Beken Of Cowes

Mit dem ersten America’s Cup 1851 begann die große Zeit des Regattasegelns. Bei Wettfahrten vor Cowes auf der Isle of Wight wurden die Boote erprobt. Eine Fotografendynastie aus Cowes dokumentiert seither die Schönheit des Yachtsports

Es muss quälend gewesen sein, eine fortwährende Provokation. Tag für Tag zogen am Schlafzimmerfenster diese atemberaubenden Bilder vorüber, Gemälden gleich – und es gab keine Möglichkeit, sie festzuhalten. Hinter dem Fenster lag der Solent, die Meerenge zwischen der Isle of Wight und dem englischen Mutterland, dem „Mainland“, wie sie auf der Insel sagten; und dieser vor Sturmwinden und hohem Seegang geschützte Teil des Ärmelkanals mit seinen vielen Buchten war seit je das Paradies der britischen Segler. Seit 1826 fand in Cowes alljährlich eine Regattawoche statt, die schnell berühmt wurde und immer mehr Teilnehmer anzog, auch aus Frankreich, Holland, Deutschland. Majestätische Yachten und Yachten von Majestäten lieferten sich spektakuläre Duelle, es waren großartige Schauspiele, berauschende Bilder – und es war einfach eine Schande, sie nicht festhalten zu können. Frank Beken grollte. Und grübelte.

1888 war der Vater Alfred Edward Beken mit seiner Familie von Canterbury nach Cowes gezogen und hatte in der kleinen Hafenstadt eine „Pharmacy“ eröffnet, ein Zwitter aus Apotheke und Drogerie. In der Freizeit fesselte den drahtigen Mann und seinen Sohn Frank die Fotografie, der Umgang mit lichtempfindlichen Platten und den Chemikalienbädern der Dunkelkammer; Fotografie war immer noch eine junge Kunst, eher ein Kind der Chemie als der Optik. Die Kameras waren nicht nur primitiv und riesig, sondern auch empfindlich, vor allem wegen des Balges aus Leinwand, der keinerlei Schutz gegen Regen und Spritzwasser besaß. Nur vom trockenen Land aus konnte man damit fotografieren. Doch Teleobjektive gab es noch nicht, und selbst die größten Schiffe schrumpften auf den belichteten Platten zu fernen Winzlingen. Vater und Sohn machten die schmerzliche Erfahrung, die Frank Capa ein halbes Jahrhundert später lakonisch als kategorischen Imperativ der Fotografie formulierte: „Wenn deine Bilder nicht gut genug sind, dann warst du nicht dicht genug dran.“

Alfred Edward Beken fasste sich ein paar Mal ein Herz und fuhr mit seinem kleinen Boot und der großen Kamera hinaus auf die Mündung des Medina River, des fjordartigen Gewässers, das sich von Cowes aus ins Landesinnere zieht; starke Stimmungsbilder von Morgendunst, Flaute und Schiffen mit schlaffen Segeln entstanden. Wenn der Wind dann aber auffrischte und die Segel füllte, wenn die Schiffe zum Leben erwachten und die ersten Gischtfahnen wehten, dann musste der Fotograf sich beeilen, wieder aufs Trockene zu gelangen.

Wie kam man dichter heran an die Objekte der fotografischen Begierde, auch und gerade bei Wind und spritzendem Wasser? Das war Frank Bekens Problem. Die Lösung, die er schließlich fand, war eine Art Tresor für seine Kamera: eine aus schwerem Mahagoni gebaute Box, in der sich an der Rückseite die lichtempfindliche, 30,5 mal 25,4 Zentimeter große Glasplatte befand, an der Vorderseite die verstellbare Linse und der Auslöser. Auf dieser Box war ein zweiter, kleinerer Holzkasten befestigt, der als Sucher diente. Das ganze Gerät wog fünf Kilogramm, war nur von einem kräftigen Mann in die Höhe zu stemmen und musste von einem herzhaften Biss auf einen Gummiball aktiviert werden, der wie ein Startschuss knallte und den Verschluss auslöste. Mit diesem Monstrum und einem kleinen Dingi ruderte Frank Beken fortan hinaus, wenn da draußen die schönen Ladys der See aufkreuzten, die Schoner, Kutter, Ketschen und Yawls mit ihren kolossalen Segelflächen.

