Blutflagge

Liberia verdient mit seinem Schiffsregister Millionen – Geld, das in die Kriegskasse des Diktators Charles Taylor fließt

Wer in einem afrikanischen Hotelzimmer im Bett liegt und BBC hört, sollte sich vorbereiten. Auf eine unruhige Nacht. Aus dem Radio kommt die Nachricht, dass vor zwei Stunden in Liberia der Notstand ausgerufen wurde. Morgen werde ich von der Elfenbeinküste aus dorthin fliegen. Ich schlafe und träume von Schwarzen, die über ein rotes Blumenfeld hetzen.

Wie schnell sich der weiße Mann erregt. Als ich am nächsten Morgen bei der Fluggesellschaft Weasua das Ticket kaufe, erwähnt keiner die Situation in dem Land. „No problem“, sagen sie grinsend. Ihr Land ist der pure Notstand. Auch dann, wenn keiner ihn ausruft. Ich mag das Grinsen, es ist das Gegenteil einer Heldenpose, es ist weise und verzweifelt.

Stiller Flug, genau sechs Personen sitzen in der Antonow An-24, die Sehnsucht nach Liberia hält sich in Grenzen. Nach zwei Stunden ist die Hauptstadt Monrovia leicht zu erkennen. Links strahlt der dunkelgrüne Atlantik, rechts verrotten die dunkelgrauen Ruinen. Dahinter liegt ein reiches Land. Mit Eisenerz, Kautschuk, Gold, Diamanten und feinsten Tropenhölzern. Dazu eine sanfte Landschaft, nur drei Millionen Einwohner, ein heißes, feuchtes Klima, die Erde strotzt vor Gesundheit.

Sogar das zweitgrößte Flaggenregister der Welt ist Quelle von Renditen. Am Heck von mehr als 1600 Tankern und Frachtern weht weltweit die liberianische Fahne. Sonst ist nicht viel liberianisch, nicht der Koch, nicht der Besitzer, nicht ein Prozent der Seeleute. Ein Service, der Liberia plus/minus 25 Millionen Dollar im Jahr bringt. Dollar, an denen Blut klebt.

Als Spitzenverdiener zeichnet Charles Taylor, ein international anerkannter Massenmörder und Schwerverbrecher, der sich vor fünf Jahren zum Präsidenten wählen ließ. „You killed my pa, you killed my ma, I’ll vote for you“, sangen die Halbwüchsigen damals. Und wählten Taylor, damit er aufhört, ihre Väter und Mütter zu massakrieren.

Als ich die Ankunftshalle betrete, grüßt der Chef der Immigration freundlich: „Hi, be welcome!“ Aus dem liberianischen Englisch übersetzt, bedeutet das: „Folge mir ins Büro und rück ein paar Scheine raus!“ Wer sich als Weißer hierher verirrt, sollte aus verschiedenen Gründen auf der Hut sein. Einer wäre: Liberia streitet sich augenblicklich um den fünftletzten oder viertletzten Platz auf der Hungertodskala. Nach Geld fahnden ist folglich ein Akt des Überlebens. Bill, der Einreiseoffizier, schließt die Tür und fragt, wie sie immer dort fragen, wo Gangster die Führung übernommen haben: „What is your mission?“ Der Satz soll Angst machen und die Übergabe der Dollarnoten beschleunigen. Zuletzt behält der Chef meinen Pass ein, als Pfand. Die Rückeroberung des Dokuments wird einige Tage und weitere Zahlungen kosten, sogar eine Verhaftung nach sich ziehen. Ich bin entlassen.

Liberia, mehr als doppelt so groß wie die Schweiz, könnte so reich sein. Warum hier keine glücklichen Kühe grasen? Vielleicht hilft ein Blick in die Vergangenheit. Anfang des 19. Jahrhunderts beschließen brave weiße Amerikaner, ihre Sklaven zurück nach Afrika zu expedieren. Nicht nur Menschenfreundlichkeit, auch schiere Angst, dass sich die „Wilden“ für ihr Sklavendasein rächen, treibt sie zu diesem Schritt. Im April 1822 landet das erste Schiff an der Pfefferküste. Laut Legende feuert eine Frau mit der einzigen Kanone an Bord in Richtung Eingeborene: Der Weg ist frei.

