Das Sehnsuchtsschnittchen

Der Toast Hawaii – eine belegte Scheibe Weizenbrot steht für die neue Lebenslust im deutschen Wirtschaftswunderland

Deutschland war gerade Fußballweltmeister geworden, die Russen bastelten am „Sputnik“. Die Frauen trugen Nylons, Männer fuhren Käfer und Goggomobil, die Wochenschauen zeigten Adenauer, die Monroe und James Dean. Man tanzte Boogie-Woogie, die Mode setzte auf heitere Farben. Da muss es dann passiert sein: Der erste deutsche Fernsehkoch Clemens Wilmenrod hatte eine Eingebung, datiert auf das Jahr 1955. Aus Toastbrot, Schinken, Käsescheiblette, Ananas und Cocktailkirsche erschuf er eine Speise, die bis heute das Lebensgefühl der fünfziger Jahre kulinarisch auf den Teller bringt: Toast Hawaii.

Nach dem Hunger der Nachkriegsjahre, nach Brennnesselsuppe und Rübeneintopf servierte TV-Koch „Don Clemente“, wie er sich selbst nannte, ein Gericht, das „auf wenigen Quadratzentimetern Weizentoast die Sehnsüchte einer ganzen Epoche bündelte“, so Ernährungsforscherin Gudrun Rothaug. Die verschwenderische Kombination von gebuttertem oder mit Mayonnaise bestrichenem Toast mit Schinken und Käse stand für neuen Wohlstand und die heranrollende Fresswelle, das Duo Ananas und Cocktailkirsche für das Schmachten nach der großen weiten Welt, so Rothaug. Vielleicht, so möchte man hinzufügen, erinnerten die Röstaromen des überbackenen Käses noch ein wenig an den Brandgeruch des Krieges. Doch die mittig platzierte Kirschfrucht überstrahlte alles mit glänzendem Lippenstiftrot.

Der Erfolg dieses Durcheinanders war phänomenal. Zwar konnte kaum einer den Namen des Gerichts richtig schreiben, aber auch ohne das Doppel-„I“ für die ferne Insel geriet der Toast zum Renner. Er eroberte Speisekarten, Gaumen und Herzen, er verkörperte die Snack gewordene Lust auf neue Abenteuer. Diesmal nicht mit Panzern und Stukas, sondern mit Schmelzkäse und exotischen Früchten.

Welcher Spielverderber wollte da herummäkeln, dass der Toast ein Kunstprodukt ist, eine aus heutiger Sicht schaurige Gemengelage? Wilmenrod nahm kein richtiges Brot, sondern labbrigen Toast, er nahm keinen echten Schinken, sondern minderwertigen Formschinken, statt anständigen Käses empfahl er Scheibletten, dazu Ananas aus dem Blech. Kein Wunder, dass der Toast Hawaii heute Artenschutz braucht und ganz oben auf der Liste aussterbender Speisen steht. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es „kein Bier auf Hawaii“ und bei uns auch keinen Toast Hawaii mehr gibt. An seinem Niedergang hatte womöglich auch die Umweltbewegung ihren Anteil, die davor warnte, dass die Kombination aus Käse, Schinken und Backofen krebserregende Nitrosamine freisetze.

Erfinder Wilmenrod konnte noch ungezwungen zubeißen. Der erste deutsche Fernsehkoch war Spezialist für kulinarische Gratwanderungen. Er begann die erste Sendung im Studio des NWDR mit Kalbsniere an Konservengemüse, servierte teutonisches „Blitzgulasch“ oder Straußeneiomelette. Berühmt waren seine flambierten schwarzen Bananen (er hatte sie im Ofen „vergessen“) oder „Arabisches Reiterfleisch“, das er mit einem süßen Wein namens „Türkenblut“ herunterspülte.

Ach, Clemens. Eigentlich war er ja ein verkrachter Schauspieler und Pianist, der Carl Clemens Hahn hieß. Die Aussicht, dass ein Hahn ein Hähnchen brät, war indes verwirrend, der Künstlername Wilmenrod musste her. Immerhin: Der Mann hatte die Chuzpe, ohne tiefe kulinarische Kenntnis vor die Kamera zu treten und Anekdoten und Truthahn aufzutischen. Den konnte er zwar weder tranchieren noch fachgerecht zubereiten, wie Kochprofis lästerten, aber die Quote stimmte.

Der „Spiegel“ widmete ihm eine Titelgeschichte, die „FAZ“ bejubelte ihn als „Höhepunkt des deutschen Fernsehens“. Der Mann zeigte auch auf anderen Gebieten Pioniergeist. Wilmenrod wurde zum ersten Sündenfall für „Product-Placement“. Ungeniert machte er in seiner Sendung Reklame für Kühlschränke und Küchengeräte – er tischte auf und sahnte ab. Nach 185 Sendungen hatte die Sendeleitung genug, Wilmenrod musste 1964 die Herdplatte räumen. Drei Jahre später ging er nach einer Krebsdiagnose in den Freitod.

