Im Osten von Hamburg, in Wentorf, befindet sich das Haus, das Roger Willemsen Anfang 2016 bezog und in dem ihm schließlich nur noch wenige Wochen vergönnt waren. Nun hat mare der Villa durch die Gründung der Roger Willemsen Stiftung ein neues Leben gegeben. Fortan sollen Künstlerinnen und Künstler dank Aufenthaltsstipendien hier in Ruhe arbeiten können. Anlässlich der Eröffnung am 3. Mai hielt Insa Wilke, enge Vertraute von Roger Willemsen und dessen Rechtsnachfolgerin, eine Rede, die wir in Auszügen abdrucken.
Wem Roger Willemsen die Tür zu seinem Zuhause öffnete, der war aufgehoben in der Ausstrahlung einer Begabung, die ihm selbst vielleicht gar nicht so klar war: seine Begabung zum Wohnen – die wiederum mit seiner Fähigkeit zu tun hatte, das Glück des Moments wahrnehmen und leben zu können. Man spürte sofort, wenn man eintrat, dass hier einer glücklich zu wohnen verstand. Und das ist ja umso weniger selbstverständlich, als Roger Willemsens Zuhause auch sein Arbeitsplatz war. Verwunderlich ist es auch, da Roger allein in doch recht großen Räumen lebte. Bei jemand anderem hätten diese Räume vielleicht repräsentativ gewirkt, unbelebt in Teilen zumindest oder auch achtlos ausstaffiert, pragmatisch gepflegt oder verzweifelt, angespannt in Ordnung gehalten.
Rogers Räume strahlten Wärme, Freude, Geborgenheit und auch Leichtigkeit und Offenheit aus. Sie waren wohl Spiegel ihres Bewohners, desjenigen, der sie möglich machte. In gewisser Weise war Rogers Art zu wohnen Ausdruck seines ästhetischen Empfindens, seines künstlerischen Zugangs zur Welt. Atmosphärisch zwischen Odilon Redon und Paul Klee, zwischen John Coltrane, Bill Evans und Bach, zwischen Cesare Pavese, Richard Yates und Mercè Rodoreda, also zwischen Melancholie, unerschrockener Direktheit im Umgang mit unseren Existenzbedingungen und heller, aber immer tief begründeter Lebensfreude. Einer Freundlichkeit auch, die den schönsten Ausdruck findet im Spritzdekor aus den 20er- und 30er-Jahren, das Roger Willemsen mit geradezu kindlicher Hingabe sammelte.
Der, der hier wohnte, war gern am Leben und kannte seine Tiefen. Der, der hier wohnte, war nicht nur freundlich zu seinen Gästen, sondern auch zu sich selbst, und das strahlte aus und lud ein, machte froh und beflügelte einen wie die Unbesorgtheit, mit der Roger Willemsen wohnte, ein Relikt aus Studentenzeiten vielleicht.
Wenige Menschen wissen, dass Roger Willemsen lange Phasen im Jahr sein Haus kaum verließ. Dann schrieb er, hörte Musik, las und schrieb und schrieb, meistens schrieb er. Morgens um fünf kamen die ersten Mails von ihm, nachts um eins die letzten, dazwischen dieses Glück des Schreibens, das Glück der Stille.
Er hatte schon einige Zeit vor, aus der Stadt an den Waldrand zu ziehen. Dieses Haus am Mühlenteich sollte eine neue Phase in seinem Leben einläuten: Weniger unterwegs wollte er sein, wieder mehr schreiben und geselliger leben. Er stellte sich dieses Haus belebt von Freunden vor, hatte einigen schon im Geiste Arbeitszimmer dort eingerichtet. Man wäre gemeinsam früh aufgestanden, hätte gearbeitet und sich zwischendurch zum Kaffee getroffen oder in einem großen Topf Gemüse gekocht, mit all den Gewürzen, die er von seinen Reisen mitgebracht hatte, und hätte sich davon eine Woche ernährt.
Wäre man angekommen, hätte er oben auf dem Balkon seines Arbeitszimmers gestanden und einen begrüßt und wäre dann laut polternd die Treppe hinuntergerannt, auf Socken, um die Tür zu öffnen und einen mit ausgebreiteten Armen zu empfangen.
Wir haben das mit ihm alle gesehen, dieses Leben. Wir hatten das alle vor Augen.
Als Roger Willemsen schon krank war, aber es aussah, als würde er es schaffen, zog es ihn ins Leben, dieses Haus hier am Mühlenteich im Geiste einzurichten. Die Räume, die Sie sehen, sind von ihm so erdacht worden, es sind seine Möbel, seine Teppiche und bis auf einen Teil der Kunstsammlung, den er Freunden und Familie zugedacht hat, sind es auch seine Bilder, die immer in seinem Haus hingen und es wie Menschen, wie Spuren von Geschichten belebt haben. Er hat nur kurze Zeit hier am Mühlenteich gelebt, aber sein Geist ist ganz und gar präsent. Und er hat noch erlebt, wie dieses Haus belebt wurde, wie er es sich vorgestellt und gewünscht hat. Er war glücklich in diesem Haus, und frei.
