Das Patentrezept

Ein ehemaliger Hochseefischer erfindet in Magdeburg die Bratwurst neu. Er stopft Seelachs in die Pelle

Lassen Sie sich durch die Äusserlichkeiten nicht abschrecken!" Welcher Gastronom hat die Traute, an die Pforte seines Restaurants diese Warnung zu hängen? Olaf Nestler, Wirt und Erfinder, hat Humor. Und Kampfgeist. Die Warntafel ist die Pointe eines schrulligen Restaurants, wie es in dieser Art wohl kein zweites gibt. In Magdeburg schon gar nicht, dort ist laut Nestler der "Angelhaken" ohnehin das einzige Fischrestaurant. Es wird von einem Mann betrieben, der mit immer neuen Einfällen um seine Existenz kämpft - leicht verbittert, aber mit dem Talent des intelligenten Underdogs.

Sein Restaurant ist eine ausgesucht schräge Mischung aus Seefahrtsmuseum, Aquarium und Puppenstube. Hier legt sich ein ausgestopfter Dornhai in die Kurve, dort kauert Hein Blöd auf dem Maschinentelegrafen, hinter dem Tresen glänzt eine originale Taucherhaube der US Navy, "mein wertvollstes Stück". Dazu eine ästhetisch freizügige Gemengelage aus Seesternen, Rumflaschen, Steuerrädern und Schiffslampen, aus Netzen, Tauen und Knoten, Rettungsringen, Paddeln und Pistolen. Den Tresen deckt ein afrikanisch inspiriertes Strohdach. Die Decke ist blau, die Wände sind gelb. Nestler trägt klassisches Blauweiß. Draußen im Garten ziert die Küstenlinie der Ostsee den Betonboden, Bodden für Bodden. Die Dekoration, sagt Nestler, soll den Gast beschäftigen, bis das Essen kommt - Lachstartar, verschiedene Fischfilets und: Fischbratwürste.

Diese Wurst, als Gebrauchsmuster Nummer 201 04 2428 vom Patentamt geschützt, ist die spektakulärste Erfindung von Olaf Nestler. Eigentlich ein Krisenprodukt der BSE-Hysterie, hat sie sich bis heute gehalten und ist zum Markenzeichen des Restaurants am Barleber See geworden. Im Sechserpack vakuumiert, versendet Nestler sie an Gastronomen und Privatleute. 500 Stück hat ein Hotelier von der Küste gerade geordert. Da muss die Küche ganz schön rackern, um mit der alten Handkurbel einen halben Zentner Seelachsfarce in Schweinemitteldarm zu pressen.

Wie eine feine Thüringer sieht die Wurst aus. Und sie schmeckt! Wie Bratfisch eben. Olaf Nestler ist ein Mann, der immer wieder mit skurrilen Ideen überrascht. Die kulinarische Innovationsstrategie begann mit Tartar aus echtem Lachs ohne die signalrote Farbstofforgie. Anschließend erblickte die Fischbulette das Licht Magdeburgs. Vor zwei Jahren erschuf er die Fischbratwurst, die er demnächst auch "hot" mit einer Prise Chili anbieten will.

Das hört sich alles sehr lustig an und ist doch der nackte Überlebenskampf. Unterstützung und Starthilfe für den Existenzgründer? Fehlanzeige. Eigentlich ist der gebürtige Magdeburger ein "Heringsbändiger", also ein gelernter Hochseefischer. Das war in der DDR ein äußerst begehrter Job, weil man ins Ausland schippern durfte. Aber erst nach langwierigen Stasi-Prüfungen, in denen das Republikfluchtrisiko sondiert wurde.

Nestler war Springer an Bord, notfalls hat er sogar gekocht, mit der Anleitung in der Hand. Später verdiente er ein paar Mark mit Fotos dazu, weil die Zeitungen über das Leben an Deck berichten wollten, aber selbst nicht mitfahren durften. Noch vor der Wende wechselte er zum Küstenschutz, danach zum Kalibergbau. 1989 übernahm er als so genannter "Haftungsbereichsleiter" einen Kiosk am Barleber See. Als Zubrot fotografierte er aus der West-"Bravo" die Lieblinge der Teenager ab und stellte die Popstars am Kiosk aus. "Alf war der Renner."

Nach der Wende hängte er einen Container an seinen Trabant, fuhr übers Land, um "Impulsware" - Würste, Süßigkeiten, Zigaretten, die man aus spontanem Impuls heraus kauft - anzubieten. Schon damals träumte er von einem dunklen schottischen Pub. Am Ende wurde es ein deutsches Fischrestaurant. Das Haus hatte er vom Anglerverband übernommen. Inzwischen gehört es dem Bundesvermögensamt, weil die Angler keine Besitzurkunde fanden. Damit war auch Nestlers Deal geplatzt.