Die Exsklaven importieren die Gewalt in ihre alte neue Heimat, sie vertreiben die Ureinwohner und richten sie – beißend ironisch – zu Sklaven ab. Ein Vierteljahrhundert später rufen die Einwanderer die Republik Liberia aus. Das schöne Wort kommt – die Ironie hört nicht auf – vom lateinischen „liber“, „frei“. Die Hauptstadt soll nach dem damaligen amerikanischen Präsidenten, James Monroe, Monrovia heißen.

Die neuen Herren haben eine Begabung fürs Komische, mit hell leuchtenden Perücken spazieren sie in der 40-Grad-Hitze, bald gründen sie die True Wig Party, die Wahre Perückenpartei. Das Programm ist einfach und übersichtlich: alle Macht den fünf Prozent Amerikoliberianern, keine Macht, kein Besitz, keinen Stolz für die Perückenlosen. Die Abhängigkeit von den USA gedeiht über die Jahre. Kaum wird Kautschuk entdeckt, requiriert die Firestone Company zu Schleuderpreisen riesige Latifundien; kaum wird Eisenerz gefunden, rauscht United Steel an.

Bis 1980 halten die fünf Prozent durch, dann putscht Hauptfeldwebel Samuel Doe, lässt den Präsidenten und 13 Minister öffentlich füsilieren und übernimmt als erster Nicht-Amerikoliberianer die Regierung, jetzt das People’s Redemption Council, den Staatsrat für Volkserlösung. Doe erlöst niemanden, er manövriert sich und sein Land Richtung Hölle. Behilflich dabei ist die Reagan-Administration, sie spendiert Waffen und nagelneue Baracken für die Armee. Die CIA – noch immer herrscht Kalter Krieg – baut Monrovia zu seiner Westafrika-Zentrale aus.


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mare No. 33

No. 33August / September 2002

Von Andreas Altmann und Jan Dagø

Der Haft entkam Andreas Altmann durch ein Schmiergeld. Die Polizei nahm das Lösegeld als „friendship gift“, als Freundesgabe. Der in Paris lebende Autor veröffentlichte im Rowohlt Verlag sein jüngstes Buch Einmal rundherum – Geschichten einer Weltreise.

Jan Dagø, Fotograf aus Århus in Dänemark, war schon mehrmals in Liberia und Sierra Leone. Auch wenn die Situation derzeit entspannter wirkt – ein sicherer Frieden, meint er, scheint noch weit. Dagø erhielt für seine Fotografien aus Liberia und Sierra Leone den World Press Photo Award.

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Vita Der Haft entkam Andreas Altmann durch ein Schmiergeld. Die Polizei nahm das Lösegeld als „friendship gift“, als Freundesgabe. Der in Paris lebende Autor veröffentlichte im Rowohlt Verlag sein jüngstes Buch Einmal rundherum – Geschichten einer Weltreise.

Jan Dagø, Fotograf aus Århus in Dänemark, war schon mehrmals in Liberia und Sierra Leone. Auch wenn die Situation derzeit entspannter wirkt – ein sicherer Frieden, meint er, scheint noch weit. Dagø erhielt für seine Fotografien aus Liberia und Sierra Leone den World Press Photo Award.
Person Von Andreas Altmann und Jan Dagø
Vita Der Haft entkam Andreas Altmann durch ein Schmiergeld. Die Polizei nahm das Lösegeld als „friendship gift“, als Freundesgabe. Der in Paris lebende Autor veröffentlichte im Rowohlt Verlag sein jüngstes Buch Einmal rundherum – Geschichten einer Weltreise.

Jan Dagø, Fotograf aus Århus in Dänemark, war schon mehrmals in Liberia und Sierra Leone. Auch wenn die Situation derzeit entspannter wirkt – ein sicherer Frieden, meint er, scheint noch weit. Dagø erhielt für seine Fotografien aus Liberia und Sierra Leone den World Press Photo Award.
Person Von Andreas Altmann und Jan Dagø