erbe der Menschheit für gegenwärtige und künftige Generatio­nen, gehören und dass dieses Prinzip die Auslegung und Anwendung des neuen Vertrags leitet. Zwar stammt das common heritage of humankind für den Tiefseeboden und seine (mineralischen) Ressourcen aus dem UNCLOS, die ausdrückliche Einbeziehung gibt aber Anlass zur Hoffnung, dass alle Staaten, auch Binnenländer ohne Meereszugang, daraus die Verantwortlichkeit für den verbesserten Schutz des Ozeans ableiten. Diese Passage war sehr umstritten. Eine heterogene Minderheit von Staaten wollte sie aus den Entwürfen streichen: die EU, Russland, Island, Australien, Japan und der Vatikanstaat. Die Mehrheit, die „Gruppe der 77“, eine inzwischen auf 134 Mitgliedstaaten der UN gewachsene Zahl von überwiegend Entwicklungsländern, konnte sich dagegen durchsetzen. Diese 134 Staaten repräsentieren jene mit den größten Bevölkerungen wie China, Indien, Brasilien, Indonesien, aber auch viele kleinere. Die Übereinkunft geht vom unmittelbaren Zusammenhang zwischen Klimawandel und dem Verlust an biologischer Artenvielfalt aus. 

Das Prinzip der Verursacherhaftung (the polluter pays) schreibt fest, dass der Urheber einer Verschmutzung auch für deren Beseitigung und auf Schadensersatz haftet. Ein gerechtes Mittelaufkommen muss die Leistungsfähigkeit der Mitglieder beachten. Hierbei sind die Belange der Entwicklungsländer, besonders der ärmsten, besonders zu berücksichtigen. Werden durch Aktivitäten nach dieser Übereinkunft Erlöse erzielt, sind diese nach einem gerechten Verteilungsverfahren zur Verfügung zu stellen. Forschungsergebnisse wie zum Beispiel DNA-Sequenzen unerforschter Meereslebewesen, die für die Entwicklung neuer Arzneimittel wichtig sein können, müssen allen Mitgliedern zur Verfügung stehen. Das ganze Abkommen gilt allerdings nicht für den Kriegsfall und für Kriegsschiffe und auch nicht für den wichtigen Bereich Fischfang. Für diesen gibt es zwar eine Reihe internationaler und regionaler Verträge, die bisher die Überfischung aber nur unzureichend verhindern konnten. Umweltschutzorganisa­tionen beklagen diese Ausnahme und führen sie auf die wirksame Fischereilobby zurück.


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mare No. 158

mare No. 158Juni / Juli 2023

Von Harald Loch

Harald Loch, Jahrgang 1941, ist Jurist und His­toriker und seit 25 Jahren Literatur­kritiker. Als Wasserratte aus Berlin hat er ein besonderes Interesse an Inseln und ist seit Langem Teilnehmer an dem Literaturfestival Salon international du livre ­insulaire auf der bretonischen Insel ­Ouessant. Auf seinem Speiseplan steht Seefisch stets an erster Stelle.

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Vita Harald Loch, Jahrgang 1941, ist Jurist und His­toriker und seit 25 Jahren Literatur­kritiker. Als Wasserratte aus Berlin hat er ein besonderes Interesse an Inseln und ist seit Langem Teilnehmer an dem Literaturfestival Salon international du livre ­insulaire auf der bretonischen Insel ­Ouessant. Auf seinem Speiseplan steht Seefisch stets an erster Stelle.
Person Von Harald Loch
Vita Harald Loch, Jahrgang 1941, ist Jurist und His­toriker und seit 25 Jahren Literatur­kritiker. Als Wasserratte aus Berlin hat er ein besonderes Interesse an Inseln und ist seit Langem Teilnehmer an dem Literaturfestival Salon international du livre ­insulaire auf der bretonischen Insel ­Ouessant. Auf seinem Speiseplan steht Seefisch stets an erster Stelle.
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