Das berührte Paradies

Die Everglades sind die dominante Landschaft des südlichen Florida. Seit Jahrhunderten greift der Mensch tief in die Gefüge dieses Naturraums ein – zerstörend ebenso wie konservierend

Nichts möchte man hier lieber tun, als eine Naturgeschichte zu erzählen. Eine Geschichte ganz ohne Menschen. Vor allem über die Geräusche gäbe es viel zu sagen, über das Zischen, Zirpen, Quaken und Grunzen, das nicht von Schweinen stammt, über das Singen, Schnattern und Krächzen, das abendliche in erster Linie, über das Sirren der Moskitos, das Surren der Libellen, über das Zähneklappern des Alligators, in dessen Maul der Sonnenbarsch zappelt, über den an hemmungsloses Niesen erinnernden Drohton des Truthahngeiers, über das leise Blubbern des Wassers, wenn eine Schildkröte gemächlich paddelnd die Oberfläche durchschneidet, oder das Platschen, wenn ein Alligator urplötzlich aus dem Moder schießt, über das Rauschen der Gräser im Abendwind und natürlich über den Flügelschlag der Ibisse und Braunpelikane, die über diese Landschaft ziehen, die eigentlich eine Prärie ist und kein Sumpf, eine während der meisten Zeit des Jahres überschwemmte Prärie.

Manchmal könnte man sich einbilden, dass die Natur hier in einem ursprünglichen Zustand sei, denn die menschengemachten Geräusche, die diese Nation sonst so prägen, fehlen: Klimaanlagen und Generatoren, Kühlschränke und Eismaschinen, Polizeisirenen und Trucks, nichts von alledem ist zu hören. Und doch gibt es die Zeichen der Menschen. Was als Erstes auffällt: Wo kommen die schnurgeraden Kanäle her? Und sind das dort am Horizont winterlich unbelaubte Bäume oder weshalb sieht der Wald so leblos aus? Und warum steht auf dem Schild im Wasser „Warning Health Hazard: Do not eat more then one bass per week due to high mercury content“?

Plötzlich dann doch ein schrecklicher Lärm, ein martialisches Knattern: Ein air boat durchpflügt das Wasser, angetrieben durch einen zwei Meter hohen Luftpropeller, begleitet von blauem Rauch, der stinkend über das Schilf wabert, Touristen sitzen darin. Nachdem es verschwunden ist, wieder Stille, die Stimmen der Tiere, das Knarzen der eigenen Schuhe auf dem Steg, der durchs Gelände führt.

Es gibt hier ein Problem. Der Filmemacher Sam Tommie, Seminole-Indianer und Bewohner der Big Cypress Indian Reservation, hat es klar benannt: „Alles Schädliche haben sie hergebracht.“ Sie, die Weißen. Und all das Schädliche wird nun von ihnen nach und nach entfernt, umgebaut, um den Urzustand der Everglades so weit wie möglich wiederherzustellen. Die Bemühungen der Behörden und Initiativen sind groß; die Gefahren, dass die Rettungsaktionen neue, unbekannte Folgen haben, auch. Ranger Jeff Connor vom Swamp Information Center sieht das nicht so, Sam Tommie hingegen sagt: „Wir werden sehen. Vergiss nicht das Gift.“

Am besten erkennt man auf einer Satellitenaufnahme, wie die Everglades aufgebaut sind. Sie beginnen beim Lake Okeechobee, einem See westlich von Palm Beach, und reichen bis an die Südspitze Floridas. Die Everglades sind eigentlich ein sehr breiter, sich sehr langsam fortbewegender Fluss, an manchen Stellen ist er 60 Kilometer breit, auf dem Bild sind Tausende von Rinnen wie feine Adern abgezeichnet. Mit gut einem Meter in der Stunde und einer Tiefe von 20 Zentimetern führt er auf 160 Kilometer Länge sanft im Uhrzeigersinn vom Lake Okeechobee in den Golf von Mexiko, das Wasser braucht also rund 20 Jahre, bis es im Meer angekommen ist. 20 Prozent des einstigen tropischen Marschlands gehören heute zum Everglades National Park, dem drittgrößten Nationalpark der USA nach dem Death Valley und dem Yellowstone National Park, gut 50 Prozent sind trockengelegt worden, besiedelt oder dienen als Landwirtschaftszone, der Rest sind Naturschutzgebiete oder Reservate, so wie das, in dem der Seminole Sam Tommie lebt.

