Blaue Jungs

Seeleute tranken früher auf Reisen Wein und Bier, weil ihr Trinkwasser schnell verdarb. Mancher Kapitän greift auch heute noch gern zur Flasche – mit katastrophalen Folgen

Manchmal riecht es die Wasserschutzpolizei schon im Hafen, bei der Abfertigung. Dann kann sie verhindern, dass das Schiff überhaupt ausläuft, wie der Containerfrachter „Mærsk Durham“ Anfang Januar in Hamburg. Da ergab der Atemtest beim Kapitän 1,88 Promille, und der Erste Offizier konnte nicht übernehmen, weil er selbst mit 1,1 Promille an der Grenze zur Fahruntüchtigkeit war. Die Reederei kündigte „harte Disziplinarmaßnahmen“ an.

Manchmal hat es vorher niemand gerochen. Wie beim Säuretanker „Ena 2“, der im Juni 2004 im Hamburger Hafen das Containerschiff „Pudong Senator“ rammte. Fast 960 Tonnen Schwefelsäure liefen in die Elbe. Der Kapitän hatte bis in die Früh auf dem Kiez mit Bier und Whisky gefeiert und anschließend mit seiner Frau noch zwei Flaschen Rotwein geleert. Drei Stunden nach dem Unfall ergab der Bluttest 2,2 Promille. Mit so viel habe er nicht gerechnet, erklärte er später im Verfahren. Das Gericht verurteilte ihn zu einem Jahr Haft auf Bewährung.

Manchmal schreibt ein Kapitän Geschichte, wie im Jahr 1989 im Prince William Sound am Golf von Alaska. Die Fischer dort nennen seither den 24. März „den Tag, an dem das Wasser starb“.

Es war der Tag, an dem der Kapitän des Supertankers „Exxon Valdez“ den Kurs änderte, um Eisbergen auszuweichen, dann an den Dritten Offizier übergab und sich zum Schlafen in die Koje legte. Der Dritte Offizier war unerfahren und übermüdet. Der Tanker rammte ein Riff, die „Exxon Valdez“ funkte an die Küstenwache: „Wir verlieren etwas Öl.“ Es waren 40 Millionen Liter; sie verteilten sich über 2000 Kilometer Küste. Mindestens eine Viertelmillion Vögel verendeten, 3500 Seeotter, 22 Schwertwale. Die Blutanalyse ergab, dass der Kapitän weit mehr als ein Dutzend Gläser Wodka getrunken haben musste, doch die Blutproben waren falsch transportiert worden und deshalb nicht gerichtsfest. Dennoch erklärte später ein Gericht, der Ölkonzern Exxon habe wissentlich einen rückfälligen Alkoholiker auf die schwierige Fahrt geschickt. Dreimal hatte der Kapitän zuvor wegen Alkohols am Steuer den Autoführerschein verloren. Er wurde zu 50 000 US-Dollar Strafe und 1000 Stunden Müllsammeln verurteilt, wegen „fahrlässigen Verklappens von Öl“. Einen Job auf See fand er nie wieder – dafür stellte ihn die Kanzlei seines Anwalts ein: als Vermittler für Streitfälle zwischen Reedereien und Versicherungen.

Solche Geschichten sind der Grund, weshalb das alte Klischee frisch bleibt; ein Klischee, bei dem rechtschaffene Kapitäne die Wut packt: Auf See, da geht es noch immer zu wie im bekanntesten aller Shantys, dem vom „Drunken Sailor“. Woher dieses Vorurteil?

Es nimmt seinen Anfang im Zeitalter der Entdeckungsfahrten, als die Schiffe sich nicht länger nur an den Küsten entlanghangeln, sondern zu großer Fahrt aufbrechen übers offene Meer. Wochen, Monate ohne Landgang, das bedeutet: Trinkwasser in Fässern, Holzfässern.

Was sich in solchen Fässern mit der Zeit zusammenbraut, erinnert eher an Tinte; ein Problem, dem auch die Seefahrer der folgenden Jahrhunderte nicht Herr werden. „Wenn ein Fass heraufgehoben und aufgeschlagen wurde“, berichtet der Dichter Johann Gottfried Seume noch nach einer Atlantiküberfahrt 1782, verbreitete das Wasser einen Gestank „wie Styx, Phlegeton und Kokytos zusammen. Große, fingerlange Fasern machten es fast konsistent. Ohne es durch ein Tuch zu seihen, war es nicht wohl trinkbar, und dann musste man immer noch die Nase zuhalten, und dann schlug man sich doch noch, um nur die Jauche zu bekommen“.

Die Erleichterung unter den Seeleuten ist deshalb groß, wenn neben der stinkenden Brühe genug Wein, Bier oder mit Rum versetztes Wasser an Bord sind. Die Alkoholika erweisen sich als gefeit gegen Fäulnis. Als Spaniens Armada 1588 gegen England aufbricht, um Elisabeth I. zu stürzen, hat sie 57 000 Liter Wasser geladen – und 82 000 Liter Wein. Wahre Wunder werden dem Alkohol in der Seefahrt nachgesagt. Man habe „wirklich Ursache zu glauben“, schreibt der englische Flottenarzt Sir Gilbert Blane 1788 in einem Standardwerk über Krankheiten auf See, „dass alle Arten gegorener Getränke … zur Gesundheit der Seeleute etwas beitragen“. Bei der französischen Marine gibt es noch bis ins frühe 19. Jahrhundert schon zum Frühstück ein Gläschen Branntwein, zu konsumieren auf nüchternen Magen. Man glaubt zu jener Zeit, so würden Würmer zuverlässig aus dem Gedärm gefegt. Ein spezielles Fichtennadelbier soll vor Skorbut schützen. In der Royal Navy hat jeder Seemann seit 1655 das Recht auf ein sogenanntes tot, ein tägliches Quantum an Rum – ein Privileg, das bis zum 31. Juli 1970 gelten wird. Der Tag wird als Trauertag, als Black Tot Day, in die Geschichte der britischen Seefahrt eingehen, als Schwarzer Tag für das Rum-tot.


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mare No. 61

No. 61April / Mai 2007

Von Tobias Zick

Tobias Zick, Jahrgang 1977, ist Mitglied im Journalistenverbund Plan 17 und arbeitet als freier Autor von Hamburg und Genua aus.

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Person Von Tobias Zick
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