Es ist eine so gute und helle Atmosphäre, in die die zukünftigen Stipendiatinnen und Stipendiaten der Roger Willemsen Stiftung eintreten werden. Und es ist für die Freundinnen und Freunde von Roger Willemsen ein großer Trost, dass seine Möbel, sein Haus, all das, was ihn so ausgemacht hat, nicht in alle Winde zerstreut werden musste, sondern bleiben wird. Dass das, was er in diesem Haus gesehen hat, bleiben wird als Ort, der nicht museal ist, sondern sich verwandeln darf, durch die Menschen, die ihn bewohnen werden.
Roger Willemsen hat sich um seinen Nachruhm nicht gekümmert. Er war dem eigentlichen Leben noch im Sterben so zugewandt, wie man es von ihm als Schriftsteller, Denker und Redner kannte. Gegenwärtig, das Momentum erlebend, nicht ans Nachleben denkend. Er hat es seinen Freunden überlassen, die Trauerfeier zu planen, sich um seine Grabstelle und den Nachlass zu kümmern und um das Haus, das er hinterlassen würde.
Auch die Roger Willemsen Stiftung war nicht seine Idee, sondern entstand aus dem Wunsch von Freunden, sein Haus nicht auflösen zu müssen. Wirklichkeit konnte dieser Wunsch aber erst durch einen zweiten werden, nämlich Nikolaus Gelpkes Idee, ein Künstlerhaus zu gründen. Er war es, der Roger fragte, ob er einverstanden sei, wenn der mareverlag am Mühlenteich ein Künstlerhaus einrichten würde. So kam es also, dass wir heute hier sein können und dass in Roger Willemsens letzten Lebenstagen doch noch eine Brücke für ihn in die Zukunft geschlagen wurde. Aber nicht nur für Roger war dies ein Geschenk. Auch für uns Freundinnen und Freunde. Und dieses Künstlerhaus ist auch ein Geschenk für die Gesellschaft, wenn es gelingt, hier Künstlerinnen und Künstlern die Möglichkeit zu geben, zu arbeiten und das in aller Vielfalt fortzusetzen, was Roger Willemsens Werk auszeichnete: der kritische Blick, ein virtuoses Sprachvermögen, innere Freiheit und manchmal Übermut, die kluge Unterhaltung und das tiefe Verständnis für das Menschenmögliche, die Künste und den Mangel, aus dessen Empfinden Kunst entsteht.
Wenn Sie das Künstlerhaus unterstützen wollen, finden Sie alle Informationen unter www.roger-willemsen-stiftung.de.
Jan Windszus, geboren 1976, studierte Fotografie an der HAWK Hildesheim, an der er heute selbst unterrichtet. Seit 2005 lebt und arbeitet Windszus als freier Fotograf in Berlin, er veröffentlicht Porträts und Reportagen in zahlreichen Magazinen und Publikationen.
Insa Wilke, Jahrgang 1978, lebt als Publizistin, Literaturkritikerin und Moderatorin in Frankfurt am Main.
Mathias Bothor, 1962 in Berlin geboren, machte sich 1992 als freier Fotograf selbstständig. Heute ist er einer der gefragtesten Porträtfotografen; seine Arbeiten wurden bereits mehrfach ausgestellt. Mathias Bothor lebt mit seiner Familie in Berlin und arbeitet überall.
Vita | Jan Windszus, geboren 1976, studierte Fotografie an der HAWK Hildesheim, an der er heute selbst unterrichtet. Seit 2005 lebt und arbeitet Windszus als freier Fotograf in Berlin, er veröffentlicht Porträts und Reportagen in zahlreichen Magazinen und Publikationen.
Insa Wilke, Jahrgang 1978, lebt als Publizistin, Literaturkritikerin und Moderatorin in Frankfurt am Main. Mathias Bothor, 1962 in Berlin geboren, machte sich 1992 als freier Fotograf selbstständig. Heute ist er einer der gefragtesten Porträtfotografen; seine Arbeiten wurden bereits mehrfach ausgestellt. Mathias Bothor lebt mit seiner Familie in Berlin und arbeitet überall. |
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Person | Von Insa Wilke, Mathias Bothor und Jan Windszus |
Vita | Jan Windszus, geboren 1976, studierte Fotografie an der HAWK Hildesheim, an der er heute selbst unterrichtet. Seit 2005 lebt und arbeitet Windszus als freier Fotograf in Berlin, er veröffentlicht Porträts und Reportagen in zahlreichen Magazinen und Publikationen.
Insa Wilke, Jahrgang 1978, lebt als Publizistin, Literaturkritikerin und Moderatorin in Frankfurt am Main. Mathias Bothor, 1962 in Berlin geboren, machte sich 1992 als freier Fotograf selbstständig. Heute ist er einer der gefragtesten Porträtfotografen; seine Arbeiten wurden bereits mehrfach ausgestellt. Mathias Bothor lebt mit seiner Familie in Berlin und arbeitet überall. |
Person | Von Insa Wilke, Mathias Bothor und Jan Windszus |