Bodentruppe

Manganknollen aus dem Meer sollten die Zukunft der Menschheit sichern. 28 Jahre nach den ersten Tests sieht das Bild anders aus

Die deutschen Wissenschaftler sind gründlich. Sie haben sich vorgenommen, den Meeresboden komplett durchzupflügen. Die „Sonne“ dampft im Fußgängertempo voran. Am Heck des Forschungsschiffs spannt sich eine Stahltrosse. Vier Kilometer reicht sie hinab in die schwarze Tiefe. An ihrem Ende hängt eine schwere Egge, die sich Meter für Meter durch den Schlamm wühlt. Die „Sonne“ fährt zwei Seemeilen, wendet und fährt wieder zurück. Nach zwei Seemeilen wendet sie erneut. So geht es weiter, kreuz und quer, stundenlang. Immerfort wühlt die Egge den Schlamm auf, verschluckt filigrane Schlangensterne, Seegurken und Krebse. Schließlich hat die „Sonne“ den kleinen Flecken Meeresboden, der etwa so groß wie die Hallig Hooge ist, fast 80-mal beackert.

In den nächsten Tagen lassen die Forscher von der „Sonne“ Kameras in die Tiefe hinab, um den Schaden zu begutachten. Tiefe Furchen ziehen sich durch die flache Ebene vor Südamerikas Westküste. Das weiche, graue Sediment, das eigentlich den Boden bedeckt, ist verschwunden. Stattdessen hat die Egge feste weiße Placken nach oben befördert. Aber das Wichtigste fällt sofort ins Auge: Die Manganknollen sind weg, faustgroße Klumpen, die hier normalerweise wie Fallobst auf der Wiese den Boden bedecken – die Egge hat sie untergepflügt. Die Forscher an Bord der „Sonne“ sind zufrieden. Mission erfüllt. Sie haben ein Stück Lebensraum am Tiefseeboden völlig verwüstet.

Die Zerstörungsfahrt der „Sonne“ ist inzwischen 28 Jahre her. Damals waren Rohstoffexperten euphorisch. Wenige Jahre zuvor hatte man Manganknollen als neue Rohstoffquelle entdeckt. Die steinharten Knollen enthalten vor allem Mangan, aber auch Eisen, Nickel, Kupfer, Titan und Kobalt, alles begehrte Rohstoffe für die Industrie. Zu Abermillionen bedecken sie weite Gebiete des Meeresbodens vor Mexiko und Peru. Die Industrie in Deutschland und in vielen anderen Ländern schmiedete damals Pläne für eine Knollenernte am Meeresboden. Wie Kartoffeln vom Acker wollte man die Knollen künftig mit Pflugschlitten ernten und über dicke Schläuche zu Förderschiffen emporpumpen.

„Allerdings wussten wir kaum etwas vom Leben in der Tiefsee“, sagt der Biologe Gerd Schriever, der damals als stellvertretender Projektleiter mit auf der „Sonne“ war. Die deutschen Meeresforscher forderten deshalb, die Lebensräume in der Tiefsee genauer zu untersuchen, bevor der Bergbau am Meeresboden beginnen würde. Gut vier Jahre lang verhandelten Wissenschaftler, Politiker und Industrie über Finanzspritzen für eine große Expedition. Dann gab das Bundeswirtschaftsministerium grünes Licht. Im Januar 1989 durfte die „Sonne“ in die Gewässer vor Peru und Mexiko aufbrechen. Der Auftrag der Forscher: ein größeres Stück Meeresboden verwüsten, um zu beobachten, ob oder wie schnell sich die Natur davon erholt.

Nun sind die Forscher, wieder mit der „Sonne“, aber der namensgleichen Nachfolgerin des früheren Forschungsschiffs, an die Stelle gefahren, um zu sehen, wie es nach 28 Jahren dort unten aussieht. „Wir waren ungeheuer gespannt“, sagt Schriever. „Denn es gibt weltweit kein anderes Tiefseeareal von vergleichbarer Größe, in dem der Lebensraum so stark verändert worden ist. Für uns war völlig offen, wie die Tiefsee reagiert.“

Jetzt liegen die ersten Ergebnisse vor – und sie sind beunruhigend. Die Bilder, die das autonome Unterwasserfahrzeug „Abyss“ an Bord der „Sonne“ gesendet hat, zeigen Pflugspuren, die so frisch aussehen, als habe die Egge erst gestern den Boden durchwühlt. Die weißlichen Placken liegen noch ebenso da wie 1989. Das feine Sediment fehlt. Für das Leben im Tiefseeboden ist das katastrophal, denn gerade auf diese dünne Schicht aus weichem Sediment kommt es an. Darin leben Tausende winziger Fadenwürmer und unzählige Mikroorganismen, von denen sich wiederum viele andere Organismen ernähren.

„Ganz klar“, sagt Matthias Haeckel, Chemiker am Kieler Forschungsinstitut Geomar, der das aktuelle Tiefseeprojekt leitet. „Durch das Eggen wurde das obere Sediment damals größtenteils aufgewirbelt und fortgetragen. In dem gepflügten Bereich leben jetzt viel weniger Arten als damals.“ Das zeigt ein Vergleich mit unberührten Flächen in der Nähe, die die Forscher mit untersucht haben. Das Problem: In der Tiefsee bildet sich kaum neues Sediment. Ganz anders, als man es aus Küstengewässern kennt. Dort spülen Flüsse Unmengen an Nahrungsteilchen, kleinen Ton- und Gesteinspartikeln ins Meer. In die Tiefsee aber rieselt kaum etwas herab. In einem Jahr geht dort auf einem Quadratmeter Meeresboden nur etwa ein Teelöffel voll Material nieder.


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mare No. 122

No. 122Juni / Juli 2017

Von Tim Schröder

Tim Schröder, Jahrgang 1970, Wissenschaftsjournalist in Oldenburg, würde gerne einmal in einem Unterwasserfahrzeug mitfahren und hautnah miterleben, wie der Tiefseeboden untersucht wird – ehe die Bagger die Tiefsee umwühlen.

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Vita Tim Schröder, Jahrgang 1970, Wissenschaftsjournalist in Oldenburg, würde gerne einmal in einem Unterwasserfahrzeug mitfahren und hautnah miterleben, wie der Tiefseeboden untersucht wird – ehe die Bagger die Tiefsee umwühlen.
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