Das grosse Graben

Schon Goethe sinnierte über diesen Menschheitstraum: die Verbindung von Atlantik und Pazifik. Doch der Bau des Kanals wurde für Frankreich zum Fiasko. Zigtausende starben, Hunderttausende trieb er in den Ruin.

Am 26. September 1513 besteigt der spanische Abenteurer Vasco Núñez de Balboa den Gipfel eines Berges an der Landenge von Darién und kniet nieder zum Gebet. Er hat zwei Drittel seiner Streitmacht im Dschungel verloren. Doch tödliches Fieber, Insekten und Indianerangriffe sind fast vergessen, als Balboa nun im Süden jenes sagenhafte Meer erblickt, das vor ihm noch kein anderer Europäer gesehen hat. Balboa, der dem Galgen in seiner Heimat entfliehen wollte und dem Ruf des Goldes gefolgt war, hat durch Zufall den Stillen Ozean entdeckt.

Und damit auch den Schlüssel für ein neues Zeitalter der Seefahrt. Denn Amerika ist für die Seefahrer jener Zeit vor allem ein Hindernis. Eine Bergkette, die sich von Alaska bis Argentinien türmt, und davor eine 14 000 Kilometer lange, scheinbar undurchdringliche Küste. Kolumbus hatte wenige Jahre zuvor noch vergeblich nach einer Durchfahrt gesucht, aber als die Kartografen die letzten Lücken der karibischen Küste schließen, wird klar, dass es keine Passage gibt. Was also liegt näher, als an der schmalsten Stelle eine künstliche Rinne zwischen Nord- und Südamerika zu schaffen, mit der man die beiden Ozene verbinden kann? Künftig wird man sich die lange und gefahrvolle Strecke um das Kap Hoorn an der Spitze Südamerikas sparen können. Doch Balboas Traum wird erst 401 Jahre später in Erfüllung gehen.

Die Verwirklichung dieses gewaltigsten Bauprojekts in der Geschichte der Menschheit wird 639 Millionen Dollar verschlingen und zahllose Opfer. Mangroven, Malaria und Gelbfieber müssen besiegt werden. Viele Nationen, die nach der Neuen Welt greifen, werden sich an dem Kanal die Finger verbrennen. Eine Regierung wird stürzen, Bauherren werden ihren Ruf verlieren und 25 000 Arbeiter ihr Leben.

Eine amerikanische Expedition macht sich 1852 auf den Weg, eine geeignete Route durch den Isthmus zu finden. Es geht dabei um die Frage, ob ein Kanal ohne Gebirgshindernisse erbaut werden kann. Oder wie man sie gegebenenfalls überwinden kann. Kühne Ideen kursieren, gewaltige Tunnel sollen angelegt werden, hoch genug für ein Schiff mit voller Takelage. Aber dann behauptet der irische Arzt Cullen, er habe eine ebene Route gefunden. 1854 startet eine weitere Expedition. Als ein Haupthindernis werden nun nicht mehr die Berge, sondern der stark gewundene Fluss Chagres ausgemacht, der jede potenzielle Route zigfach kreuzt. Zwei amerikanische Reeder erwerben derweil von der Republik Neugranada die Konzession für den Bau einer Eisenbahn, weil der kalifornische Goldrausch neue Transportwege erfordert. In fünf Jahren wird die 76 Kilometer lange Strecke von Colón in der Karibik nach Panama City am Pazifik durch den Dschungel gezogen. Die Aktie der ersten transkontinentalen Eisenbahnlinie der Welt ist schon bald die teuerste an der New Yorker Börse. Was erst würde wohl ein Kanal abwerfen? Die Experten sehen ihn im nördlichen Nicaragua.

Aber dann betritt Ferdinand de Lesseps die Bühne, jener gefeierte Franzose, der 1869 den Sueskanal fertiggestellt hat. Zehn Jahre später dreht er die Stimmung auf einem internationalen Geografiekongress. Dabei ist er weder Ingenieur, noch hat er Erfahrungen im Finanzwesen. Auch war er noch nie in Panama. Aber er kann reden. Er behauptet, ein Kanal sei auf Seehöhe möglich. In einem Moment, als die Hälfte der Delegierten abwesend ist, wird das Panamaprojekt durch einen Minderheitsbeschluss abgesegnet.

Lesseps gründet eine Gesellschaft mit dem wohlklingenden Namen „Compagnie universelle du canal interocéanique“. Zum Beweis des gesunden Klimas reist er mit seiner ganzen Familie nach Panama und verfasst einen Bericht, der die wesentlichen Probleme unerwähnt lässt: Fieber, Regen und Schlamm. Aber Lesseps ist in der kurzen Trockenzeit angereist. Im Januar 1880 macht seine kleine Tochter den ersten Spatenstich. Ein Komitee hat die Kosten auf 843 Millionen Franc geschätzt. Lesseps ändert die Summe kühn auf 658 Millionen Franc. Und beginnt ein überraschend schlecht vorbereitetes Unternehmen.


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mare No. 102

No. 102Februar / März 2014

Andreas Wenderoth, Jahrgang 1965, ist freier Autor in Berlin. Als Mensch mit Furcht vor Tropenkrankheiten wäre er nach Panama, wenn überhaupt, wie Lesseps zur Trockenzeit gereist. Am Schreibtisch fühlte er sich bei dieser Recherche am sichersten.

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Vita Andreas Wenderoth, Jahrgang 1965, ist freier Autor in Berlin. Als Mensch mit Furcht vor Tropenkrankheiten wäre er nach Panama, wenn überhaupt, wie Lesseps zur Trockenzeit gereist. Am Schreibtisch fühlte er sich bei dieser Recherche am sichersten.
Vita Andreas Wenderoth, Jahrgang 1965, ist freier Autor in Berlin. Als Mensch mit Furcht vor Tropenkrankheiten wäre er nach Panama, wenn überhaupt, wie Lesseps zur Trockenzeit gereist. Am Schreibtisch fühlte er sich bei dieser Recherche am sichersten.