Das Super-Öl

Ein Münchner Algenforscher stellt aus Algen ein Öl her, das als Rohstofflieferant eine Schlüsselrolle spielen kann. Die Produkte ­daraus sind zu nicht weniger geeignet, als die Welt zu retten

Eine Kohlenstofffaser ist ungeheuer fein, gut sechsmal dünner als ein Haar. Betrachtet man beides nebenein­ander unter dem Mikroskop, sieht es aus, als habe man ein Stromkabel neben ein Regenrohr gelegt. Doch obwohl Kohlenstofffasern so zart sind, sind sie stark. Sie sind das Material, aus dem man Carbonbauteile herstellt – Fahrradrahmen, Autokarosserien oder Rümpfe von Flugzeugen. Carbonbauteile verbiegen sich kaum und halten große Zugkräfte aus. Vor allem aber sind sie leicht. Sie wiegen nur halb so viel wie Stahl und sind um ein Drittel leichter als Aluminium. Ein solches Bauteil entsteht, indem man die Carbonfasern in mehreren Lagen übereinanderschichtet und mit einem Kunststoffharz tränkt, das langsam aushärtet. Experten sprechen von Carbonfaser-verstärktem Kunststoff, CFK. 

Viele Unternehmen verbauen den leichten und strapazierfähigen CFK heute in ihren Produkten. Der Airbus A350 besteht bereits zur Hälfte aus solchen Komponenten und verbraucht dank des geringeren Gewichts deutlich weniger Treibstoff als seine Vorgänger. Dass deutsche Fluggesellschaften den Verbrauch in den vergangenen 30 Jahren fast halbieren konnten, liegt zu einem guten Teil am leichten Carbon. 1990 verbrauchten die deutschen Flugzeuge im Schnitt auf 100 Kilometer gut sechs Liter Kerosin je Passagier. Heute sind es etwa dreieinhalb. 

Ein wirkliches Ökomaterial sind die CFK-Bauteile aber noch nicht, weil sie aus Erdöl hergestellt werden. „Das passt für mich nicht zusammen“, sagt Thomas Brück. „Kohlenstofffasern helfen uns dabei, den Treibstoffverbrauch von Autos und Flugzeugen und damit den Ausstoß von Kohlendioxid zu verringern. Andererseits benötigen wir fossile Rohstoffe, um sie zu produzieren.“ Brück ist Professor für Synthetische Biotechnologie an der Technischen Universität München (TUM). Er hat einen Weg gefunden, die wertvollen Kohlenstofffasern umweltfreundlicher herzustellen. Als erster Forscher weltweit gewinnt er die Rohstoffe für die Faserproduktion aus Meeresalgen. 

Brück züchtet die Algen auf dem Campus in Ottobrunn. Wenn man abends über das Gelände spaziert, sieht man das große Gewächshaus schon von Weitem gelbgrün leuchten. Drinnen stehen nebeneinander flache Becken, durch die grünes Wasser rinnt, erhellt von Dutzenden Lampen. Die einzelligen Algen sind mit bloßem Auge nicht zu erkennen. Anderswo auf der Welt werden Algen gegessen. Hier wachsen Rohstoffe für die Industrie heran.  

Ursprünglich hatte Brück einen anderen Plan. Er wollte Algen züchten, die Öl produzieren, und dieses dann zu Biokerosin weiterverarbeiten. Dafür ließ er das Gewächshaus aufbauen. Mit den Lampen kann man das Sonnenlicht in verschiedenen Klimazonen der Erde simulieren. Brück und sein Team besorgten sich verschiedene Algenarten, veränderten Licht, Temperatur, Wasserströmung in den Becken – und hatten Erfolg. „Wir haben einen Prozess entwickelt, in dem innerhalb von zehn Tagen ölreiche Algenmasse gebildet wird, und das kontinuierlich“, sagt Brück. „Tatsächlich können wir das Öl anschließend zu hochwertigem Kerosin weiterverarbeiten.“ Im Moment arbeitet er mit einem Unternehmen daran, das Verfahren für die Industrie zu optimieren.

Er hätte es dabei belassen können. Doch eines störte ihn: Bei der Herstellung von Kerosin aus Öl entsteht Glycerin. Sollte die Ölindustrie tatsächlich in großem Stil in die Biokerosinproduktion einsteigen, so überlegte Brück, würden große Mengen anfallen – je Tonne Bio­sprit rund 100 Kilogramm Glycerin. „So viel benötigt die Industrie aber gar nicht.“ Glycerin wird in der Kosmetik- und Pharmabranche verwendet. Aber bei Weitem nicht in den Mengen, die eine Biokerosinproduktion liefern würde. Interessant wird Glycerin aber, wenn es um Kohlenstofffasern geht: Es lässt sich mit einigen wenigen chemischen Reaktionen in die Substanz Acrylnitril umwandeln, den Ausgangsstoff für Carbonfasern. Zwar gibt es Forscher, die Carbon aus Zellulose und Lig­nin erzeugen, jenen Substanzen, aus denen Holz besteht. Doch reif für die Industrie ist noch keines dieser Verfahren.

Bislang stellen Chemieunternehmen Acrylnitril zu fast 100 Prozent aus Erdöl her. Brück ist der Einzige weltweit, der die Substanz mithilfe von Algen produziert. Das sei für ihn noch interessanter als die Herstellung von Kerosin, so Brück, weil Acrylnitril wertvoller sei. Kerosin ist ein Massenprodukt. Ein Liter kostet etwa 60 Cent. Acrylnitril hingegen ist eine teure Spezialchemikalie. „Eine Algenzuchtan­lage in industriellem Maßstab würde sich viel schneller rechnen, wenn man sowohl Kerosin als auch Acrylnitril produziert.“ Das Bundesforschungsminis­terium unterstützte ihn dabei, das Projekt „Green Carbon“ auf den Weg zu bringen. 

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mare No. 155

mare No. 155Dezember 2022 / Januar 2023

Von Tim Schröder und Davide Monteleone

Tim Schröder, Jahrgang 1970, Autor in Oldenburg, kennt sich aus mit Algen. In mare No. 82 schrieb er bereits über Coccolithophoriden, winzige marine ­Algen, die über erstaunliche Fähigkeiten verfügen.

Davide Monteleone, geboren 1974, ist ein preis­gekrönter italienischer Fotojournalist.

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Vita Tim Schröder, Jahrgang 1970, Autor in Oldenburg, kennt sich aus mit Algen. In mare No. 82 schrieb er bereits über Coccolithophoriden, winzige marine ­Algen, die über erstaunliche Fähigkeiten verfügen.

Davide Monteleone, geboren 1974, ist ein preis­gekrönter italienischer Fotojournalist.
Person Von Tim Schröder und Davide Monteleone
Vita Tim Schröder, Jahrgang 1970, Autor in Oldenburg, kennt sich aus mit Algen. In mare No. 82 schrieb er bereits über Coccolithophoriden, winzige marine ­Algen, die über erstaunliche Fähigkeiten verfügen.

Davide Monteleone, geboren 1974, ist ein preis­gekrönter italienischer Fotojournalist.
Person Von Tim Schröder und Davide Monteleone