„River of Grass“ nannte die „Grande Dame of the Everglades“ das Gewässer in einem Buchtitel. Marjory Stoneman Douglas’ Leben – es war ein langes Leben, sie starb 1998 im Alter von 108 Jahren – ist direkt an die Everglades geknüpft. An der Biografie der Feministin und Journalistin, die viel für den „Miami Herald“ schrieb, lässt sich die Intervention der Menschen in dieser Landschaft ablesen. Als sie 1890 geboren wurde, begannen die ersten Arbeiten zur Trockenlegung der Feuchtgebiete, ab 1905 wurden massiv Kanäle ausgeschachtet, mit dem Ziel, die gesamten Everglades, die als nutzloser, mückenverseuchter Sumpf galten, in Ackerland umzuwandeln, für Zuckerrohr vor allem, ein „Empire of the Everglades“ sollte entstehen; es war das größenwahnsinnige Projekt des Gouverneurs von Florida Napoleon Bonaparte Broward. Ein Hurrikan und die Wirtschaftskrise von 1929 setzten der Trockenlegung ein vorläufiges Ende, doch Kanäle wurden bald wieder gebaut, 2700 Kilometer, sie veränderten den Wasserhaushalt des Gebiets und mit ihm die Flora und Fauna. In den 1930ern nisteten hier 265 000 Watvögel, heute sind es 18 500.


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mare No. 107

No. 107Dezember 2014 / Januar 2015

Von Zora del Buono und Heidi und Hans-Jürgen Koch

Das an der Ostsee lebende Fotografenpaar Heidi und Hans-Jürgen Koch wurde vielfach für die ihnen eigene fotografische Sichtweise ausgezeichnet. Gerne erlagen sie dem Zauber der Sümpfe und schauten dem Alligator direkt ins Auge.

mare-Redakteurin Zora del Buono ging Großreptilien lieber aus dem Weg. Sie wollte eigentlich mit dem Kanu die Everglades erkunden, doch sie hatte ihren kleinen Hund Lino dabei. Würden die hungrigen Krokodile ihn riechen, so hieß es, würden sie sofort zu ihnen ins Boot springen.

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Vita Das an der Ostsee lebende Fotografenpaar Heidi und Hans-Jürgen Koch wurde vielfach für die ihnen eigene fotografische Sichtweise ausgezeichnet. Gerne erlagen sie dem Zauber der Sümpfe und schauten dem Alligator direkt ins Auge.

mare-Redakteurin Zora del Buono ging Großreptilien lieber aus dem Weg. Sie wollte eigentlich mit dem Kanu die Everglades erkunden, doch sie hatte ihren kleinen Hund Lino dabei. Würden die hungrigen Krokodile ihn riechen, so hieß es, würden sie sofort zu ihnen ins Boot springen.
Person Von Zora del Buono und Heidi und Hans-Jürgen Koch
Vita Das an der Ostsee lebende Fotografenpaar Heidi und Hans-Jürgen Koch wurde vielfach für die ihnen eigene fotografische Sichtweise ausgezeichnet. Gerne erlagen sie dem Zauber der Sümpfe und schauten dem Alligator direkt ins Auge.

mare-Redakteurin Zora del Buono ging Großreptilien lieber aus dem Weg. Sie wollte eigentlich mit dem Kanu die Everglades erkunden, doch sie hatte ihren kleinen Hund Lino dabei. Würden die hungrigen Krokodile ihn riechen, so hieß es, würden sie sofort zu ihnen ins Boot springen.
Person Von Zora del Buono und Heidi und Hans-Jürgen Koch