Und der Toast Hawaii? Immer wieder taucht er aus der Versenkung auf, manchmal modernistisch mit geriebenem Käse und Parmaschinken. Eine späte Pointe lieferte zuletzt die US-Agrarfirma Dole, die in ihren Dosen den Rohstoff für den Toast liefert. Die hawaiische Ananasplantage des Unternehmens ist eigentlich Namensgeberin des Gerichts. Jetzt teilte man mit, dass die Früchtchen gar nicht mehr aus Hawaii kommen, sondern aus Thailand oder von den Philippinen. „Toast Manila“ also? Das klingt eher nach Militärputsch als nach Köstlichkeiten.


Rezept Toast Hawaii

Zutaten und Zubereitung

Es gibt zahllose Variationen, aber dies ist der Klassiker: Toastbrotschnitte mit Mayonnaise bestreichen, eine Scheibe Kochschinken darauflegen, dann einen Ring Dosenananas. Das Trio mit einer Schmelzkäsescheibe und dem Mantel der Barmherzigkeit bedecken. Das Ganze im Ofen bei 180 Grad sechs bis acht Minuten überbacken. Mit einer Cocktailkirsche dekorieren. Wer’s stilecht liebt, serviert in Pettycoat oder Röhrenhose und trällert den „Caprifischer“-Refrain: „Bella, bella, bella Mariiie …“

 

mare No. 69

No. 69August / September 2008

Von Manfred Kriener und Henrik Spohler

Manfred Kriener, geboren 1953 im Schwarzwald, ist verheiratet und lebt seit März 1980 in Berlin. Dort arbeitet er heute als Chefredakteur des Umweltmagazins zeozwei und in Deutschlands größtem Journalistenbüro "Textetage". Außerdem ist er freier Journalist und Autor für Themen wie Umwelt und Umweltpolitik, Ernährung und Wein. Als Gründergeneration der Berliner Tageszeitung taz zugehörig, war er dort 11 Jahre lang Redakteur für Ökologie, bevor er es ab November 1990 als Freier versuchte. Kriener war ab 2001 fünf Jahre lang Chefredakteur der Zeitschrift Slow Food.

Henrik Spohler, Jahrgang 1965 studierte an der Folkwangschule / Universität Essen und arbeitet seit 1994 als freischaffender Fotograf in Hamburg für Magazine und Unternehmenskommunikation. Spohlers vielfach ausgezeichnete Arbeiten sind in öffentlichen und privaten Sammlungen vertreten.

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Vita Manfred Kriener, geboren 1953 im Schwarzwald, ist verheiratet und lebt seit März 1980 in Berlin. Dort arbeitet er heute als Chefredakteur des Umweltmagazins zeozwei und in Deutschlands größtem Journalistenbüro "Textetage". Außerdem ist er freier Journalist und Autor für Themen wie Umwelt und Umweltpolitik, Ernährung und Wein. Als Gründergeneration der Berliner Tageszeitung taz zugehörig, war er dort 11 Jahre lang Redakteur für Ökologie, bevor er es ab November 1990 als Freier versuchte. Kriener war ab 2001 fünf Jahre lang Chefredakteur der Zeitschrift Slow Food.

Henrik Spohler, Jahrgang 1965 studierte an der Folkwangschule / Universität Essen und arbeitet seit 1994 als freischaffender Fotograf in Hamburg für Magazine und Unternehmenskommunikation. Spohlers vielfach ausgezeichnete Arbeiten sind in öffentlichen und privaten Sammlungen vertreten.
Person Von Manfred Kriener und Henrik Spohler
Vita Manfred Kriener, geboren 1953 im Schwarzwald, ist verheiratet und lebt seit März 1980 in Berlin. Dort arbeitet er heute als Chefredakteur des Umweltmagazins zeozwei und in Deutschlands größtem Journalistenbüro "Textetage". Außerdem ist er freier Journalist und Autor für Themen wie Umwelt und Umweltpolitik, Ernährung und Wein. Als Gründergeneration der Berliner Tageszeitung taz zugehörig, war er dort 11 Jahre lang Redakteur für Ökologie, bevor er es ab November 1990 als Freier versuchte. Kriener war ab 2001 fünf Jahre lang Chefredakteur der Zeitschrift Slow Food.

Henrik Spohler, Jahrgang 1965 studierte an der Folkwangschule / Universität Essen und arbeitet seit 1994 als freischaffender Fotograf in Hamburg für Magazine und Unternehmenskommunikation. Spohlers vielfach ausgezeichnete Arbeiten sind in öffentlichen und privaten Sammlungen vertreten.
Person Von Manfred Kriener und Henrik Spohler