Das Rauschgold der Antillen

Auf Barbados haben 1609 die Briten das Getränk erfunden, das Afrikaner versklavte, Indianer vernichtete, Piraten antrieb und nicht unschuldig am einem Unabhängigkeitskrieg war: den Rum

Es begann mit einem Hurricane. Noch keiner der Sorte, welche unter diesem Namen als Mischung aus braunem und weißem Rum, Limetten-, Ananas-, Orangen- und Maracujasaft in den Bars dieser Welt mit unabsehbaren Auswirkungen serviert wird. Doch der Sturm, der Sir John Summers’ Schiff anno 1609 zufällig auf einer karibischen Insel stranden ließ, hatte um einiges weiter greifende Folgen für die globale Trinkergemeinde. Mit Captain Summers haben die Briten Barbados entdeckt, die östlichste der Kleinen Antillen, und auf Barbados haben die Briten aller Wahrscheinlichkeit nach ein Getränk erfunden, das Afrikaner versklavte, Indianer vernichtete, Piraten zu brutalen Höchstleistungen trieb, nicht ganz unschuldig am amerikanischen Unabhängigkeitskrieg war, Al Capone und Joseph Kennedy zu stattlichem Reichtum verhalf und bis heute in geschätzten 1500 Sorten in mehr als 40 Ländern hergestellt wird: Schnaps, gebrannt aus Zuckerrohr, Rhum, Ron, Rum, der Flaschengeist der frühen Globalisierung.

Im Grunde fängt die Geschichte bereits geschätzte 4000 bis 5000 Jahre vor Christus an. So alt sind die Spuren frühester Zuckerrohrplantagen, die Archäologen in Papua-Neuguinea gefunden haben. Saccharum officinarum ist eine Graspflanze; sie wächst schnell, braucht viel Sonne und Wasser, gedeiht daher prächtig in den Tropen, und sie zu kultivieren ist Knochenarbeit. Christoph Kolumbus hat all das möglicherweise vorausgesehen, als er auf seiner zweiten Fahrt 1493 nach Hispaniola 100 Zuckerrohrsetzlinge und einen Trupp arabischer Gefangener als Landarbeiter an Bord hatte. Die Gefangenen starben im fremden Klima unter der Fron, die Pflanze breitete sich erfolg- und ertragreich im zu entdeckenden karibischen und südamerikanischen Raum aus. Die Spanier pflanzten Zuckerrohr in Puerto Rico und Jamaika, Mexiko und Kuba, die Portugiesen in Brasilien. Zucker war eine begehrt in der alten Welt, wo man schnell den Geschmack für Süßes entwickelt hatte, auch und vor allem, um die anderen exotischen Neuimporte – Kaffee, Tee, Schokolade – stark gezuckert zu genießen.

1627 begannen die Briten Barbados zu besiedeln und zu roden, es waren gerade 80 Menschen, die die damals unbewohnte Insel für das Zuckerrohr urbar machten. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts war Barbados bereits zur reichsten Kolonie des Empire aufgestiegen mit einer Bevölkerung von 75 000, die Mehrzahl davon Sklaven aus Westafrika. Von der äußerst erfolgreichen Zuckerproduktion war der Weg zum Rum nicht weit.

Melasse, ein Nebenprodukt der Raffinerie, fermentiert bei Zusatz von Wasser sehr schnell, und die damals schon in solchen Angelegenheiten fachlich versierten Engländer waren prädestiniert dazu, genau das schon bald zu entdecken. Es entsprach außerdem ihren Neigungen. Ein Captain Thomas Walduck fasste gute 100 Jahre nach der Erfindung des Rums die Prämissen der Kolonialpolitik der konkurrierenden Königreiche Europas knapp zusammen: „In allen Niederlassungen, die die Spanier gründen, bauen sie zuerst eine Kirche, die Holländer errichten als erstes ein Fort, aber die Engländer eröffnen noch im entlegensten Teil der Welt, und sei es inmitten der barbarischsten Indianer, ein Wirtshaus oder eine Trinkhalle.“

