Club égalité

Ein Belgier und ein Franzose, beide junge Kommunisten, gründen 1950 den „Club Méditerranée“, ein Zeltdorf auf Mallorca, in dem alle gleich sind, freizügig, gesellig und gut gelaunt – eine Idee, die heute als „Club­urlaub“ Millionen Anhänger in aller Welt

Er erinnert sich, sagt Serge Trigano, wie sein Vater Gilbert vom ersten Club erzählte. Da ist ein Strand und davor das blaue, weite Meer, und hinten helfen ein paar Männer, die Zelte aufzubauen. Der Sand ist heiß von der Sonne, nachgiebig dazu, aber über allem liegt die Euphorie der ersten Stunde. Allen ist klar gewesen, sagt Serge Trigano, dass dies der Beginn von etwas Neuem ist, und das liegt nicht daran, dass ein paar Dutzend Franzosen zum ersten Mal mallorquinischen Boden betreten.

Alcúdia ist damals noch nahezu unberührt, ein kleines Städtchen an der Küste. Die Idee ist simpel. Gérard Blitz, ein belgischer Wasserballer, hat den Gedanken, einen Club zu gründen, in dem es egal ist, ob jemand arm ist oder reich. Wichtig ist nur, dass er Vergnügen an Sport und anderen Menschen hat, an gutem Essen und Lebenslust. Ein Name ist schnell gefunden: „Club Méditerranée“, weil das Mittelmeer das verheißungsvollste aller Meere ist, mild, schön, von atemberaubendem Blau. Nun stehen sie da und bauen die ersten Behausungen auf. Oben am Himmel schieben sich Wolken zu einem Gewitter zusammen. Erst spät merken sie, dass die Zelte einem Platzregen nicht standhalten. Doch am Ende dieses Sommers werden 2500 Menschen im Club Méditerranée Urlaub gemacht haben.

Es ist das Jahr 1950. Der Krieg liegt nun schon fünf Jahre zurück, doch erst jetzt stellt sich wieder ein Gefühl der Freiheit ein. Gérard Blitz, Jude wie Trigano, hat den Krieg im belgischen Widerstand überlebt und nur noch einen Wunsch: „Unsere Bestimmung in diesem Leben ist es, glücklich zu sein. Der richtige Ort, um glücklich zu sein, ist hier. Die Zeit, um glücklich zu sein, ist jetzt.“ Es ist egal, dass in den Zelten alles schwimmt. Es ist gleichgültig, dass das Essen furchtbar schmeckt und die Waschgelegenheiten dürftig sind. Es macht auch nichts, dass bald ein Geistlicher aus Alcúdia zu der seltsamen Zeltstadt herunterkommt und sich beklagt, dass Frauen und Männer unsittlich bekleidet miteinander verkehren. Ob die Damen vorhätten, weiter im Bikini herumzulaufen?

All das ist nicht wichtig. Wichtig ist, dass sich hier eine ganz neue Gesellschaftsform zusammenfindet, ohne Standesdünkel, dafür mit einem gemeinsamen Ziel: so viel Spaß zu haben wie möglich. Gérard Blitz hat eigens Personal eingestellt, dessen Aufgabe allein die Zerstreuung ist. Niemand soll sich unwillkommen fühlen, keiner sich langweilen. Blitz ist ebenso wie Trigano Anhänger des kommunistischen Gedankens. Alle Menschen sind gleich. Das jedenfalls ist die Idee.

Der Club Méditerranée heißt inzwischen nur noch Club Med. Er ist ein Riesenorganismus geworden, 337 Millionen Euro Umsatz waren es allein in der ersten Hälfte dieses Jahres. Gérard Blitz und Gilbert Trigano wollten eine Ferienart für alle. Herausgekommen ist eine perfekte Studie darüber, wie Kapitalismus funktioniert. Der Club ist wie ein Perpetuum mobile. Am Anfang kamen Singles. Die Singles verliebten sich unter der Sonne und wurden zu Paaren. Die Paare bekamen Kinder. Die Kinder wuchsen heran und bekamen eines Tages wieder Kinder. Und wohin fährt man, wenn man im Urlaub so richtig viel Spaß haben will? In den Club. Es steckt eine Menge Nostalgie im System. Nostalgie macht die Menschen anfällig für Sentimentalitäten. Serge Trigano sagt: „Der Club ist das perfekte Konzept.“

Trigano und Blitz haben den Club gemeinsam hochgezogen, obwohl Gilbert zunächst nur als Ausstatter dabei war und Zelte und Campingausrüstung mit an die Urlaubsorte brachte. Gilbert Triganos Familie waren Juden mit algerischen Wurzeln. Auch er hat im Widerstand gekämpft, war Streiter einer kommunistischen Jugendorganisation mit dem Namen „Forces unies de la jeunesse patriotique“. Er ist ein Mann, der sich für eine Sache begeistern kann. Nach dem Krieg arbeitet er als Journalist für „L’Humanité“, dem Parteiorgan der jungen Kommunisten. Wohlstand interessiert ihn nicht. In den väterlichen Betrieb, der Zeltstoffe und Campingausrüstung vertreibt, begibt er sich widerwillig.

