Auf einen Drink um die Welt

Was tun mit den Tausenden von Souvenirs, die der verstorbene Vater­, ein russischer Adliger, nach 16 Jahren Seefahrt zu Hause angesam­melt hat? Eine Nachlassbar eröffnen!

Juri Prusa fuhr zur See, weil er Geld brauchte und die Welt sehen wollte. Und so heuerte er 1962 auf dem Passagierschiff „Flavia“ an, das damals von Genua nach Sydney fuhr. Er begann als Matrose, doch das blieb er nicht lange. Denn er war stolz und aufrecht, elegant und weltgewandt, konnte tanzen und die Damen, die sich auf den langen Überfahrten ganz schrecklich langweilten, auf Russisch und Deutsch, Französisch und Italienisch unterhalten. Nicht lange, da war er der Unterhaltungsoffizier der „Flavia“.

„Gehe ich Frau, mache ich Komplimente“, war seine Devise, „wird Mann eifersüchtig, mache ich Witze.“ In einem fort verliebten sich nun Passagierinnen in ihn – ihn, Juri Prusa, der daherkam wie ein russischer Patriarch in seiner blitzweißen Uniform. Sie steckten ihm Briefe zu und baten um heimliche Treffen. Doch er lachte nur darüber. Nie wäre es ihm eingefallen, darauf einzugehen, daheim in Zürich wartete doch seine geliebte Eva, seine zweite Frau. Und natürlich ist ein Linienschiff der denkbar schlechteste Ort für eine Affäre.

Vor allem war ihm langweilig auf den wochenlangen Fahrten. „Keine Television“, die Enge, die immer gleichen Gesichter – diskret frönte er seiner Leidenschaft: Antiquitäten. Strich auf Landgängen durch Trödelmärkte und Basare, in Suez, Bangkok und Jakarta, auf der Suche nach seltenen Masken, schönen Figuren, vor allem aber: alten Spieluhren.

Juri Prusa: 1921 in Irkutsk in alten russischen Adel geboren, 1945, in den Wirren der zweiten stalinistischen Säuberung, zusammen mit seinem Vater aus einem Straflager bei Sankt Petersburg geflohen, zu Fuß über den zugefrorenen Finnischen Meerbusen. Weiter nach Prag, weiter nach Florenz, wo er Restaurator wurde und eine Schweizerin heiratete, mit der er einen Sohn bekam und 1958 eine Tochter, getauft Alexandra, nach seiner Mutter, die Stalins Terror nicht überlebt hatte.

Alexandra Prusa weiß es noch genau, wie der Mann, der ihr Vater sein sollte, damals in Genua an Land ging, nach Monaten auf See, dieser piekfeine Offizier, und sie mit ihrem Bruder am Kai wartete. Nein, sie konnten nicht viel miteinander anfangen. Er verwöhnte sie mit Pasta und Eiscreme und zeigte ihnen das Schiff, ehe er weiterfuhr nach Zürich, zu Eva, seiner zweiten Frau, und sie beide zurück nach Florenz, zur Mutter. Sie hatten ein distanziertes Verhältnis, sie und ihr Vater, und das würde sich nie wirklich ändern. So vergingen die Jahre. Alexandra wurde Schauspielerin und entdeckte den Tango, als er in Argentinien noch verpönt war. 2002 starb ihr Vater, zehn Jahre später Eva. Plötzlich erbte sie alles. Hunderte von Antiquitäten, gesammelt in Dutzenden Häfen. Was nur sollte sie damit tun?

Alexandra Prusa hatte eine Idee: Sie schwatzte einer Kirchengemeinde in Zürich einen leer stehenden Gemeindesaal ab und richtete nebenan, in der ehemaligen Garderobe, eine Bar ein: mit Vitrinen, in die sie liebevoll die schönsten Stücke ihres Vater stellte. Und eröffnete im Oktober 2014 das „Was bleibt“, eine „Nachlassgalerie mit Bar“. Die Idee: Menschen einzuladen, die wie sie eine Menge Gegenstände geerbt hatten, die Spuren eines Lebens, zu schade, um alles einfach zu verkaufen. Warum also dieses Leben, diese Dinge nicht noch einmal ausstellen, einige Wochen lang, und so das Leben zu feiern?

„Es war der Flop meines Lebens“, sagt Alexandra Prusa. „Niemand wollte ausstellen, obwohl alle die Idee toll fanden.“ Erst da wurde ihr klar, wie schwierig erben ist. Wie viele Familien sich dabei verkrachen. Wie peinlich es vielen ist, in der diskreten Schweiz, zu zeigen, was man plötzlich hat.

Das „Was bleibt“ wurde trotzdem ein Erfolg. Auch weil Alexandra Prusa eine herzliche Gastgeberin ist und ihr Mann Rudolph Straub ein guter Koch. Der große Saal wird seither gern für Taufen und Hochzeiten gebucht, Shows finden darin statt, Lesungen, Konzerte, Ausstellungen. Und jeder Abend beginnt und endet in der Bar mit den großen Vitrinen, in denen Masken und Teller stehen, Spieluhren und Schiffsmodelle, Zeugnisse des bewegten Lebens des Juri Prusa. Man lässt sich in die tiefen Sessel fallen, nippt am Whisky – und hat irgendwann den Eindruck, unterwegs zu sein, irgendwo zwischen Bangkok und Jakarta. Mitten in Zürich.

Finnische Fischsuppe (Kalakeitto)

Zutaten (für vier Personen) 2 Zwiebeln, 50 g Butter, 4 Kartoffeln, 1 Karotte, 700 ml Fischfond, 500 ml Milch, 100 ml Sahne, 500 g Fischfilet.

Zubereitung
Kartoffeln und Karotte schälen und würfeln. Fond im Topf erhitzen. Die Filets in Stücke schneiden. Zwiebeln hacken und glasig anschwitzen, dann die heiße Flüssigkeit und Kartoffeln dazugeben, nach 15 Minuten auch die Karotte. Wenn die Kartoffeln gar sind, die Fischstücke in den Sud legen. Milch und Sahne aufkochen lassen und ebenfalls dazugeben. Die Fischstücke in der Suppe auf kleiner Flamme 5 bis 10 Minuten garziehen lassen. Die Suppe mit Salz, Pfeffer und Dill abschmecken und sofort servieren.


Was bleibt & Co.
Bullingerstrasse 4, Zürich, Tel. +41 76 558 50 07; Bar-Café geöffnet von 14 bis 20 Uhr.
www.was-bleibt.ch

mare No. 128

Juni / Juli 2018

Von Ariel Hauptmeier, Lucian Hunziker und Livio Piatti

Ariel Hauptmeier, Jahrgang 1969, war viele Jahre weltweit als Reporter unterwegs. Er war lange Redakteur bei Geo und gehört zu den Gründern des Reporter-Forums. Heute ist er Textchef beim Berliner Recherchezentrum CORRECTIV.

Livio Piatti ist Fotograf in Zürich und arbeitet für in- und ausländische Printmedien im Bereich Portrait und Reportage.

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Vita Ariel Hauptmeier, Jahrgang 1969, war viele Jahre weltweit als Reporter unterwegs. Er war lange Redakteur bei Geo und gehört zu den Gründern des Reporter-Forums. Heute ist er Textchef beim Berliner Recherchezentrum CORRECTIV.

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