Defensivkünstler

Korea schlägt 1598 die mächtige japanische Flotte – dank seines eisengepanzerten, schwefelrauchspeienden Schildkrötenschiffs

Das Meer ist nicht nur ein Ort des Kampfs der Menschen gegen die Elemente, sondern auch ein Element, in dem der Mensch gegen den Menschen kämpft – eine Kriegszone. Von Salamis bis Trafalgar knüpft sich die Reihe der maritimen Schlachtenorte durch die Geschichte. Doch was ist ein Themistokles oder Lord Nelson schon gegen Yi Sun-Shin, den Helden von Hansan? Der Admiral Yamato, der 1905 die russische Flotte besiegte, hatte nichts dagegen, mit Nelson verglichen zu werden. Mit Yi Sun-Shin allerdings mochte er dann doch nicht in einem Atemzug genannt werden, da er in jedem Fall den Kürzeren ziehen werde, wie er in aller Bescheidenheit vermerkte.

Nun muss man wissen, dass Herr Yamato ein Japaner war und der Admiral Yi Sun-Shin ein Koreaner. Und wenn es je eine vernichtende Niederlage zur See gegeben hat, so war es jene, welche Yi Sun-Shin im Jahr 1598 den Japanern beigebracht hat, nachdem diese ihre Hand nach Korea ausgestreckt hatten. Gewiss ein guter Grund für Herrn Yamato, die Leistung von Herrn Yi Sun-Shin sehr hoch zu veranschlagen, denn gegen einen überragenden Gegner verliert es sich dann letzten Endes doch ein wenig leichter, was auch bei der Verarbeitung traumatischer Reminiszenzen einer Nation eine Rolle spielt.

Doch dessen unbesehen gilt der Sieger von Hansan seither nicht nur als Retter seines Volkes vor drohender Fremdherrschaft und Held sogar in den Augen der alten Feinde, sondern bei Eingeweihten auch als einer der allergrößten Seekriegsherren der Historie schlechthin. Da drängt sich natürlich die Frage auf, wie er im Einzelnen zu solchen Ruhmeshöhen gelangt ist, denn auch ein Genie kommt bekanntlich nicht ganz ohne Hilfsmittel aus, um seine Geniestreiche in die Tat umzusetzen. Im Fall von Yi Sun-Shin lautet die Antwort einfach: Kobukson, zu Deutsch: Schildkrötenschiff. Schildkrötenschiff?

Die Schildkröte gilt im Allgemeinen als ein friedliches Tier und auf der Skala der Verhaltensweisen des Lebendigen eindeutig mehr der Defensive als dem Offensiven zugeneigt. Und wer je als Ostasien-Reisender die authentische Küche genossen hat, kennt dieses Tier aus weniger siegreichen denn erbarmungswürdigen Posen, nämlich als Ganzkörper-Tellergericht, bei lebendem Leibe gekocht.

Allerdings verfügt die Schildkröte über einen Panzer, der allem widersteht, und genau das ist der Punkt, der die vermeintliche Paradoxie dieser Anleihe bei der nichthumanen Lebenswelt für Zwecke der humanen Tötungswelt im Sinne von Yi Sun-Shin dann wieder in die Gerade rückt. Ein Panzer ist eben nicht nur ein Panzer im Sinne der Schildkröte, sondern kann auch ein Panzer nach den Kategorien der Kriegführung sein, wie mittlerweile mindestens tausendfach bewiesen worden ist. Insofern lässt sich die Anwendung des Kobukson auch als eine prophetische Tat betrachten, wenn auch keine sehr menschenfreundliche.

Das Schildkrötenschiff war ein Panzer zur See, der erste schwimmende Tank, wenn man so will. Es war ein Kriegsschiff, das die Gegner schier zur Verzweiflung getrieben haben muss. Schließlich war es Sitte und Brauch unter den Seekrieg führenden Völkern, einander im Schlachtenfall aufs Schiff zu steigen – doch genau hiergegen wurde mittels des Kobukson energische Vorsorge getroffen.


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mare No. 41

No. 41Dezember 2003 / Januar 2004

Von Benjamin Worthmann

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