Ein Zufall sei es gewesen, sagt Gilbert Trigano, dass ausgerechnet er an jenem Herbsttag 1949 im Ladengeschäft „Trigano et fils“ ans Telefon gegangen sei. Am Telefon ist Gérard Blitz. Ob er Monsieur Trigano sprechen könne? Er habe vor, ein Feriendorf zu gründen. „Es gibt hier mehrere Triganos“, sagt Gilbert Trigano, „nehmen Sie doch einfach mich.“ Dieser Satz, schreibt er später in seinen Erinnerungen, habe sein ganzes Leben verändert. In Gérard Blitz findet er einen Bruder im Geiste, auch Blitz ist ja Kommunist, auch ihm geht es jetzt vor allem um eins: glücklich und frei zu leben.

Die Idee vom Cluburlaub ist nicht ganz neu. Ein in Südafrika geborener Brite namens Billy Butlin hatte bereits 1936 im englischen Skegness ein sogenanntes Holiday Camp eröffnet. Aber seine Anlage war von minimalistischer Strenge, eher Reihenhaussiedlung als das freigeistige Clubdorf, das Blitz vorschwebte. Im Grunde ist das der Unterschied zwischen der Idee Club Med und dem Massentourismus, der Anfang der 1950er aufkam: Es geht Blitz und Trigano um eine Geisteshaltung dem Leben gegenüber, nicht um den Beweis des Wirtschaftswunders. „Neckermann macht’s möglich“ ist für jedermann, der Club Méditerranée nur für die, die sich Gedanken über ihre Weltanschauung machen. So entsteht langsam und heimlich eine elitäre Bewegung in dem Konzept, der Mythos eben.

Sosehr Blitz und Trigano auch dem kommunistischen Gedanken anhängen, so ist es doch der Kapitalismus, der immer öfter zu ihnen unter die Zeltplanen schlüpft. Die Idee des Clubs ist von der ersten Stunde an ein Erfolg, eine Idee, die schneller wächst, als es der ursprüngliche Plan vorsieht. Das bisschen Party für einige wird zu einer Erlebnisbewegung. Während Blitz schon zufrieden ist, wenn die Einnahmen die laufenden Kosten decken, macht Gilbert Trigano den ursprünglich ja belgischen Gedanken zu einem zutiefst französischen Gesamtkunstwerk: gutes Essen, herrlicher Wein, eine üppige Portion Erotik. Die Zelte werden im Lauf der Jahre durch Hütten, später durch Bungalows ersetzt. „Auch mein Vater hat sich nicht für Geld interessiert. Aber irgendwann wurde deutlich, dass die Menschen sich mehr Komfort wünschten. Gegen den Erfolg konnten sie ja nichts tun“, sagt Serge Trigano. „Wenn man ein Bedürfnis trifft, dann muss man es auskosten.“

Das Bedürfnis ist einfach. In einer Zeit voller Normen können sich die Gäste unter Gleichgesinnten frei fühlen. Der Mythos des Club Med entstammt einzig einem Lebensgefühl. 15 800 Franc, knapp 200 Mark, für zwei Wochen Leichtigkeit: „Wir bieten euch einen Urlaub, der einer Alltagsflucht gleichkommt“, schreibt Gérard Blitz im November 1952 im „Trident“, der Clubzeitschrift, „mit dem nötigen Komfort, bestrebt, euch von allen gesellschaftlichen Zwängen zu befreien. Kein Telefon, kein Radio, keine Fußgängerübergänge.“

Schon beim ersten Nachtreffen im Herbst 1950 sind die Menschen erfüllt von der Idee, im nächsten Jahr wieder gemeinsam Urlaub zu machen. Serge Trigano sagt, der Club Med habe ein kollektives Glücksgefühl ausgelöst wie sonst nur bei einer Sekte. Nur ohne eine Sekte zu sein. Bitte, Herr Trigano, wo haben Sie eigentlich Ihre Frau kennengelernt? „Im Club Med. Warum fragen Sie?“


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mare No. 89

No. 89Dezember 2011 / Januar 2012

Von Susanne Frömel

Susanne Frömel, 1974 geboren, lebt als Autorin in Berlin. Sie ist früher mit ihrem Bonner Ruderclub nach Frankreich gefahren, um drei Wochen auf der Loire ans Meer zu pullen. Dabei hat sie sämtliche gruppendynamischen Prozesse durchlaufen, die das Kommunenleben hergibt. Sie kann deshalb den Ursprungsgedanken des Club Med gut nachempfinden.

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Vita Susanne Frömel, 1974 geboren, lebt als Autorin in Berlin. Sie ist früher mit ihrem Bonner Ruderclub nach Frankreich gefahren, um drei Wochen auf der Loire ans Meer zu pullen. Dabei hat sie sämtliche gruppendynamischen Prozesse durchlaufen, die das Kommunenleben hergibt. Sie kann deshalb den Ursprungsgedanken des Club Med gut nachempfinden.
Person Von Susanne Frömel
Vita Susanne Frömel, 1974 geboren, lebt als Autorin in Berlin. Sie ist früher mit ihrem Bonner Ruderclub nach Frankreich gefahren, um drei Wochen auf der Loire ans Meer zu pullen. Dabei hat sie sämtliche gruppendynamischen Prozesse durchlaufen, die das Kommunenleben hergibt. Sie kann deshalb den Ursprungsgedanken des Club Med gut nachempfinden.
Person Von Susanne Frömel