Da haben wir den Algensalat

Der grüne, eklige Glibber, der sich beim Baden um Kinderbeine wickelt­, gilt manch anderen als Köstlichkeit. Eine Waliserin gibt Kurse über den richtigen Umgang mit Algen in der Küche

Eine karierte Picknickdecke im Windschatten geparkter Autos ist die erste Station dieser Reise in eine unbekannte Geschmackswelt. Julia Horton-Powdrill, Kräutersammlerin aus St Davids, Südwestwales, kramt Einweckgläser aus einem Weidenkorb. Darin getrocknete Algen und Seetang, dunkelbraun, schwarz, klein geraspelt zumeist, einige lang und dünn wie Salzstangen.

Etwas Darmtang gefällig? Wir, zwei Frauen, zwei Männer, kauen, jemand macht „mmh“, eher nachdenklich als be- geistert, ein anderer sagt: „Interessant.“ Wie es schmeckt? Schwer zu sagen, salzig, irgendwie nach Meer. Wie wäre es mit Pepper Dulse? Die gemahlene Rotalge schmeckt pfeffrig, leicht streng. „Glaubt mir“, sagt Julia, „es schmeckt besser frisch vom Stein.“

Bald laufen wir mit Bratpfannen, Schüsseln und Netzen einen Feldweg hinunter zur Caerbwdy Bay. Die Bucht ist von Sandsteinklippen gesäumt, Felsbrocken und Kiesel bedecken den Strand, das ablaufende Wasser ist klar – optimale Bedingungen für Sammler wie Julia. Hier erntet die 63-Jährige Algen und Seetang und beliefert damit Restaurants. Laiensammlern zeigt sie hier in geblümter Bluse und Neoprenschuhen die leckersten Meerespflanzen.

Noch halten sich Skepsis und Neugier die Waage – als Kind ekelte ich mich vor Algen, die sich am Strand zwischen meinen Zehen verfingen, gleich werden wir sie verspeisen. Also Schuhe aus, Hosen übers Knie gekrempelt und rein in die Brandung.

Julia watet voran zu einem Fels. Schwarzbrauner Riementang wuchert ins Wasser wie der Schopf einer Meerjungfrau. „Man nennt ihn auch Seespaghetti“, sagt Julia, „passt hervorragend zu Pasta, und getrocknet kann man ihn knabbern wie Salzstangen.“ Sie schneidet mit der Schere eine Handvoll ab. Tang und Algen sollen wir nie komplett vom Stein reißen, sondern einen Strunk stehen lassen. So kann die Pflanze nachwachsen.

Wenige Schritte weiter haben sich schwarze Plastiktüten am Felsen verfangen, so scheint es. Julia zieht einen Fetzen vom Stein und steckt ihn in den Mund: kein Müll, sondern laver, eng verwandt mit nori, in den die Japaner ihr Sushi einwickeln. Schmeckt besser, als es aussieht. Ähnlich wie Pilze.

„Ich esse täglich Algen“, sagt Julia, „bestimmt in ein, zwei Mahlzeiten am Tag.“ Getrocknet streut sie sie anstelle von Kräutern über verschiedenste Gerichte. Zum Frühstück mischt sie laver mit Hafermehl und brät die Teigbällchen in der Pfanne: laverbread, eine walisische Spezialität.

Die Caerbwdy Bay ist für Julia wie eine Vorratskammer, Pepper Dulse, Sea Lettuce, alles wächst hier auf engstem Raum. „Ich schaue auf meinen Gezeitenkalender“, sagt Julia, „und komme dann bei Ebbe hierher und hole mir, was ich brauche.“

Anders als im Wald, wo manch giftige Beeren und Pilze wachsen, kann man am Strand kaum etwas falsch machen. Bis auf die Federige Desmarestia, eine schwefelsäurehaltige Braunalge, sind alle Wasserpflanzen und Muscheln Nord- und Westeuropas essbar.

„Früher haben die Menschen ganz selbstverständlich Wildkräuter, Tang und Algen gesammelt“, sagt Julia. Dieses Wissen sei fast verloren gegangen, „doch viele entdecken es nun wieder“. Mittlerweile ist foraging, so nennen die Briten das Sammeln wild wachsender Früchte und Pflanzen, auf der Insel zur Massenbewegung geworden, selbst Sternerestaurants setzen auf wild food. Julia sammelte Kräuter und Beeren schon als Kind, zusammen mit ihrem Vater, der als Landarzt auch Heilkräuter verschrieb.

In die Caerbwdy Bay mündet ein Bach. In der Brackwasserzone leuchten die blau-violetten Schalen Hunderter Miesmuscheln. Wir klettern über die rutschigen, rund geschliffenen Felsen und pflücken die größten Exemplare. In wenigen Minuten sind unsere Schüsseln voll.

Die Bucht liefert neben den Zutaten auch den Brennstoff für unser Lagerfeuer. Wir sammeln Treibholz, dazu etwas Zeitungspapier, schon lodern die Flammen unter der Pfanne. Julia brät Kartoffeln, dazu eine Handvoll Pepper Dulse, frisch vom Stein natürlich. Die Muscheln garen wir in walisischem Cidre mit gepflücktem Meerfenchel.