Jetzt hat ihn das Amt am Haken. Er sitzt von dessen Gnaden als Mieter in einem Restaurant, in dem er nichts verändern darf. So lässt die notwendige Sanierung auf sich warten: Risse im Boden, morsche Fensterkreuze. Daher das Schild mit den "abschreckenden Äußerlichkeiten" an der Eingangspforte. Nestler macht trotz allem weiter, ein wenig grimmig, aber unverdrossen. Wenn zu wenige Gäste kommen, muss er eben wieder was erfinden.


Die Magdeburger

Zutaten

Köhler (Seelachs), Salz, Sojasauce, Zitrone, Grillgewürz, Zucker, Schweinemitteldarm.

Zubereitung

Den Köhler filetieren, entgräten, klein schneiden und durch den Fleischwolf drehen. Mit Salz, Sojasauce, Zitrone, Grillgewürz und Zucker abschmecken. Den Fischbrei mit der Handkurbel durch eine Spritzgebäcktülle in den Schweinedarm füllen. Mit einem Draht abbinden. Würste bei 70 Grad zehn Minuten brühen, dann kurz grillen oder braten. Nicht zu stark erhitzen, sonst trocknen sie aus. Als Beilage empfiehlt sich Weißwurstsenf. Sie können die Würste auch direkt bei Olaf Nestor bestellen: ein Kilogramm Fischbratwürste (vakuumiert) inklusive Verpackung und Versand für 15 Euro.


Am Angelhaken

Am Mittellandkanal, Magdeburg.
Tel. 0391/2583 401.
Täglich geöffnet von 11.30 bis 14.30 Uhr und von 17 bis 20.30 Uhr; von Oktober bis April nur mittwochs bis sonntags.

mare No. 39

No. 39August / September 2003

Eine Kombüse von Manfred Kriener und Maurice Weiss

Manfred Kriener, geboren 1953 im Schwarzwald, ist verheiratet und lebt seit März 1980 in Berlin. Dort arbeitet er heute als Chefredakteur des Umweltmagazins zeozwei und in Deutschlands größtem Journalistenbüro "Textetage". Außerdem ist er freier Journalist und Autor für Themen wie Umwelt und Umweltpolitik, Ernährung und Wein. Als Gründergeneration der Berliner Tageszeitung taz zugehörig, war er dort 11 Jahre lang Redakteur für Ökologie, bevor er es ab November 1990 als Freier versuchte. Kriener war ab 2001 fünf Jahre lang Chefredakteur der Zeitschrift Slow Food.

Maurice Weiss, Jahrgang 1964, lebt in Berlin. Er ist Fotograf der Agentur Ostkreuz.

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Vita Manfred Kriener, geboren 1953 im Schwarzwald, ist verheiratet und lebt seit März 1980 in Berlin. Dort arbeitet er heute als Chefredakteur des Umweltmagazins zeozwei und in Deutschlands größtem Journalistenbüro "Textetage". Außerdem ist er freier Journalist und Autor für Themen wie Umwelt und Umweltpolitik, Ernährung und Wein. Als Gründergeneration der Berliner Tageszeitung taz zugehörig, war er dort 11 Jahre lang Redakteur für Ökologie, bevor er es ab November 1990 als Freier versuchte. Kriener war ab 2001 fünf Jahre lang Chefredakteur der Zeitschrift Slow Food.

Maurice Weiss, Jahrgang 1964, lebt in Berlin. Er ist Fotograf der Agentur Ostkreuz.
Person Eine Kombüse von Manfred Kriener und Maurice Weiss
Vita Manfred Kriener, geboren 1953 im Schwarzwald, ist verheiratet und lebt seit März 1980 in Berlin. Dort arbeitet er heute als Chefredakteur des Umweltmagazins zeozwei und in Deutschlands größtem Journalistenbüro "Textetage". Außerdem ist er freier Journalist und Autor für Themen wie Umwelt und Umweltpolitik, Ernährung und Wein. Als Gründergeneration der Berliner Tageszeitung taz zugehörig, war er dort 11 Jahre lang Redakteur für Ökologie, bevor er es ab November 1990 als Freier versuchte. Kriener war ab 2001 fünf Jahre lang Chefredakteur der Zeitschrift Slow Food.

Maurice Weiss, Jahrgang 1964, lebt in Berlin. Er ist Fotograf der Agentur Ostkreuz.
Person Eine Kombüse von Manfred Kriener und Maurice Weiss