Crippen auf der Flucht

Hot Case: Kriminalisten rätseln bis heute über den Mordfall des Dr. Crippen und seine spektakuläre Flucht über den Atlantik

Ein seltsames Paar streift da über die Gänge seines Schiffs, Henry George Kendall, Kapitän der „Montrose“, wundert sich. Die beiden geben sich als Vater und Sohn aus, turteln aber wie ein Liebespaar. Sie fallen auf unter den 20 Gästen in der zweiten Klasse. Es ist der 22. Juli 1910, und seit zwei Tagen ist Kendall von Antwerpen nach Québec unterwegs. Elf Tage wird die Reise nach Kanada dauern, und sie ist deshalb besonders, weil der Transantlantikdampfer bahnbrechende Technik mit sich führt: den ersten drahtlosen Telegrafen.  

Seit dem Auslaufen der „Montrose“ steht der neue Telegraf nicht still, und schon bald erreicht Kapitän Kendall auch eine Nachricht vom Festland, wonach ein Chief Inspector Dew von Scotland Yard einen gewissen Dr. Hawley Crippen sucht, verdächtig des Mords und unterwegs mit weiblicher Begleitung, Beschreibungen des Paars inklusive. Die Flüchtigen hätten aus London entkommen können und sich vielleicht eingeschifft – der Kriminalbeamte bittet die Schiffsbesatzung um Hinweise. Es gebe einen Haftbefehl, 250 Pfund Sterling seien als Belohnung ausgesetzt. 

Kapitän Kendall fällt das seltsame Paar  an Bord ein. „Habe starken Verdacht, dass Crippen, der Londoner Kellermörder, und Komplizin unter den Kajütspassagieren sind“, morst er an die Reederei in Liverpool zurück. „Hat Schnurrbart abrasiert – lässt Bart wachsen. Komplizin als Junge verkleidet. Stimme und Figur aber zweifellos die einer Frau. Reisen als Mr. Robinson und Sohn … Kendall.“

Chief Inspector Walter Dew aus London entschließt sich, dem Hinweis des Kapitäns nachzugehen und die Verdächtigen auf der „Montrose“ über den Seeweg einzuholen. Doch Kendalls Schiff ist ihm drei Tage voraus. In Liverpool besteigt er die „Laurentic“, ein Passagierschiff, das mit 16 Knoten vier Knoten schneller ist als die „Montrose“. Auf der Fahrt hält er Kontakt zu Kapitän Kendall, und der wiederum nutzt den neuen Telegrafen, um in London eine hyperventilierende Pressemeute mit seinen Beobachtungen zu füttern. Täglich erscheinen in den Blättern an der Themse exakte Positionsbeschreibungen der beiden Schiffe, so schaukelt sich die Mörderjagd zu einer Weltsensa­tion empor. Nur die beiden Gesuchten bleiben ahnungslos, was sich hinter ihrem Rücken zusammenbraut. Fast 20 Jahre nach der erfolglosen Jagd auf „Jack the ­Ripper“ schaudert London erneut vor einem scheußlichen Verbrechen. Auch Dew war seinerzeit in die Suche nach dem Prostituiertenserienmörder involviert. Die Schmach, ihn nicht dingfest gemacht zu haben, hängt ihm noch immer nach. Bei Crippen soll es besser laufen. Doch was genau ist eigentlich passiert?

Der Arzt, ein Homöopath, soll seine Frau ermordet haben, die Varietésängerin Cora Crippen, Künstlername Belle Elmore. Jedenfalls ist sie verschwunden. Beide sind vor 13 Jahren aus Amerika eingewandert, wo Crippen schon zuvor verheiratet war. Auch die neue Ehe kriselt, es heißt, Crippen stehe unter Coras Pantoffel. Sie – erfolglos, weil minder­begabt – würde von ihrem Gatten immer nur verlangen: Status, Geld, Amüsement. Zudem sei sie ihm untreu. Crippen selbst, eher von schüchterner und melancholischer Natur, sucht derweil Trost. 


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 158. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 158

mare No. 158Juni / Juli 2023

Von Judka Strittmatter

Judka Strittmatter, Jahrgang 1966, Journalistin und Autorin aus Berlin, kann sich den Fall Crippen sehr gut als Serie auf einem Streamingdienst vorstellen.

Mehr Informationen
Vita Judka Strittmatter, Jahrgang 1966, Journalistin und Autorin aus Berlin, kann sich den Fall Crippen sehr gut als Serie auf einem Streamingdienst vorstellen.
Person Von Judka Strittmatter
Vita Judka Strittmatter, Jahrgang 1966, Journalistin und Autorin aus Berlin, kann sich den Fall Crippen sehr gut als Serie auf einem Streamingdienst vorstellen.
Person Von Judka Strittmatter