In einem Zeitalter, da Satelliten die Position eines Schiffes in kürzester Zeit und auf den Meter genau bestimmen können, ist es ernüchternd, sich an die Ära zu erinnern, als die Flotten der ganzen Welt in dem Moment hoffnungslos verloren waren, als das Land nicht mehr zu sehen war. Die genaue Bestimmung des Längengrads, die heute nur eines Knopfdrucks bedarf, stellte ein globales Dilemma dar, das jahrhundertelang nicht überwunden werden konnte. Verzweifelte Staatsoberhäupter versprachen jedem große Reichtümer, der eine machbare Lösung des schier unüberwindbaren Längengradproblems lieferte.
Aus Mangel an praktikablen Methoden, die geografische Länge zu bestimmen, hatten die großen Kapitäne des Entdeckungszeitalters meist nur eine vage Idee, wo sie sich gerade befanden. Auch die beste Karte und der genaueste Kompass halfen ihnen nicht. Von Vasco da Gama bis Sir Francis Drake navigierten sie alle aufs Geratewohl. Sie mussten sich auf ihr Glück verlassen – und auf die Gnade Gottes.
Renommierte Astronomen suchten die Lösung der Längengradaufgabe im Uhrwerk des Universums. Galileo Galilei, Jean Dominique Cassini, Christiaan Huygens, Sir Isaac Newton und Edmond Halley baten Mond und Sterne inständig um Hilfe. Palastartige Observatorien wurden in Paris und London errichtet, die sich allein mit der Bestimmung des Längengrads aus den Sternenkonstellationen am Himmel befassen sollten. Weniger helle Köpfe dachten sich derweil absurde Pläne aus, die auf dem Jaulen verwundeter Hunde oder dem Donner von Kanonen basierten: An Bord von Signalschiffen – irgendwie in regelmäßigen Abständen auf dem offenen Meer verankert – sollte immer zur vollen Stunde ein Schuss abgefeuert werden.
Während ihrer Suche nach dem Längengrad machten die Wissenschaftler bahnbrechende Entdeckungen, die ihr Wissen vom Universum revolutionierten. So gelang es ihnen etwa, die Entfernung zwischen den Sternen und die Lichtgeschwindigkeit zu berechnen. Aber die Zeit verging, und keine der vorgeschlagenen Methoden brachte den Erfolg. Die Suche nach der Lösung des Längengradproblems bekam eine mythische Dimension wie die Suche nach dem Quell ewiger Jugend, nach dem Perpetuum mobile oder der Formel, die Blei zu Gold verwandelt.
Angetrieben von einer Mischung aus Mut und Gier, verließen sich die Kapitäne des 15., 16. und 17. Jahrhunderts auf die „Kopplung“, um die Entfernung vom Heimathafen in östlicher oder westlicher Richtung zu schätzen. Der Navigator warf ein Brett an einem Seil über Bord, das in gleichmäßigen Abständen mit Knoten versehen war, und beobachtete, wie schnell sich sein Schiff von diesem temporären Wegweiser entfernte. Er übertrug das Ergebnis dieser simplen Geschwindigkeitsmessung in sein Logbuch, wie auch die Fahrtrichtung, die er mit der Hilfe der Sterne oder seines Kompasses bestimmte.
Die Fahrtzeit auf diesem Kurs berichtigte er noch um die Ablenkung, mit der Meeresströmungen, launische Winde und die Fehler des Steuermanns sein Schiff seitlich versetzten. Mit der so geschätzten Position lag der Kapitän allerdings verlässlich neben der Wahrheit, und er suchte oft vergebens nach der Insel, auf der er Frischwasser zu finden hoffte, oder gar den Kontinent, den er angesteuert hatte.
Lange Seereisen zogen sich wegen des fehlenden Längengrads noch weiter in die Länge. Die zusätzliche Zeit auf dem Schiff verurteilte die Seeleute zum Tod durch Skorbut. Die Nahrung an Bord – ohne Obst, ohne frisches Gemüse – lieferte nicht genügend Vitamin C. Skorbut zerstörte das Bindegewebe der Seeleute. Sie bekamen am ganzen Körper blaue Flecken und Blutergüsse, ohne dass sie sich irgendwo gestoßen hatten. Und wenn sie sich tatsächlich verletzten, wollten die Wunden nicht heilen. Ihre Beine schwollen an. Sie litten höllische Schmerzen, wenn Blut aus zerstörten Gefäßen in ihre Muskeln und Gelenke drang. Ihr Zahnfleisch blutete, und sie verloren ihre Zähne. Sie kämpften gegen lähmende Schwäche, und wenn schließlich ein Blutgefäß im Hirn platzte, starben sie.
Abgesehen von der Gefahr solcher menschlichen Qualen verursachte die Unkenntnis des Längengrads wirtschaftliche Schäden größten Maßstabs. Sie begrenzte die Seefahrt auf einige wenige und enge Wege, die eine sichere Passage versprachen. Gezwungen, allein mithilfe des Breitengrads zu navigieren, drängten sich Walfänger und Handelsschiffe, Kriegsschiffe und Piraten auf den viel befahrenen Routen, wo sie leichte Beute für ihre Gegner waren.
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Dava Sobel, freie Wissenschaftsreporterin der New York Times, hörte bei einem englischen Uhrmacher, der John Harrison verehrte, von den Problemen der frühen Navigatoren. Ihr Buch über das Genie, das der Seefahrt die genaue Positionsbestimmung schenkte, eroberte 1995 die Bestsellerlisten.
Bilder und Zeichnungen stammen aus der schön illustrierten Ausgabe des Berlin Verlags (2000, 224 Seiten mit 180 Abbildungen, 39,80 Mark).
Aus dem Amerikanischen von Louise Kennedy
Vita | Dava Sobel, freie Wissenschaftsreporterin der New York Times, hörte bei einem englischen Uhrmacher, der John Harrison verehrte, von den Problemen der frühen Navigatoren. Ihr Buch über das Genie, das der Seefahrt die genaue Positionsbestimmung schenkte, eroberte 1995 die Bestsellerlisten.
Bilder und Zeichnungen stammen aus der schön illustrierten Ausgabe des Berlin Verlags (2000, 224 Seiten mit 180 Abbildungen, 39,80 Mark). Aus dem Amerikanischen von Louise Kennedy |
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Person | Von Dava Sobel |
Vita | Dava Sobel, freie Wissenschaftsreporterin der New York Times, hörte bei einem englischen Uhrmacher, der John Harrison verehrte, von den Problemen der frühen Navigatoren. Ihr Buch über das Genie, das der Seefahrt die genaue Positionsbestimmung schenkte, eroberte 1995 die Bestsellerlisten.
Bilder und Zeichnungen stammen aus der schön illustrierten Ausgabe des Berlin Verlags (2000, 224 Seiten mit 180 Abbildungen, 39,80 Mark). Aus dem Amerikanischen von Louise Kennedy |
Person | Von Dava Sobel |