Die Bewohner von Barbados gelten nicht nur als Erfinder des Getränks, das damals um die 80 Volumenprozent Alkohol enthielt, sie konsumierten es auch ausgiebig. Das Leben auf der Insel war hart, nur die Plantagenbesitzer profitierten vom prosperierenden Handel. Die Mehrheit der Siedler war arm, tropische Krankheiten grassierten, starker Rum schien ein probates Gegenmittel. 900 000 Gallonen im Jahr wurden 1655 destilliert, etwa 3,2 Millionen Liter, allein für den Eigengebrauch. Richard Ligon, ein Chronist des Lebens auf der Insel, der seinen Bericht 1657 hoch verschuldet in einem Londoner Gefängnis verfasste, beschreibt die Auswirkungen des Rums mit dem Beinamen „kill devil“: „Die Leute trinken viel davon, zu viel; oft schlafen sie danach auf dem Boden ein, und das scheint doch sehr ungesund.“ Ein Siedler schildert die Gewohnheiten seiner Landsleute ähnlich drastisch: „Sie sind solche Säufer, sie würden noch das letzte Hemd verkaufen und nackt herumlaufen für einen Drink.“

Captain Henry Morgan gehörte zu dieser Zeit noch nicht zu den haltlosen Säufern der Insel. Die Karriere des walisischen Bauernsohns fing nämlich erst an, als er auf Barbados bei Oliver Cromwell anheuerte und mit der englischen Flotte 1655 Jamaika eroberte. Morgan machte sich schnell einen Namen als unerbittlicher Kämpfer bei Überfällen auf holländische Siedlungen und bekam bald das Oberkommando über eine Flotte von Freibeutern, mit der er vor allem die spanischen Kolonien an Südamerikas Küsten unsicher machte. Zwischen 1655 und 1671 plünderte Morgan 22 Städte. Dass er heute als Piratenikone für ein Rumetikett herhalten muss, ist eine leichte historische Fehldeutung.

Die spanischen Wein- und Branntweinhersteller im Mutterland wussten ebenso wie die Franzosen die Rumproduktion in den Kolonien aus Angst vor dem Konkurrenzprodukt lange Zeit zu unterdrücken. Captain Morgan dürfte sich also in seiner Hochzeit (bevor er sich in Jamaika zur Ruhe setzte und mit Rum zu Tode soff) vornehmlich mit gekapertem Brandy und Madeira betrunken haben. Nach den Raubzügen steuerte er dann gerne mit seinen Männern Port Royal auf Jamaika an, eine Stadt, die, wie der britische Schriftsteller Edward Ward schrieb, „krank wie ein ganzes Krankenhaus, so gefährlich wie die Pest, so heiß wie die Hölle und so gottlos wie der Teufel“ war. In Port Royal gab es 1661 auf zehn Bewohner eine Schänke, so lange, bis am 7. Juni 1692, vier Jahre nach Morgans Tod, drei Erdbeben das Sündenbabel fast vollständig zerstörten.


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mare No. 75

No. 75August / September 2009

Von Martina Wimmer und Christian Schellewald

Martina Wimmer, mare-Redakteurin, betreibt die Feldforschung zum Thema schon ihr halbes Leben und bedankt sich an dieser Stelle bei Beate und der „Victoria Bar“ in Berlin für die Inspiration.

Christian Schellewald, geboren 1962, ist Illustrator und Art Director des Trickfilmstudios Dreamworks in Los Angeles. Sein Musenkuss war die Erinnerung an Mexikos Karibikküste, wo er, wie stets, seine Skizzenbücher mit Impressionen füllte. Schellewald lebt mit seiner Frau, auch sie Illustratorin, nahe Hollywood.

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Vita Martina Wimmer, mare-Redakteurin, betreibt die Feldforschung zum Thema schon ihr halbes Leben und bedankt sich an dieser Stelle bei Beate und der „Victoria Bar“ in Berlin für die Inspiration.

Christian Schellewald, geboren 1962, ist Illustrator und Art Director des Trickfilmstudios Dreamworks in Los Angeles. Sein Musenkuss war die Erinnerung an Mexikos Karibikküste, wo er, wie stets, seine Skizzenbücher mit Impressionen füllte. Schellewald lebt mit seiner Frau, auch sie Illustratorin, nahe Hollywood.
Person Von Martina Wimmer und Christian Schellewald
Vita Martina Wimmer, mare-Redakteurin, betreibt die Feldforschung zum Thema schon ihr halbes Leben und bedankt sich an dieser Stelle bei Beate und der „Victoria Bar“ in Berlin für die Inspiration.

Christian Schellewald, geboren 1962, ist Illustrator und Art Director des Trickfilmstudios Dreamworks in Los Angeles. Sein Musenkuss war die Erinnerung an Mexikos Karibikküste, wo er, wie stets, seine Skizzenbücher mit Impressionen füllte. Schellewald lebt mit seiner Frau, auch sie Illustratorin, nahe Hollywood.
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