Es war die große Zeit, vielleicht die größte Zeit der Wettkämpfe unter Segeln. 1851 hatte der New Yorker Lotsenschoner „America“ bei der Regatta rund um die Isle of Wight alle britischen Konkurrenten abgehängt und einen von Königin Victoria gestifteten Pokal in seine Heimat entführt und in „America’s Cup“ umbenannt. Seitdem sannen die Spitzen der maritimen englischen Gesellschaft auf Vergeltung. Immer neue Schiffe wurden entworfen und gebaut, länger, schlanker, schneller, höher die Masten, größer die Segel, rasanter die Kielformen. Bei den Regatten von Cowes wurden sie erprobt, ehe sie als Cup-Herausforderer die Reise nach New York antraten.

Auch aus Deutschland stieß ehrgeiziger Neuzugang zur Liga der außergewöhnlichen Gentlemen, die sich alljährlich in Cowes versammelte. Wilhelm II. hatte seine Leidenschaft für den Regattasport entdeckt, die so etwas wie der sportliche Ausdruck seines imperialen Seemachtanspruchs war. Jede internationale Regatta, an der er teilnahm, hatte daher einen Beigeschmack von Seeschlacht, vor allem eine in England. 1891 kaufte der deutsche Kaiser für 90 000 Goldmark den stählernen schottischen Rennkutter „Thistle“, taufte ihn um in „Meteor“ und erschien mit seinem neuen Racer zur Cowes Week. Prompt ließ sich der Prince of Wales eine Regattayacht gleicher Größe und Schnelligkeit bauen. Als diese neue „Britannia“ die „Meteor“ besiegt hatte, bestellte sich auch Wilhelm wieder eine neue „Meteor“, der dann noch vier weitere, immer schnellere Neubauten folgen sollten. Auch die wurden dann vor Cowes zwar von einer noch schnelleren Konkurrentin geschlagen, aber zur Genugtuung des Kaisers war es kein englisches Schiff, sondern die „Germania“ von Gustav Krupp, ein „vom Kiel bis zum Flaggenknopf“ deutsches Produkt.


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mare No. 75

No. 75August / September 2009

Von Peter Sandmeyer und Frank Keith und Kenneth Beken

Was macht der Segler im Winter, wenn er von Schmirgeln und Anti-Fouling genug hat? Er betrachtet Segelbilder. Die Auswahl ist riesig, neue Bildbände erscheinen jedes Jahr. Aber nur eine Fotokollektion nimmt mare-Autor Peter Sandmeyer immer wieder in die Hand: das Beken-Album. Es stellt ihm die Frage, ob es wirklich Fortschritt gibt. Schiffe mögen seit 130 Jahren schneller und Kameras effizienter geworden sein – aber sind Boote und Bilder auch schöner geworden?

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Vita Was macht der Segler im Winter, wenn er von Schmirgeln und Anti-Fouling genug hat? Er betrachtet Segelbilder. Die Auswahl ist riesig, neue Bildbände erscheinen jedes Jahr. Aber nur eine Fotokollektion nimmt mare-Autor Peter Sandmeyer immer wieder in die Hand: das Beken-Album. Es stellt ihm die Frage, ob es wirklich Fortschritt gibt. Schiffe mögen seit 130 Jahren schneller und Kameras effizienter geworden sein – aber sind Boote und Bilder auch schöner geworden?
Person Von Peter Sandmeyer und Frank Keith und Kenneth Beken
Vita Was macht der Segler im Winter, wenn er von Schmirgeln und Anti-Fouling genug hat? Er betrachtet Segelbilder. Die Auswahl ist riesig, neue Bildbände erscheinen jedes Jahr. Aber nur eine Fotokollektion nimmt mare-Autor Peter Sandmeyer immer wieder in die Hand: das Beken-Album. Es stellt ihm die Frage, ob es wirklich Fortschritt gibt. Schiffe mögen seit 130 Jahren schneller und Kameras effizienter geworden sein – aber sind Boote und Bilder auch schöner geworden?
Person Von Peter Sandmeyer und Frank Keith und Kenneth Beken