Copers, Gins und Bumboats

Noch um die Wende zum 20. Jahrhundert florierte ein merkwürdiges Geschäft auf der Nordsee: Holländische und englische Händler versorgten die Fischerflotten mit Branntwein und ließen sich mit ihrem Fang bezahlen – sehr zum Ärger der Schiffseigner


Die Männer der „Möwe“ sind erschöpft. Tage- und nächtelang haben sie durchgefischt auf den Schollengründen nördlich von Juist. Hunderte Fischer sind in diesem Mai 1884 unterwegs auf der Nordsee, und wer seinen Fang zuerst anlandet in Vegesack oder Cuxhaven, erzielt den besten Preis.

Und dann dieser Sturm. Zwei Tage jagt er sie über die See, bis der Wind endlich zu einem Hauch abflaut und der Ewer kaum noch Fahrt macht. Die Männer sind ausgelaugt. Plötzlich nähert sich von Terschelling her eine Gruppe kleiner Boote mit bunten Wimpeln im Rigg.

„Die Copers kommen“, sagt der Steuermann, „Gott sei Dank, mein Tabak ist alle.“ „Copers?“, fragt Lars, der erst seine zweite Reise macht. „Verkäufer“, antwortet der Steuermann, „fliegende Händler, die Engländer nennen sie bumboats – sie haben alles an Bord, was Fischer gut gebrauchen können, vor allem Tabak und Schnaps.“ „Und das Beste“, fährt Matrose Jan Mewes fort, „ist, dass man ihnen kein Geld zahlen muss. Sie nehmen auch Fisch.“

Da fährt der Skipper auf. „Das ist nicht euer Fisch! Er gehört dem, dem das Schiff gehört!“ „Hat er ihn gefangen oder wir?“, entgegnet Jan hitzig, und der Skipper merkt, dass sich eine gefährliche Stimmung aufbauen könnte. Der Steuermann mischt sich ein: „Wir haben 120 Stiegen Schollen unter Deck. Wir können den Copers 20 Stiegen geben. Dann behalten wir immer noch genug und haben mehr Eis für die anderen Stiegen.“

Der Skipper sagt jetzt nichts mehr. Er weiß, wann es besser ist, den Männern ihren Willen zu lassen. Als das erste holländische Boot längsseits geht, ist man sich schnell einig: 20 Stiegen Schollen wechseln gegen Geneverflaschen und Pakete voll Tabak über die Bordwände.

Auch bei anderen Fischern machen die holländischen Händler gute Geschäfte. Es dauert nicht lange, bis von englischen Schiffen in der Nähe laute Lieder übers Wasser schallen. Später werden Boote zu Wasser gelassen, die Besatzungen besuchen sich gegenseitig und feiern miteinander. Bald liegen die Männer der „Möwe“ schon schnarchend in ihren Kojen. Nur der Skipper sitzt wach auf einer Backskiste an Deck, raucht seine Pfeife und starrt in die Nacht.

Diese Szenen sind frei erfunden. Aber sie sind authentisch. Die Ewer gab es, die Männer darauf und die Coper- oder Cooperboote, berüchtigt als floating grog shops, die sich den hart und oft unter Lebensgefahr arbeitenden Fischern in allen Fanggründen entlang der Nordseeküsten als schwimmende Kneipen andienten.

Die Atmosphäre auf der Doggerbank zur Hochzeit der Heringsfischerei beschreibt ein Zeuge auch nach der Jahrhundertwende noch folgendermaßen: „Da die Männer, die zur See fahren, deutsche Skipper ebensowenig wie ihre ausländischen Kollegen, beileibe keine mit Sanftmut und Duldsamkeit überpinselten Sonntagsschüler sind, die sich zwecks Beilegung der pp. Meinungsverschiedenheiten streng an die Satzungen einer christlichen Jünglingskongregation halten; da also dort draußen nach rauen Rezepten angesagt und manchmal auch gehandelt wird, ist es schon vorgekommen, dass Schimpfereien nur Einleitungsformeln einer glorreichen Rauferei von Schiff zu Schiff waren, bei der es ordentlich was absetzte und in deren weiterem Verfolg die nun eröffnete Feindseligkeit in eine grandiose Seeschlacht auszuarten drohte.“

Es bedarf geringer Fantasie, um sich vorzustellen, wie verstärkend es wirkte, wenn die Akteure solchen Geschehens auch noch einen kräftigen Schluck aus der Pulle nahmen.

Doch war nicht primär Fürsorge der Vater des Wunsches, Schnapsverkauf auf hoher See zu unterbinden. Das „Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie“ von 1924 erläutert: „Schon bei Beratung des Fischereipolizeivertrages vom 6. V. 1882 ist, namentlich von englischer Seite, ein Vorgehen gegen die überhand nehmenden fliegenden Branntweinschenken in der Nordsee angeregt worden, die der Besatzung der Fischereiboote geistige Getränke zum Kauf oder im Tausch anboten. Das Letztere führte nicht selten zur Entwendung von Reedereibesitztum.“


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mare No. 108

No. 108Februar / März 2015

Von Peter Sandmeyer und Jörn Kaspuhl

Peter Sandmeyer, Jahrgang 1944, Autor in Hamburg, kennt als leidenschaftlicher Segler zur Genüge die gängigen Verführungen auf See.

Jörn Kaspuhl, geboren 1980, studierte Design in Hamburg, wo er auch lebt und arbeitet.

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Vita Peter Sandmeyer, Jahrgang 1944, Autor in Hamburg, kennt als leidenschaftlicher Segler zur Genüge die gängigen Verführungen auf See.

Jörn Kaspuhl, geboren 1980, studierte Design in Hamburg, wo er auch lebt und arbeitet.
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Vita Peter Sandmeyer, Jahrgang 1944, Autor in Hamburg, kennt als leidenschaftlicher Segler zur Genüge die gängigen Verführungen auf See.

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