Laver-Ziegenkäse-Quiche


Zutaten (für 4 Personen)
Vorgebackener Quicheboden, 4 große Eier, 500 ml Sahne, 100 g fein gewürfelter weicher Ziegenkäse, 200 g laver (zuvor 6, ja 6, Stunden gekocht), Schafkäse, Salz, Pfeffer.

Zubereitung
Ofen auf 150 Grad vorheizen. 2 ganze rohe Eier und 2 Eidotter mit Ziegenkäse, Sahne und laver mischen. Kräftig salzen und pfeffern, anschließend auf die Quiche geben und Schafkäse darüberstreuen. Im Ofen 15 bis 20 Minuten goldbraun backen.

Julia Horton-Powdrill, St Davids, Pembrokeshire, Wales.
Telefon +44 1437 721035, mobil +44 7977 287935,
www.wildaboutpembrokeshire.co.uk. 
Der Halbtageskurs „Nahrungssuche am Strand“ kostet 25 Pfund (inkl. Picknick).

mare No. 102

No. 102Februar / März 2014

Von Philipp Jarke und David Hurn

Philipp Jarke, geboren 1975 in Hamburg, aerbeiete als freier Journalist und freier Reporter und Autor. Nach dem Abitur studierte er an der Universität Hamburg Geographie, Volkswirtschaft und Soziologie. Während des Studiums arbeitete er frei und als Praktikant bei verschiedenen Print- und Online-Medien, u.a. taz, AOL, Die Welt und schrieb dort seine ersten journalistischen Texte. Nach dem Studium machte er drei Monate ein Praktikum in der Wissenschaftsredaktion des SPIEGEL. Seit 2004 ist Jarke freier Journalist mit Veröffentlichungen in deutschen Printmedien, wie mare, greenpeace magazin, Süddeutsche Zeitung. Von 2006 bis 2008 war er fester freier Reporter für die Nachrichtenagentur Reuters. 2008 und 2009 spezialisierte er sich auf Magazin- und Reportagegeschichten an der Zeitenspiegel-Reportageschule in Reutlingen. Parallel berichtete er für die WirtschaftsWoche aus Großwallstadt, Schwäbisch Hall und Tamil Nadu. Er lebte und arbeitete von 2010 bis 2014 als freier Journalist in Lancaster, UK und wurde 2012 mit dem Publizistenpreis der deutschen Bibliotheken ausgezeichnet. Seit 2014 Redaktionsleiter der Zeitschrift der Straße in Bremen. Philipp Jarke ist verheiratet und hat zwei Söhne.

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Vita Philipp Jarke, geboren 1975 in Hamburg, aerbeiete als freier Journalist und freier Reporter und Autor. Nach dem Abitur studierte er an der Universität Hamburg Geographie, Volkswirtschaft und Soziologie. Während des Studiums arbeitete er frei und als Praktikant bei verschiedenen Print- und Online-Medien, u.a. taz, AOL, Die Welt und schrieb dort seine ersten journalistischen Texte. Nach dem Studium machte er drei Monate ein Praktikum in der Wissenschaftsredaktion des SPIEGEL. Seit 2004 ist Jarke freier Journalist mit Veröffentlichungen in deutschen Printmedien, wie mare, greenpeace magazin, Süddeutsche Zeitung. Von 2006 bis 2008 war er fester freier Reporter für die Nachrichtenagentur Reuters. 2008 und 2009 spezialisierte er sich auf Magazin- und Reportagegeschichten an der Zeitenspiegel-Reportageschule in Reutlingen. Parallel berichtete er für die WirtschaftsWoche aus Großwallstadt, Schwäbisch Hall und Tamil Nadu. Er lebte und arbeitete von 2010 bis 2014 als freier Journalist in Lancaster, UK und wurde 2012 mit dem Publizistenpreis der deutschen Bibliotheken ausgezeichnet. Seit 2014 Redaktionsleiter der Zeitschrift der Straße in Bremen. Philipp Jarke ist verheiratet und hat zwei Söhne.
Person Von Philipp Jarke und David Hurn
Vita Philipp Jarke, geboren 1975 in Hamburg, aerbeiete als freier Journalist und freier Reporter und Autor. Nach dem Abitur studierte er an der Universität Hamburg Geographie, Volkswirtschaft und Soziologie. Während des Studiums arbeitete er frei und als Praktikant bei verschiedenen Print- und Online-Medien, u.a. taz, AOL, Die Welt und schrieb dort seine ersten journalistischen Texte. Nach dem Studium machte er drei Monate ein Praktikum in der Wissenschaftsredaktion des SPIEGEL. Seit 2004 ist Jarke freier Journalist mit Veröffentlichungen in deutschen Printmedien, wie mare, greenpeace magazin, Süddeutsche Zeitung. Von 2006 bis 2008 war er fester freier Reporter für die Nachrichtenagentur Reuters. 2008 und 2009 spezialisierte er sich auf Magazin- und Reportagegeschichten an der Zeitenspiegel-Reportageschule in Reutlingen. Parallel berichtete er für die WirtschaftsWoche aus Großwallstadt, Schwäbisch Hall und Tamil Nadu. Er lebte und arbeitete von 2010 bis 2014 als freier Journalist in Lancaster, UK und wurde 2012 mit dem Publizistenpreis der deutschen Bibliotheken ausgezeichnet. Seit 2014 Redaktionsleiter der Zeitschrift der Straße in Bremen. Philipp Jarke ist verheiratet und hat zwei Söhne.
Person Von Philipp Jarke und David Hurn