Calanques – Die Ungezähmten

Totgeliebt: Die Calanques, atemberaubend schöne Karstfjorde bei ­Marseille, brauchten Schutz vor den Menschen. Es hat sich gelohnt

Als im Frühjahr 2020 die Coronaausgangssperre tout Marseille in die Häuser verbannte und niemand ohne Erlaubnis ans oder aufs Meer durfte, hielt sich Fabien Revest für den größten Glückspilz der Stadt. Als Nationalparkranger konnte er machen, was er in seinem Beruf am meisten liebt: zu Fuß oder auf dem Patrouillenboot durch die Calanques streifen, ohne ständig jemanden ermahnen zu müssen, bitte schön die Zigarette auszumachen oder nicht ausgerechnet in einer geschützten Seegraswiese zu ankern. „C’était magnifique“, schwärmt der Mittvierziger. Ich glaube ihm aufs Wort. 

Seit ich vor Jahren ein Erasmusjahr an der Universität Aix-Marseille verbrachte und mich ein braun gelockter Franzose auf ein Picknick in die Calanques einlud, ist die Küste mein Sehnsuchtsort. Über fast 30 Kilometer reihen sich türkis funkelnde Buchten, einsame Strände und Klippen aus weißem Fels aneinander, die meisten nur zu Fuß oder per Boot erreichbar. Wanderwege führen durch Schluchten, Kletterrouten auf zerfurchte Felsentürme. Im Meer leuchten ein Dutzend Inseln wie Eisberge. 

Für Revest und seine Kolleginnen und Kollegen kam es noch besser: Kaum waren die Menschen weg, ließen sich die Tiere blicken. „Wir beobachteten, wie sich armdicke Smaragdeidechsen in der Sonne fläzten“, erzählt er. „Nachts trafen wir zum ersten Mal eine Ginsterkatze. Und ohne den lärmenden Bootsverkehr zogen Finnwale direkt an der Küste vorbei.“ 

Mir genügte bei meinem ersten Besuch schon, zu erleben, wie hell der Fels ist und wie blau das Wasser und wie würzig die Luft nach Pinien und Kräutern duftet, um völlig betört zu sein. Mein damaliger Begleiter war auch ganz charmant, doch meine Liebe für die Landschaft währte deutlich länger als für ihn. 

In den Calanques sah ich zum ersten Mal Delfine durchs Wasser ziehen. Ich lernte, dass hier die größte Möwenpopu­lation Frankreichs nistet und eines der letzten 30 Habichtsadlerpaare des Landes sein Nest gebaut hat. Und ich spürte so manches Mal, wie wild der Küstenstreifen sein kann: Der Wind bläst heftiger als anderswo in Frankreich, die Sonne brennt heißer, es regnet fast nie.

Weil keine Quelle sprudelt und sich auf dem Kalkgestein zudem kaum Erde sammeln kann, überleben nur hoch spe­zia­lisierte Pflanzen, darunter 140 geschützte Arten. Kiefern spenden Schatten, doch der kleinste Funke reicht, um ein zerstörerisches Feuer zu entfachen. 

Gut also, dass der Küstenstreifen 2012 als Nationalpark unter Schutz gestellt wurde, ingesamt 85 Quadratkilometer an Land, 435 im Meer. 

Irgendein Sprachgenie taufte ihn aufgrund seiner direkten Nachbarschaft zu Marseille „Europas erster periurbaner Land- und Meeresnationalpark“. Ich würde sagen: Er ist ein Mensch-Natur-Experiment. Kann es gelingen, eine so begehrte Naturschönheit vor ihren Fans zu bewahren? Denn kaum war der Park eingeweiht, hübschte Marseille sich zur Europäischen Kulturhauptstadt auf. Und lockt seither massenhaft Menschen an, die in die Calanques wollen. 

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mare No. 158

mare No. 158Juni / Juli 2023

Von Katja Trippel und Nicole Strasser

Katja Trippel, geboren 1973, hat schon in mare No. 141 in ihrer Lieblingsgegend recherchiert: über eine Taucherbande, die illegal Edelfisch verkauft.

Für Nicole Strasser, Jahrgang 1975, waren die Calanques wie eine Bergtour: über steile, steinige Wege, die Kamera im Rucksack, um die Hände zum Klettern frei zu haben.

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Vita

Katja Trippel, geboren 1973, hat schon in mare No. 141 in ihrer Lieblingsgegend recherchiert: über eine Taucherbande, die illegal Edelfisch verkauft.

Für Nicole Strasser, Jahrgang 1975, waren die Calanques wie eine Bergtour: über steile, steinige Wege, die Kamera im Rucksack, um die Hände zum Klettern frei zu haben.

Person Von Katja Trippel und Nicole Strasser
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Katja Trippel, geboren 1973, hat schon in mare No. 141 in ihrer Lieblingsgegend recherchiert: über eine Taucherbande, die illegal Edelfisch verkauft.

Für Nicole Strasser, Jahrgang 1975, waren die Calanques wie eine Bergtour: über steile, steinige Wege, die Kamera im Rucksack, um die Hände zum Klettern frei zu haben.

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